Nur die Steinmetzen wehrten sich. Wo ihre Hütten herrschten, erhielt sich meist die Gothik noch lange in unveränderter Form. Während in Sachsen schon 1518 Anklänge der italienischen Schaffensweise in den Werken des Bildhauers Franz von Magdeburg sich zeigten, entstand nach 1550 die rein gothische Kirche zu Marienberg.
Die neue Zeit stellte der Baukunst neue Aufgaben. Das 15. Jahrhundert hatte mit fieberhafter Hast Kirchen errichtet. Die erwachende religiöse Bewegung, der Wohlstand der Städte und ihre sich mehrende Volkszahl waren die Ursache dieser Leidenschaft. Aber die Bewegung hob in ihrer Folge die Klöster auf und öffnete ihre Kirchen. Man verjagte die Priester vom fast ununterbrochen andauernden Dienst an den zahlreich gespendeten Messen, um Sonntags der Predigt zu lauschen. Krieg und gesellschaftlicher Umschwung brachen die Macht der Städte und entvölkerten das Land; seltener wurden die großen Stiftungen, seit ihre Verdienstlichkeit minder unangefochten und das Geld knapper geworden war.
Dagegen stieg die Macht der Landesfürsten und mit ihr die des Rechtes. Die Straßen wurden sicher, die Fehden verschwanden, von den festen Burgen auf einsamer Höhe zogen die Landesherren in die Städte herab, um behäbige, prächtige, offene Paläste zu errichten. Der Profanbau wurde selbständig, es begann für ihn eine neue Künstlerschaar sich auszubilden, die mit Begeisterung der italienischen Kunstart sich hingab, der alten Hüttenregeln spottete und aus italienischen Lehrbüchern, ja unmittelbar aus dem schwer verständlichen Römer Vitruvius, sich Aufschluß über die richtige Formgebung und Anregung zu verfeinerter Lösung der Bauaufgaben holte.
Die Renaissance ist im Profanbau groß geworden. In diesem hat sie ihren vollendetsten Ausdruck, zumal in den Stammlanden der gothischen Kirchenarchitektur, in Frankreich und Deutschland, gefunden.
Während an den Kirchenbauten der Steinmetz herrschte, kamen nun neue Männer am Schloßbau zur Geltung. Noch wirkte am Georgenschlosse zu Dresden Hans Schickentanz, der Hüttenmeister der Kreuzkirche, aber Kurfürst Moritz übergab seinen Neubau schon einem am Festungswesen herangebildeten Manne, dem Kaspar Voigt von Wierandt. Die Steinmetzen, die Voigt berief, sind außer der Hütte stehende, theils Deutsche, theils Italiener aus der Po-Ebene. Andere Italiener, geübte Maler, schmücken die Außenwände des Schlosses mit sgraffitirten Gestalten, die Säle mit Fresken, während noch vor einem halben Jahrhundert zu den Kirchen von Mailand, von Assisi, von Florenz deutsche Meister zu Rath und That herbeigezogen wurden. Die deutschen Steinmetzen standen grollend, ihrer alten Bedeutung beraubt, bei Seite.
Es zeigte sich aber bald, namentlich auch in Sachsen, daß die Lücke, die das Zurücktreten der Baumeister des Mittelalters gelassen, nicht so leicht zu füllen war. Besonders Kurfürst August empfand dieselbe. Seinem regen Bausinne fehlte es an einem geistreichen Fachmann, der seine Pläne künstlerisch zu verwirklichen vermocht hätte. Kurfürst Ernst hatte seinen Arnold von Westfalen, Herzog Georg seinen Konrad Pfluger, Peter von Pirna und Jacob von Schweinfurt, August suchte fast bei jedem Bau nach neuen Leuten. Keinem vertraute er ganz. So lange Kaspar Voigt noch in voller Thatkraft war, war dieser wohl sein nächster Berather. Dann wendete er sich an Hans Irmisch, den Erbauer des Kanzleihauses zu Dresden. Der Leipziger Bürgermeister Hieronymus Lotter erhielt den Auftrag zur Errichtung der Augustusburg. Beiden aber fehlt der künstlerische Schwung, der Eine ist nur Handwerker, der Andere gar Dilettant. Dann kam der hochgebildete „welsche Graf“, Rochus Quirin von Lynar, der wiederum vorwiegend Soldat und Festungsingenieur war. – Keinem aber blieb die Gunst des Fürsten dauernd erhalten. Das hat seinen guten Grund. Unter Kurfürst August gab es ja auch keinen bedeutenden Maler am Hofe. Der Fürst hatte keinen Sinn für die hohe Kunst und blieb, als ächtes Kind seiner Zeit, bei seinen künstlerischen Bestrebungen im Gewerbe stecken. Unermüdlich sorgte er für die Ausbildung der Kleinkünste; hier war er bereit, für reichere Arbeit erhöhte Kosten zu tragen. Aber als er Gemälde in Rom bestellen wollte, fand er, daß der „Mahllohn“ dort zu groß sei. Wahrhaft bedeutende Künstler blieben daher seinem Hofe völlig fern. Er wußte ihnen auch keine Aufgaben zu stellen. Denn das Bild war ihm nur um des dargestellten Gegenstandes willen von Werth. Wenn August bei Lucas Cranach dem jüngeren, seinem Lieblinge, ein Gemälde bestellte, so war es ein Bildniß, ganze Ahnengallerien oder ein Begebniß aus seinem Leben oder die Darstellung eines besonders mächtigen Stückes Wild, das er erlegt hatte.
Die hohe Kunst konnte unter solchen Umständen nicht gedeihen. Man fand nicht einmal für die großen Bauten eine wirklich monumentale Form. Jeder versuchte sich, die üblichen Schmuckformen zu steigern, die Zahl der Giebel zu vermehren, die Einzelbildungen reicher auszustatten, aber keiner offenbarte ein starkes künstlerisches Ich, das den Kurfürsten eingenommen und mit fortgerissen hätte.
Es sollte ein Tischler und Schraubenmacher sein, der sie schließlich alle, die Großen wie die Kleinen, ausstach, dem es vorbehalten blieb, der Hauptstadt Dresden zum Schluß des 16. Jahrhunderts die Formen seiner Kunst aufzuprägen: Paul Buchner.
Als im Herbst 1558 der damals 27 jährige Paul Buchner in Dresden anlangte, ein vielgewanderter junger
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/253&oldid=- (Version vom 20.8.2024)