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Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/398

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Armband eines Newarisklaven.

Ich hielt mich ziemlich lange bei diesen Leuten auf, um meinen Trägertrupp herankommen zu lassen und konnte bei dieser Gelegenheit noch einige Merkwürdigkeiten von den Leuten erstehen, eine Halskette aus Zähnen wilder Tiere und ein Armband aus Bronze mit Einlagen aus Blei und Kupferdraht, das dem Besitzer für einen heilkräftigen Talisman galt und von dem er sich deshalb gar nicht trennen wollte. Nachdem wir handelseinig geworden waren, mußte ich staunen, wie gleichgültig er gegen die Schmerzen war, die ihm das Auseinanderbiegen des um das Handgelenk geschmiedeten Ringes mit Hilfe eines Brecheisens machen mußte, aber nicht weniger wunderte ich mich über das mädchenhaft zierliche, schlanke Handgelenk dieses Mannes, der doch imstande war, eine Last von weit mehr als einem Zentner über Berg und Tal zu schleppen.

Beim Hirtendorf Dschetpur[WS 1] schlug ich am Schluß des stets nordwärts gerichteten Tagesmarsches mein Zeltchen auf. In vollen Zügen konnte ich wieder alle die Freuden eines Himalaja-Biwaks genießen, die ich in meinen „Indischen Gletscherfahrten“ zu oft ausführlich geschildert habe, um mich hier in Wiederholungen dieser mit Worten eigentlich gar nicht wiederzugebenden Eindrücke ergehen zu dürfen. Daß ich dabei keinerlei Notizen machen konnte, grämte mich wenig, denn ich betrachtete diesen Ausflug mehr wie eine Erholung nach meinen Arbeiten in Nepal als wie ein Studium.

Vor Tagesgrauen war ich wieder auf, um baldmöglichst den etwa dreitausend Meter hohen Rücken des Kukanni zu erreichen. Als ich mich ihm auf einem überaus holprigen Bergpfad näherte, bemerkte ich mit wachsenden Schrecken, daß sich in den Schluchten unaufhörlich schwere Wolkenmassen bildeten und als höchst unwillkommene dichte Vorhänge vor die Umgebung schoben; ich knirschte vor Unmut, denn ich konnte kaum noch auf einen deutlichen Anblick des höchsten Berges der Erde hoffen, und dies war für mich um so schmerzlicher, weil diesem Berge bislang noch kein Europäer näher gekommen ist, als mir dies vergönnt war.[WS 2]

Gipfel des Gaurisankar-Everest,
des höchsten Berges der Erde, aus Westen (vom Kukanni in Nepal) gesehen. Im Vordergrund der Verfasser mit Newari-Sklaven.

Doch wie man einen Tag nicht eher loben soll, als bis auch sein Abend glückvoll verronnen ist, darf man auch nicht eher jammern, als bis wirklich gar keine Hilfe mehr möglich ist. Gewohnt, daß entstehende zarte Wolkengebilde im Gebirge sich stetig dichter um die Bergkuppen lagern, traute ich meinen Augen kaum, als der ganze wogende Wolkenschleier anfing, sich zu senken, so daß seine dicken Dampfballen nur die zu meinen Füßen gähnenden Täler von Liku,[WS 3] Taddi Kholas und das vom Trisulganga durchrauschte Tal von Noakot[WS 4] ausfüllten, die alle niedriger liegen, als das Hochtal des Bagmati, aus dem ich kam, mir dagegen allmählich den ganzen Umkreis von Hochgebirgsriesen enthüllten, der sich in einem Winkel von 120° von Nordost nach Nordwest um mich erstreckte. Zunächst wurden die Schneeberge im Westen sichtbar, der Yasa und Mutsiputra,[WS 5] dann der Dhaulagiri und der Gosainthan, die beide mehr als

26 000 Fuß hoch sind,[WS 6] und dann sank auch zu meiner grenzenlosen Freude und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Dschetpur: vergleiche Jitpurphedi (en)
  2. WS: Nähe zum Everest: Kakani mag einen besseren Ausblick sowohl auf den Gaurisankar wie auf den Everest bieten; geographisch ist der Ort jedoch von beiden Gipfeln so weit entfernt wie auch Kathmandu. An derselben Stelle befand sich bereits vor Boeck der Brite Daniel Wright.
  3. WS: Liku: Ort noch nicht identifiziert
  4. WS: Taddi Kholas, Trisulganga, Noakot: vergleiche Tadi Khola, Trishuli (ganga), Nuwakot
  5. WS: Yasa, Mutsiputra: Gipfel noch nicht identifiziert, trugen diesen Namen wohl nur in Literatur bis zur Jahrhundertwende.
  6. WS: Die in diesem Abschnitt angesammelten Angaben zu Berg und Tal finden sich schreibweisegetreu bei Daniel Wright: History of Nepal (1877); vergleiche Google, S. 8
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/398&oldid=- (Version vom 7.5.2021)