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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/282

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gebricht es selbst dort, wo sie mit dem Anspruche geistiger Selbständigkeit auftritt, zumeist an Unmittelbarkeit; die geschilderten Seelenvorgänge haben alle eine konventionelle Färbung, sie ist mit einem Worte keine erlebte, sondern angelernte und anempfundene Dichtung. Sie zeigt oft eine erschreckende geistige Leere, einen Mangel an originellen Gedanken, über den uns weder hohe technische Vollendung, noch der bunteste Wortflitter hinwegtäuschen können“[1]. Wahre Dichternaturen waren in dieser Zeit selten.

Christian Brehme ist ganz geeignet, als ein Typus jener Literaturepoche zu gelten, einmal, weil in seinen Erzeugnissen die geistigen Grundstoffe der Zeit so ziemlich zur Erscheinung kommen, und dann, weil er ungefähr das Mittelmaß jener Dichtung darstellt – er ist nicht besser und auch nicht viel schlechter als der damalige Durchschnittsdichter überhaupt. So mag er auch hier mehr als Typus der Gattung, weniger als dichterische Einzelpersönlichkeit betrachtet werden.

Wie viele andere ging auch Brehme von der Gelegenheitsdichtung aus. Seine erste Spur finden wir auf dieser Bahn: ein Gedicht auf ein Begräbniß. Und auch weiterhin hat er öfters äußeren und festlichen Anlässen, wie Hochzeiten, Namenstagen, Begräbnissen zu Liebe die Leier zur Hand genommen; eine Anzahl davon hat er in seine Gedichtsammlungen eingereiht. Doch ist wohl anzunehmen, daß er das Gelegenheitsdichten kaum je in völlig handwerksmäßiger Weise betrieben hat, da er ja nach Herkunft und Wohlstand gut gestellt war und nicht nach anderer Leute Gunst oder gar Geld zu haschen brauchte. Unter seinen Gelegenheitsgedichten finden sich neben besseren nun auch solche von der damals häufigen Art, die Poesie mit Schwulst und Uebertreibung verwechseln, so eine fürchterliche Ode beim Hinscheiden des Leipziger Bürgermeisters Dr. Zabel 1638; darin redet er die Stadt Leipzig folgendermaßen an:

„Wie groß ist Dein Verlust,
O Leipzig! Deine Brust
Ist tot und nun von hinnen.
Dein Vater, Dein selbst Du,
Dein Schutz und Deine Ruh,
Dein ganz Beginnen!
Du selbsten bist mit tot –
O unverhoffte Not!
Wer wird Dich nun vertreten?
Wer wird Dir geben recht,
Du wol verlassner Knecht,
Und für Dich beten?

In diesem Tone geht es fort bis zum Schluß. An solchen höfisch-bombastischen Uebertreibungen leiden namentlich auch die Geburtstagscarmina. Die Hochzeitsgedichte wieder schwelgen in tändelnden Liebesempfindungen. Besonders kennzeichnend für die Hochzeitsgedichte ist die Einkleidung in irgend eine kleine humoristisch-poetische Erfindung. Da wird „Cupido als ein Jungfernkrämer aufgeführt“, der Jungfern feil hält; verschiedene Käufer kommen, denen er seine Waare anpreist; angehängt ist eine kurze Ode an das Hochzeitspaar; bei der Anpreisung kommen die Dresdner Damen nicht zum besten weg, sie werden damit aufgezogen, „daß sie nur zur Gassen naus gebaut“ seien und „so gern nach denen Dingen trachten, die nur von außen schön“. Zu bemerken ist dabei, daß Brehme damals noch nicht in Dresden lebte. In einem andern Hochzeitslied wird auf der Messe ein „Jungfern- und Junggesellen-Glückstopf“ aufgestellt, zu dem viel Zulauf ist: Braut und Bräutigam ziehen Loose und gewinnen sich gegenseitig. Ein andermal wieder ist eine Gesellschaft schöner Damen versammelt; Venus gesellt sich dazu und fordert jede auf, ihre Meinung von der Liebe zu sagen, zum Schluß verkündet die Göttin ihr eigenes Urtheil von der Liebe. Auch Trauergedichte schmückt Brehme bisweilen mit poetischen Erfindungen aus. Da schildert er das Totenschiff, auf dem die Seelen zweier Schwestern ins Jenseits segeln; oder er wird durch eine Nymphe in das Elysium versetzt und findet unter den Gedächtnißsäulen anderer Helden auch diejenige seines Freundes.

Außer den gewöhnlichen festlichen Vorgängen im Privat- und Familienleben bot sich dem Gelegenheitspoeten noch manch anderer Anlaß zu Versen. Wo dieser Anlaß ein bedeutender und allgemeiner ist, kommt er natürlich meist auch der poetischen Darstellung zu Gute. Auf das Friedensdankfest nach dem großen Kriege, das in Sachsen am 22. Juli 1650 gefeiert ward, dichtete Brehme das warm empfundene und von echtem Schwung getragene Sonett:

„Brich an du großer Tag! Du viel erseufzte Stunde!
Viel tausend, tausend sind schon allbereit gefahren
In jenes andre Sein in zweimal fünfzehn Jahren.
Die Welt sich selber hat geächzet fast zu Grunde,
Eh’ wir erwimmert dich! Komm, heil uns unsre Wunde,
Womit wir allerseits so sehr geschlagen waren.
Ein jeder lasse nichts an seiner Kraft ersparen,
Zu loben unsern Gott, von Herzens Grund und Munde:
Denn heut erscheint der Tag, den wünschen alle Lande,
Gott gebe Fried und Glück und Heil zu allem Stande!“

Aber nicht nur Festlichkeiten, sondern alle möglichen Vorfälle im Leben des Einzelnen wurden Stoffe für den Gelegenheitsdichter. Da die Verskunst damals sehr beliebt und anderseits nicht allzu verbreitet war, so wünschte gar mancher, was er erlebte oder empfand, mit Versen begleitet zu sehen und wandte sich, wenn er selbst dieser Kunst nicht mächtig war, an einen Reimkundigen. Dieser Brauch war sehr im Schwange,

wie sich auch aus der obigen Aeußerung Opitz’ erkennen


  1. v. Waldberg, die deutsche Renaissance-Lyrik.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/282&oldid=- (Version vom 25.8.2024)