vor und nach der Schlacht bei Kesselsdorf.
Man begegnet zuweilen der Anschauung, es sei nicht gutgethan, das Gedächtniß trüber Zeiten durch genaue Feststellung der Einzelvorgänge aufzufrischen und damit „alte Wunden“ wieder aufzureißen. Nichts ist weniger gerechtfertigt als eine solche Meinung. Zunächst vom Standpunkte der geschichtlichen Forschung aus: der Wissenschaft kommt es immer nur darauf an zu ergründen, wie es gewesen ist, gleichviel ob es sich um freudige oder traurige Ereignisse handelt, und selbst die Wißbegier des Laien wird nicht da Halt machen wollen, wo die Geschichte anfängt unerfreulich zu werden. Verkehrt aber würde auch der Patriot handeln, wenn er sich der bessern Erkenntniß der geschichtlichen Wahrheit verschließen und die Blätter, die von Unglück und Erniedrigung des Vaterlands erzählen, grundsätzlich überschlagen wollte. Kann doch die Betrachtung früherer schlimmer Zustände nur dazu dienen, Zufriedenheit und Freude an der Gegenwart zu erwecken – und dieser Erfolg muß es allein schon lohnen, sich mit der heimathlichen Geschichte auch in ihren unerfreulichen Erscheinungen zu beschäftigen.
Und zu den traurigsten Abschnitten der an Ungemach so reichen Geschichte unsers Sachsenlandes zählen allerdings die Zeiten des zweiten schlesischen und des siebenjährigen Krieges. Es ist die Periode, wo an Stelle des willensschwachen Fürsten ein gewissenloser Günstling die Regierung führte und Kraft und Blut des fleißigen Volkes vergeudete. Graf Brühl, dessen Namen der Sachse lange Zeit nicht ohne Verwünschung auszusprechen vermochte, trug die Schuld auch an dem Unheil, das im Jahre 1745 über das Land hereinbrach. Leichten Herzens hatte es der hochmüthige Höfling auf einen Krieg mit einem so bedeutenden und stark gerüsteten Gegner wie König Friedrich II. von Preußen ankommen lassen, obwohl Heer und Finanzen darauf nicht im geringsten vorbereitet waren.
„In den ersten Tagen des Monats Dezember 1745“, so schildert ein sächsischer Militärschriftsteller[2] die Lage, „befand sich die sächsische Armee, befehligt von dem Feldmarschall Herzog Johann Adolf II. von Sachsen-Weißenfels, unter den ungünstigsten Verhältnissen bei Dresden vereinigt. Von Leipzig her drohte das Korps des Fürsten von Anhalt, von der Lausitz das preußische Hauptheer unter Friedrich II. selbst, während die zur Unterstützung erwartete österreichische Armee des Prinzen Karl noch in Böhmen stand und, bei einem lebhaften Vorgehen der beiden feindlichen Korps, leicht mit ihrer Hilfe zu spät eintreffen konnte. Namentlich vermehrte der Marsch Friedrichs II. am 8. Dezember auf Königsbrück die Besorgnisse für Dresden, wo nur 3000 Kommandirte sämmtlicher Infanterieregimenter zur Vertheidigung disponibel waren. Mit diesen geringen Streitkräften und bei dem schlechten Zustande aller Befestigungswerke hielt es der Gouverneur, General
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/156&oldid=- (Version vom 21.6.2024)