In einer Theatervorstellung, welcher G. mit jungen Venetianern seiner Bekanntschaft beigewohnt, waren deutsche Eigenthümlichkeiten stark ins Lächerliche gezogen worden. Da jene jungen Nobili fortan die betreffenden Witzworte in seiner Gegenwart allzuoft im Munde führten und in einer sein patriotisches Empfinden verletzenden Weise auszubeuten nicht aufhörten, beschloß er, den übermüthigen Italienern eine Lektion zu ertheilen. Zu diesem Zwecke ließ er vor denselben, bei einer geeigneten Gelegenheit, ein kleines Theaterstück aufführen, in welchem der Geist Cicero’s in den Straßen von Rom Umschau hält nach den dermaligen Zuständen in der zu seiner Zeit weltbeherrschenden Roma. Bei seiner Wanderung begegnet er einem Deutschen und läßt von diesem über die Fortschritte der Zeit auf den verschiedenen Lebensgebieten sich belehren. Dabei erfährt er von der Kunst des Buchdruckes, von der Zeitmessung durch Uhren, von der Anwendung des Schießpulvers und dergl. mehr. Die Erfolge der Geistesthätigkeit seiner Nachkommen setzen Cicero in Erstaunen; voller Empörung vernimmt er aber, daß dies alles Erfindungen der deutschen Barbaren seien. Nun verlangt er noch Landsleute zu sehen. Da treten einige schmutzige und zerlumpte Burschen auf, wandernde Zitronenverkäufer, Murmelthierträger und Dudelsackspieler, als Typen italienischer Industrie. Der Geist Cicero’s schlägt entsetzt die Arme über seinem Haupte zusammen und sinkt in die Unterwelt zurück[1].
Kann diese hübsche Anekdote, wie gesagt, nicht mit Zuverlässigkeit als das Erlebniß unseres Gersdorff bezeichnet werden, so liegt doch kein Grund vor, auch den zweiten Theil der in Rede stehenden Familien-Tradition in Zweifel zu ziehen, nur mit der selbstverständlichen Einschränkung, daß man die sogleich zu erwähnende Affaire nicht unbedingt als die Konsequenz jener dramatischen Persiflage ansieht, sondern es dahingestellt sein läßt, wodurch sie veranlaßt worden sein möge. Kurzum, G. hatte auf irgend welche Weise den Zorn einiger junger Nobili erregt, war deshalb von ihnen viritim auf Pistolen gefordert worden und hatte diese Forderungen angenommen. Dieselben sollten sofort zum Austrage gelangen. Gersdorff war schon vor der verabredeten Zeit am Orte des Rendezvous eingetroffen, um seine Pistolen noch einmal zu probiren, und schoß hierbei aus einem irgendwo befestigten Kartenblatte, der Pique-Fünf, der Reihe nach alle fünf Zeichen schnell heraus. Auf seine inzwischen auf dem Kampfplatze angelangten, heißblütigen Gegner, welche dieses Probeschießen aus einiger Entfernung beobachtet hatten, soll die Treffsicherheit des deutschen Kavaliers so ernüchternd gewirkt haben, daß zu friedlicher Ausgleichung der Differenz ein Weg bald gefunden wurde.
Es läßt sich nicht nachweisen, ob Gersdorff dem militärischen Berufe sich zu widmen, von Haus aus beabsichtigt hat, oder ob dieser Entschluß mit gezeitigt worden ist durch die schon vor Anfang des Jahres 1730 in ganz Europa erschallenden Posaunenstöße der Fama von dem Bevorstehen des „großen Campement der chursächsischen Truppen bei Zeithayn und Radewitz in der Mühlberger Gegend“[2]. Gleichviel, mit Ueberspringung der niederen Rangstufen wurde er in Rücksicht auf seine Kenntnisse in den mathematischen Wissenschaften unterm 24. April 1730, sonach im Alter von 25 Jahren, ohne Weiteres als „aggregirter Capitaine bei dem Ingenieur-Korps[3], jedoch noch zur Zeit ohne Traktament“, angestellt[4]). Zum Chef hatte dieses Elitekorps seit 1728 den berühmten General Johann Freiherrn von Bodt, welcher in dem Zeithainer Lager ein Kommando unter dem Oberbefehle des Generalfeldmarschalls Grafen Wackerbarth führte. Annehmbar hat unser junger Ingenieur-Capitaine bei den Vorbereitungen und bei der Ausführung dieser großartigen und glänzenden Veranstaltung (Monat Mai bis 27. Juni 1730) seine erste dienstliche Verwendung gefunden.
Auch in anderen Zweigen des erwählten Berufes war er sich auszubilden bestrebt.
Ein Jahr später finden wir ihn im hiesigen Hauptzeughause, um, wie ihm auf Ansuchen gestattet worden war, bei dem Zeughauptmann Paul Michael Klipgen
- ↑ Fast gleichlautend wird diese Geschichte ebenfalls aus Venedig erzählt von A. G. Meißner, zuerst im „Teutschen Museum“, 1777, Juliheft, dann in seinen „Skizzen“, I. S. 90 ff. der 3. Ausgabe von 1792, später auch von Rivethal im „Lukumon“ (Leipzig 1799) II. S. 294 ff., allenthalben jedoch mit der Abänderung, daß im Mittelpunkt der Geschichte ein Erbprinz von Württemberg steht, dessen Reisebegleiter, Kammerherr v. E–l (Etzel?) das satirische Dramolet am Vorabende der geheim gehaltenen Abreise des Prinzen am Schlusse eines von demselben gegebenen opulenten Festes der erstaunten venetianischen Aristokratie soll haben vorführen lassen, zur Strafe dafür, daß man wiederholt bei privaten Theatervorstellungen in Gegenwart des dazu eingeladenen Prinzen Spöttereien über deutsches Wesen sich gestattet hatte. Jener Erbprinz soll der nachmalige Herzog Carl Alexander (1684–1737) gewesen sein. Hinwiederum wird in Heinr. Wagner’s „Geschichte der hohen Carlsschule“ (Würzburg 1857–59), II. S. 50. dieselbe Anekdote, jedoch ohne Erwähnung des Kammerherrn v. E–l, dem Sohne Carl Alexanders, dem nachmal. Herzoge Carl Eugen (1728–93), Stifter der Carlsschule, zugeschrieben, was in Wolfgang Menzel’s Literaturblatt, 1859, S. 418 Widerlegung findet. – Die Grundidee zu der dramatischen Satire ist der lateinischen Dichtung „Julius Caesar et M. T. Cicero redivivi“ des württemberger Philologen Nicodemus Frischlin (1547–99) entnommen, worauf Hofrath Kästner im „Teutschen Museum“, Februarheft 1779, zuerst aufmerksam gemacht hat.
- ↑ 27,100 Mann mit 72 Geschützen.
- ↑ Uniform: dunkelgrüner Rock mit ponceaurother Verbrämung und Silber (noch jetzt die der sächsischen Pioniere).
- ↑ Akta der Geh. Kabinetskanzlei, das Ingenieur-Korps betr. Vol. I. Bl. 143 f. (Haupt-Staats-Archiv, Loc. 1080).
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/95&oldid=- (Version vom 24.7.2024)