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Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/261

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

650—652. Die Abstufung der Satztakte unter einander. 241


d.h. nur Mittelstärke; dies ist vom phonetischen Standpunkt aus unrichtig, wenn es als allgemeine Regel gelten soll. Zwar kann im Compositum die Stammsilbe eines zweiten Gliedes zu blosser Mittelstärke und noch weiter herabgedriickt werden, urspriinglich aber bezeichnet die Stammsilbe des zweiten Gliedes den Kintritt eines neuen Hauptaccents (Lachmann’s Hochton), der nur nicht ganz die Stiirke des vorausgegangenen erreicht, mithin als ein Hauptaccent zweiten Grades zu bezeichnen wäre.

650. Bei diesen natürlichen Abstufungen ist der Stürkeunterschied der benachbarten Takte im Ganzen nicht sehr bedeutend. Dagegen treten bei jenen willkiirlichen Abstufungen (dem dynamischen Sinnesaccent) auch gréssere Differenzen auf, und zwar wiichst die absolute wie relative Stiirke eines Taktes um so mehr, je mehr Gewicht, ‘Nachdruck’ auf seinen Begriffsinhalt gelegt wird.

651. Durch solche Veränderungen des Nachdrucks, der auf einzelne Theile der Wortreihe (von der einfachen Silbe bis zum vielsilbigen Worte hinauf) gelegt wird, verschiebt sich oft auch die ganze Takteintheilung der Reihe, nämlich stets da, wo eine bei gewöhnlicher Sprechweise schwächere Silbe zur Nachdruckssilbe gemacht wird: denn dadurch wird sie zur Anfangssilbe eines neuen Taktes. Man vergleiche z. B. die Variationen der oben 645 analysirten Wortreihe ‘wo seid ihr gewesen’ als wō·zaiti:rgᵊ wezn, -wo zai·tirgᵊ : wezn, wō·zai tīrgᵊ wēzn (oder -wozai tī·rgᵊ wēzn) etc. mit ‘Nachdruck’ auf wo, seid, ihr etc. Dass es sich auch hier stets um Bildung neuer ‘Sätze’ handelt, versteht sich von selbst.

652. Takte und Taktgruppen. Es ist oft schwer, zwischen einem langen Takte mit gewichtiger mittelstarker Silbe und zwei vollen Takten mit fallender Stärke zu unterscheiden. Man kann das Wort ‘Alterthumskunde’ (s. oben) sowohl als a·ltᵊrtū:ms ku·ndᵊ, wie als a·ltᵊrtūmsku:nd sprechen und auffassen. Es hängt das wesentlich von der Stellung im Satze und den Nachdrucksverhältnissen der benachbarten Takte ab, auch die Quantität spielt eine Rolle dabei (vgl. 719 ff.). Steht eine solche Silbenreihe wie alt'rtumskund am Ende eines Satzes, wo die Quantität der einzelnen Silben überhaupt gesteigert zu werden pflegt, so spaltet sie sich leicht in zwei rhythmisch coordinirte Takte, d. h. die zweitstärkste Silbe erhält einen dynamischen Accent ersten Grades; z. B. in dem Satze -ᵊrbᵊ zū·xtᵊdi fō·rlē:zuꬻᵊny:bᵊr (oder fō·rlēzu:ꬻᵊny:bᵊr) grī·χišᵊ a·ltᵊrtū:ms kundᵊ ‘er besuchte die Vorlesungen über griechische Alterthumskunde’. Steht aber eine solche Reihe nachdrucksloser im Innern des Satzes, und liegt insbesondere der Nachdruck auf einem späteren Takt, so wird zugleich mit einer Minderung der Quantität auch der Nachdruck der ganzen Reihe geschwächt, und die zweitstärkste Silbe dadurch zum Range einer bloss

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/261&oldid=- (Version vom 24.7.2024)