Zum Inhalt springen

Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/317

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

So löste ein merkwürdiger Anblick den anderen ab. Ich glaube jedes Gewehr und jede Badewanne, jeden Musikanten und jede Tänzerin, kurz all und jedes gesehen zu haben, was zu dem Jagdlager über die Berge geschafft wurde. Ich konnte wirklich nicht zählen, wie viele hundert Körbe voll Orangen, Ananas und Rettiche, wie viele Hunderte von Säcken mit Reis und Käfigen voll Enten und Hühnern, oder wieviel Ziegen- und Hammelherden an mir vorbeigeschafft wurden, aber jedenfalls übertraf dieses Übermaß alle Vorstellungen, die ich mir bis dahin von einer solchen asiatischen Jagdveranstaltung gemacht hatte. Man zeigte mir z. B. allein fünfzig Körbe mit Fasaneneiern, deren Gelbes die Damen des Hofes zur Pflege ihres schönen schwarzen Haares zu benutzen gedachten!

Auf der Paßhöhe angelangt, kletterte ich aus meinem Dändi heraus, um meinen Abstieg zwischen den dichten Scharen der Heraufkommenden lieber zu Fuß zu versuchen. Ich setzte mich, um meine Schuhe wieder gegen derbere Bergstiefel zu vertauschen, auf einen Felsblock und hatte bald eine Unzahl von mich anstaunenden Bergsoldaten um mich versammelt; die Aussicht nach Süden, auf den zurückgelegten Weg lag unbeschränkt vor mir, die nach Norden war aber zu meinem Leidwesen durch dichtes Buschwerk vollständig versperrt, und ich blickte wohl ziemlich verdrießlich auf diese üppig grünende Wand.

Während meines Schuhwechselns trat ein höherer Offizier an mich heran und gab, nachdem er gehört hatte, daß ich nur aus Wissensdrang nach Nepal gekommen sei, um die Merkwürdigkeiten des schönen Landes kennen zu lernen, einigen Gorkhasoldaten einen leisen Befehl, den diese ihren noch emporsteigenden Kameraden übermittelten. Mit wunderbarer Schnelligkeit sanken unter den wuchtigen Hieben ihrer krummen Kukrimesser[WS 1] die Bäume und Sträucher hinter meinem Sitz und enthüllten dort wie mit einem Zauberschlage ein Bild, das man so märchenhaft schön nirgends in der Welt zum zweiten Male finden kann.

Allerdings hatte ich ja bereits früher in den Gletscherwildnissen des eigentlichen Himalaja aus allernächster Nähe viel erschütterndere Eindrücke der Hochgebirgsschönheit empfangen, hier aber sah ich, wenn auch aus viel größerer Ferne, dafür aber um so umfassender, die großartigsten Berggestalten unserer Erde, den Gaurisankar, Kanschendschunga und Dhaulagiri[WS 2] als denkbar erhabensten irdischen Hintergrund vor dem nun Groß-Nepal das fruchtbare Tal des Bagmatistromes mit der Landeshauptstadt Katmandu, zu meinen Füßen lag. Diese blendendweiße Alpenkette am Horizont begann bereits in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne zu glühen, und goldschimmernde Tempelspitzen lenkten meinen Blick in die Tiefe zu zahlreichen Städten und Dörfern inmitten wohlbebauter Felder, zwischen denen die Wasserläufe des Bagmati und Wischnumati[WS 3] und ihrer Zuflüsse blinkten. Die ganze Landschaft war von vollendetster, wahrhaft idealer Schönheit, verblaßte aber bald in Nebel und Dämmerung. Nur der Firngipfel des Everest-Gaurisankar strahlte noch geraume

Zeit in rötlichem Lichte und rechtfertigte den Glauben der Nepaler, daß der furchtbare Gott Mahadeo mit besonderer Vorliebe auf diesem Berggipfel throne. Ohne

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Kukri: vergleiche Khukuri
  2. WS: Dhaulagiri: vergleiche Dhaulagiri
  3. WS: Wischnumati: vergleiche Bisnumati River (en), auch Bishnumati und Vishnumati
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/317&oldid=- (Version vom 1.7.2018)