Der Wächter des Rasthauses in Katmandu hatte nicht erwartet, daß ich in so gewaltigen Tagemärschen dorthin kommen würde, und stand nun, aus dem Schlafe emporgeschreckt, bei meinem Eintreffen ganz verlegen mit seiner Laterne zwischen verschiedenen Farbentöpfen, die er zum Tünchen des noch recht unwohnlich aussehenden Bungalos gebraucht hatte. Zufällig bemerkte ein in der Nachbarschaft wohnender gelehrter Hindu, der noch über seinen Büchern saß, meine Ankunft und lud mich ein, in seinem Hause zu übernachten, so daß ich nicht erst mein Zelt aufzustellen brauchte, sondern mich bei einem „schnellen Tod“, wie der Indier einen Hühnerbraten nennt, von den Strapazen und Ereignissen des Tages erholen konnte. Nach dem Essen beriet ich mit dem Indier, der dem englischen Gesandten als Dolmetscher oder „Babu“[WS 3] für schwierige Dialekte diente, wie ich die mir vergönnte kurze Zeit von nur vier Wochen am zweckdienlichsten ausnützen könnte.
Es ist nicht leicht, die Verhältnisse des Landes Nepal und das, was es wirklich so merkwürdig macht, in treffender Kürze zu schildern. Kann jemand, ohne selbst einmal vom Heidelberger Schloß zu den Neckarufern hinuntergeschaut und sich dabei der glanz- und leidensvollen Tage, die dasselbe gesehen, erinnert zu haben, aus einer nüchternen Beschreibung
den unsagbaren Zauber herausfühlen, den dort der dichte
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS: Bhim Sens Narrheit: vergleiche Dharahara-Turm. Wörtliche Übersetzung einer zeitgenössischen englischen Bezeichnung, „Bhimsen's Folly“
- ↑ WS: Gosainthan: vergleiche Shishapangma
- ↑ WS: Babu: vergleiche Babu
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/319&oldid=- (Version vom 1.7.2018)