Liebe, von der unaufhörlich und im leichtesten Tändelton gesprochen wird, ist nicht die tiefe, sittliche Liebe, sondern eine höchst äußerliche und durchaus sinnliche Verliebtheit. Daher laufen denn auch starke Zweideutigkeiten und unverhüllte Schlüpfrigkeiten mit unter, wenn sie auch noch nicht so im Schwange sind, wie in der zweiten schlesischen Schule. Bei Brehme begegnen kleine Zweideutigkeiten hie und da in Hochzeitsgedichten, stärkere schon in dem Schäferlied „Die chiromantische Candia“; zur offenen Schlüpfrigkeit geht er über in der „Unterredung eines Cavaliers mit einem Galan, worin ein jeder seinen Spaß lobet“, jener den Kampf im Felde, dieser die Liebesfreuden daheim – ein ähnlicher Gegensatz, wie in Körners bekanntem Liede „Männer und Buben“, nur daß bei Brehme – stracks entgegen dem sittlichen Ernste Körners – bezeichnender Weise der Kavalier schließlich die Sinnenlust des Galans eintauschen möchte. Ohne Sinnlichkeit wird das Thema Tapferkeit und Frauenliebe in der Unterredung von zwei Damen und einem Ritter behandelt, wo es zum Schluß heißt:
„Das heißt recht ritterlich ein guter Ritter werden,
Wo man neben Waffen
Mit der Liebe hat zu schaffen
Auf der Erden.
Mit Ernst an den Feind und zu der Dam’ im Scherze:
Das ist der rechte Mann.“
Eine besondere Gattung des Schäferliedes ist romanzenartig: statt bloßer Empfindungen und Betrachtungen spielt sich da eine kleine idyllische Handlung ab. Lieder dieser Art finden sich auch viele unter den Gesellschaftsliedern jener Zeit. Die Gattung hat sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein erhalten. Brehme hat diese Art wenig gepflegt: es fehlte ihm dazu wohl die Leichtigkeit und der Fluß der Darstellung. Leidlich gelungen ist ihm das Liedchen „von der Mirella und und dem Corydon“: es ist im Tone leichten Scherzes gehalten und entbehrt nicht einer gewissen Zierlichkeit. Mirella seufzt den Geliebten sehnsüchtig herbei, der unbemerkt von ihr in der Nähe ist; Corydon mißtrauisch, ob die vernommenen Seufzer wirklich ihm gelten, tritt vor, geberdet sich aber, als ob er sie gleichfalls nicht sähe und ruft:
„Mirella Du mein Ich,
Ach wenn ich küßte Dich’ –
Umfing also ein Baum und küßte ihn.
Mirella lief, schrie: Ich nicht hölzern bin,
Mein Corydon gieb mir
Den Kuß, ich bin schon hier.“
Beide sind froh, sich zu haben: zum Andenken nennt er den Ort „mon plaisir“, einer Sitte folgend, die über ein Jahrhundert später während der Empfindsamkeitsperiode große Ausbreitung gewann.
Die ganze Schäferdichtung hat ja schließlich auch einen sittlichen Nährboden: dieser ist das in der Tiefe der Seele ruhende Bedürfniß, der verderbten und verlogenen Hof- und Stadtleben, dem langen verwildernden Kriegselend in der Poesie den Rücken zu wenden durch die Flucht in ein besseres Dasein in der Natur: doch unfähig und ungewillt, die Hof- und Stadtfesseln auch nur in der Einbildung ganz zu lösen, lenkte die höfisch- gelehrte Dichtung ihre Flucht nicht in die wahre Natur, sondern in ein wesenloses Mittelding, ein flitterhaftes, arkadisches Schäferleben, das im Grunde nichts weiter ist als ein kostümirtes Hofleben: die literarische Flucht in das Landleben sinkt zum leeren Formenspiel herab – für die wahre ungekünstelte Natur haben diese Dichter keinen Sinn. Dem wirklichen Landleben aber und seinen leibhaftigen Vertretern, den echten Bauern, bringen sie nur die volle Verachtung und das volle Unverständniß des Hof- und Stadtmenschen entgegen. Ueberaus bezeichnend für diese Verachtung ist bei Brehme das derbe Lied „Die Verweisung eines Bauern bei einer Cavaliers- Compagnie“, das eine unfreiwillige Satire auf die ganze Schäferpoesie ist:
„Sieh da, was bringt dort Corydon,
Der grobe plumpe Rülpensohn,
Was will er doch bei Cavalieren machen!
Wir leiden keinen Bauer hier,
Er schenkte denn uns ein das Bier,
Uns Herren müßt zu Diensten sein ihr Hachen.“
Den Corydon verdrosse das,
Meint, er hätt auch gelernet was,
Und sagte bald: Die schönen Bäuerinnen,
Die lassen baß bedienen sich
Von solchem Volk, als wie bin ich:
Denn, welche stark, auch stärker dienen künnen.
Die Compagny die lacht und sagt:
Ein’ schöne Dame uns behagt
Und bleibe Du bei Deinen Bauertrinen;
Ein’ solchen Schatz, gleich wie Du bist,
Kann eine Magd, die voller Mist
Und lauter Koth, mit ihrem Scherz versühnen.
Zahlreiche lyrische Gedichte sind nun auch, wie dies dem Zeitgeschmack entsprach, in den Schäferroman Coelinde und Corimbo eingestreut, in oft ganz losem Zusammenhang mit der dürftigen Handlung. Hie und da dienen sie ja als Empfindungsventil der handelnden Personen, aber durchaus nicht immer; oft genug ist die Veranlassung solcher Reimereien ganz äußerlich herbeigezogen. Häufig sind es auch kleine Verse, die an Bildern, Wänden, Bauwerken angebracht sind, „Sinnsprüche“ oder „Aufschriften“, d. i. Epigramme. Diese poetischen Einlagen der Schäferromane nehmen so breiten Raum ein, treten so anspruchsvoll auf, daß man den sicheren Eindruck gewinnt, sie sollen die Hauptsache
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/284&oldid=- (Version vom 24.8.2024)