Slocum indessen, dessen Geschäfte hier draußen Jack in so eigenthümlicher Weise arrangirte, konnte sich nicht denken, was aus dem jungen Burschen geworden sei, denn zwei volle Tage waren jetzt schon vergangen. Hatte er die Hoffnung aufgegeben, hier noch etwas einzukassiren und sich einer andern Gegend zugewandt?
Die Sonne tauchte schon wieder hinter die Wipfel der Bäume, Slocum stand, beide Hände in den Taschen und sah nachdenklich auf die Straße hinaus, als plötzlich Jack Brown sehr vergnügt auf seinem Fuchs angetrabt kam und vor dem Haus aus dem Sattel sprang.
„Segne meine Seele, Jack!“ rief Slocum, „wo habt Ihr die ganze Zeit gesteckt?“
„Bst“, sagte Jack mit einem pfiffigen Augenzwinkern, indem er an Slocum vorbei in den Laden schritt, dort am Ladentisch stehen blieb und sein dickes Taschenbuch, das er der Sicherheit wegen mit einem Bindfaden umwunden hatte, aus der Tasche zog; „wie viel machte die ganze Summe?“
„Für meine Rechnungen?“ rief Slocum erstaunt.
„Gewiß. Wie viel war’s im Ganzen?“
„562 Dollars 15 Cents.“
„Hm – stimmt!“ sagte Jack, indem er sein Taschenbuch aufknüpfte und dann eine ganze Menge Banknoten auf den Tisch schüttete, „hier sind also 498 Dollars baar Geld –“
„Aber Jack!“ rief Slocum in vollem Erstaunen aus, „woher habt Ihr das viele Geld?“
„Nun, für Eure Rechnungen, versteht sich – also 498 Dollars baar und 43 Dollars in kleinen Noten – die Leute hatten wirklich kein baar Geld im Haus, sonst hätt’ ich’s gekriegt. Fehlen nur 19 Dollars, aber Bucks, der Euch 11 Dollars schuldig ist – hier habt Ihr seine Rechnung – ist gestern erst nach dem Norden gezogen, und Hussels war nach Memphis gegangen und nicht zu Hause, was ihm 8 Dollars eingebracht hat.“
„Ja, aber Jack!“ rief Slocum, der sich von seinem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte – „wie in aller Welt habt Ihr denn die Leute nur zum Zahlen gebracht? Ich hätte es nie für möglich gehalten.“
Jack lächelte, zog seinen alten Revolver aus der Tasche und legte ihn neben das Geld auf den Ladentisch.
„Das war mein Kassirer“, sagte er, „und ein Glück, daß Ihr mir ihn neulich nicht für fünf Dollars abkauftet, denn er hat mir jetzt bedeutend mehr eingebracht.“
Slocum wollte sich ausschütten vor Lachen, daß Jack seine Rechnungen mit dem Revolver einkassirt – aber seine Geschäfte waren dadurch auch in dieser Nachbarschaft vollkommen erledigt, da er die paar Notes oder Wechsel zu den geringen Beträgen überall mit einem kleinen Verlust verkaufen konnte.
Einige der also „Geprellten“, wie sie meinten, hatten nun allerdings nicht übel Lust, Jack für „Gelderpressung“ zu verklagen, aber die
Friedrich Gerstäcker: Ein neuer Weg, alte Schulden einzucassiren. A. H. Payne, Leipzig 1870, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_neuer_Weg,_alte_Schulden_einzucassiren-Gerstaecker-1870.djvu/10&oldid=- (Version vom 31.7.2018)