und Destillateur Schmidt an der Spitze eines öffentlichen Zuges dem Ministerio Held im Lokale des Justizministerii eine Mißtrauensadresse überbringen würde. Ich eilte augenblicklich, den General Engel aufzusuchen, um ihn womöglich noch vor seiner Aufwartung bei dem Könige zu sprechen. Es glückte mir auch. Der General Engel war zwar bereits bei dem Könige gemeldet, wartete aber noch in dem Balkonzimmer des Königlichen Schlosses, weil der Kriegsminister Rabenhorst schon vorgelassen war, und so vermochte ich denn durch die Vorstellung der Dringlichkeit meiner Unterredung mit dem General Engel, ehe er bei dem Könige eintrete, den diensthabenden Portier, daß er Jenen noch einmal in das sogenannte Thronzimmer nach der Schloßgasse zu, bis wohin ich muthig vorgedrungen war, herausrief. Der General Engel, dem ich überhaupt in jener ganzen verhängnißvollen Epoche die größte Willfährigkeit und Humanität nachrühmen muß, kam auch wirklich heraus. – Damals ging Alles! – Ich stellte ihm vor, daß, wenn der König überhaupt sich noch entschließen könne, die Reichsverfassung anzuerkennen, dies vor dem Ablaufe zweier Stunden geschehen müsse. Bis dahin Vormittags um 11  Uhr – wo die Ueberreichung jener Mißtrauensadresse vor sich gehen sollte und auch wirklich vor sich gegangen ist – trage diese Anerkennung noch das Gepräge einer selbstständigen freiwilligen Handlung an sich, nach 11 Uhr werde sie als erzwungen erscheinen und somit jedes politische Gewicht verlieren, welches außerdem für den König, wie ich glaubte, von den segensreichsten Folgen sein müsse. Hierauf trat der Kriegsminister vom König heraus und zu uns hin. Ich fragte ihn, ob ihm das Vorhaben des Vaterlandsvereins bekannt sei? Er antwortete: „Ja, es sind aber keine bedenklichen Anzeichen da!“ – Da verneigte ich mich und – ging. Ich war mir bewußt, alles bis zur äußersten Erschöpfung gethan zu haben, was damals einem Privatmanne, denn in einer andern Eigenschaft konnte ich nicht handeln, möglich war. Der Himmel hat den Ausgang anders gefügt und das Schicksal Badens später gezeigt, wie wenig, auf meinem untergeordneten Standpunkte, eine richtige Voraussicht der Zukunft, auch bei dem besten Willen, zu erreichen stand. Ich bin jetzt auf das Vollkommenste überzeugt, daß, wenn auch der König die Reichsverfassung anerkannt hätte, die Revolution dadurch doch nicht unterdrückt, sondern höchstens um einige Zeit hinausgeschoben worden wäre. Sie, die Reichsverfassung, war blos Mittel zum Zweck, und zwar ein anscheinend recht ehrliches, sowie zugleich ein sehr wirksames, weil, bei der im Volke zu dessen allergrößtem Theile für die Reichsverfassung verbreiteten Sympathie, alle Parteien dadurch gewonnen wurden, die Einen zum Mithandeln, die Andern wenigstens zur Abneigung vor der Unterstützung von Gegenmaßregeln. Der wirkliche geheime Zweck aber, wozu jenes ostensible Mittel führen sollte, war: Umsturz der bestehenden Regierungsformen, denn die Demokratie im Sinne unserer sächsischen Radikalen ist ohne Republik undenkbar. Dieselben mögen sagen, was sie wollen, sie, die wahren d. h. gehörig instruirten Demokraten, wissen recht wohl, daß die Behauptung des Gegentheils nichts als eine Mystifikation ist, berechnet auf die Hasenherzigkeit ihrer eigenen Gimpel oder Novizen und auf die Simplizität der Konservativen.
Hätte ich übrigens damals schon gewußt, daß Preußen den übrigen deutschen Regierungen für den Fall von Unruhen wegen Nichtanerkennung der Reichsverfassung seine militärische Hilfe bereits angeboten hatte, ehe wir in Sachsen in die Lage kamen, diese Hilfe zu brauchen, dann würde sich auch mir die ganze Sachlage in einem andern Lichte dargestellt haben. Allein in dem Glauben, daß wir, den tobenden Brandungen der förmlich fanatisirten Volksbewegung gegenüber, auf die zu Tage liegende Unzulänglichkeit unserer eigenen Mittel beschränkt seien, mußte ich mit so vielen die Unbeugsamkeit des Königs für ein unberechenbares Wagstück halten. Denn, was man auch später immer über die Entbehrlichkeit der preußischen Hilfe an sich, mit der Behauptung, daß es ohne letztere nur längere Zeit in Anspruch genommen haben würde, den Aufstand zu bewältigen, gesagt haben mag: ich erinnere mich der Begrüßungsworte, womit der Generalleutnant von Schirnding die letzten beiden Bataillone des Regiments Kaiser Alexander, welche unter ihrem und des ganzen Regiments Kommandanten, damaligen Oberstleutnant Grafen Waldersee, auf dem Neustädter Markte in enggeschlossener Kolonne aufmarschirt waren, begrüßte, noch sehr wohl. Es kamen darinnen die Worte vor: „ich heiße Sie herzlich willkommen, denn Ihre Hilfe thut uns sehr noth!“ – Ich kenne den General von Schirnding zu lange – noch von Pegau her, wo er als Rittmeister stand – und zu genau, um nicht augenblicklich – da ich ganz in seiner Nähe war – herauszuhören, daß jene Worte gar sehr von Herzen kamen, und zwar von einem sehr erleichterten Herzen. Er aber als oberster Befehlshaber der damals hier vereinigten bewaffneten Macht mußte wohl am besten wissen, ob und inwieweit wir fremde Hilfe brauchten. Nur war es in der Folgezeit preußischerseits wenig ehrenhaft, daß, weil wir durch Hilfe von dort her dem Heißhunger der Demokratie entronnen waren, man nun von uns verlangte, wir sollten uns aus purer Dankbarkeit dagegen von Preußen verspeisen lassen, und daß, als wir dagegen protestirten und auch nach dem Gebote der gesetzlichen Selbsthilfe operirten, man die Vorwürfe des scheußlichsten Undankes
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/190&oldid=- (Version vom 13.8.2024)