10) Sonntag ... Gegen 4 Uhr mache ich einen Besuch bei Rietschel. Er sitzt im Kreise der Seinen, welchen sich seit gestern auch Wolfgang angeschlossen hat. Der arme Mann sieht sehr verfallen aus. Der Arzt meint selbst nun, daß es sich wohl nur noch um Wochen handle ...
11) Montag ... Museum. Schirmer. Ich zeige ihm Akte von mir, aus denen er sehen kann, wie verzeichnet die Christusfigur auf dem Bilde 22 [= 296, früher Andrea del Sarto, jetzt einem „unbestimmten Oberitaliener“ aus der „Mitte des 16. Jahrhunderts“ zugeschrieben] ist ...
13) Mittwoch ... Nachmittag will ich bei Rietschel einen Besuch machen. Er schläft. Die Frau Professor, welche mir dieses mittheilt mit der Bemerkung, daß er immer schwächer werde, berichtet mir von einem recht betrübenden Vorfall, der im Atelier sich zugetragen hat. Beim Abformen des neuen Kopfes des Luthermodells reißt der zu schwache Strick und die Form wie der Kopf zerbricht beim Herabfallen in viele Stücke. Dieser Unfall unter den jetzigen Umständen, wo unter anderm auch die Ablieferung nach Lauchhammer sehr drängt, ist sehr beklagenswerth ...
14) Donnerstag ... Nachmittag begebe ich mich in Rietschels Atelier. Ich finde Geheimrath Kohlschütter daselbst. Der Lutherkopf ist wieder aus dem Gröbsten hergestellt. – Mit Rietschel geht es übel. Das Fieber wie die Schwäche nehmen in raschem Fortschritt zu. Ich sehe ihn nicht. Er liegt. Wir werden ihn nicht mehr lange haben ...
15) Freitag ... Nach Tisch gehe ich wieder nach Rietschels Atelier. Der neue Lutherkopf ist fast fertig, und ich würde keinen Unterschied mit dem ersten aufzufinden vermögen ...
16) Samstag ... Ich spreche Frau Professor Rietschel. Es geht ihrem Mann sehr übel, und ich werde ihn nicht mehr sehen ...
17) Sonntag ... Die flüchtigen Skizzen, welche ich aus dem Weißkunig im Kupferstichkabinet mir gezeichnet habe, zeichne ich sauber auf Pflanzenpapier, um diese Studien meinem Costümbuch einverleiben zu können ...
18) Montag ... Gegen Mittag erhalte ich aus Türks Buchhandlung das Gelzersche Schriftchen „Bunsen als Staatsmann und Schriftsteller“ ... Wie ergreifend und wie tröstlich ist mir alles, was ich hier erfahre! Wie dankbar bin ich gegen Gott, daß er mich an dieser großen Natur nie hat irre werden lassen! Ich kann mich von dem Büchlein nicht trennen, bis ich es ausgelesen habe ...
19) Dienstag ... Nach 3 Uhr gehe ich in das Rietschelsche Atelier, um mit Donndorf nähere Verabredung wegen der Ausstellung des Luthermodells zu treffen. Das Atelier wird Freitag dem Publikum geöffnet werden ... Der Kopf ist nun in Gyps ausgegossen und mit der Statue gut verbunden. Er scheint mir sehr schön zu sein. ... Geheimrath Kohlschütter, den ich im Atelier finde, will mit mir vertraulich über die Korridorsache berathen. Es scheint dabei sein Bewenden haben zu sollen, daß die Wände bemalt werden. Ich halte diese Entschließung für einen Mißgriff ...
20) Mittwoch ... Dem Herrn Obersthofmeister Excellenz ô Byrn melde ich zum Behuf der Mittheilung an Se. Majestät den König, daß das Luthermodell vollendet ist und am Freitag das Atelier dem Publikum zugänglich sein soll. Herr ô Byrn meint, der König müsse sich noch sehr vor Erkältung hüten und werde morgen schwerlich kommen können ...
21) Donnerstag ... Am frühen Morgen kommt die Nachricht, daß unser lieber Rietschel bei Tagesanbruch (um 6 Uhr) seinen Geist ausgehaucht hat. So ist denn wieder ein edles Leben dahin. Friede für ihn nach schwerem Kampf, für uns schmerzlicher Verlust ... Nach Tisch kommt Donndorf. Die Ausstellung der Lutherstatue, dann des Modells zum ganzen Reformationsdenkmal, der Quadriga für Braunschweig etc. wird erst in der nächsten Woche stattfinden. Es ist auch zwischen uns die Rede davon, in welcher Weise bei dem Komitee in Worms die Vollendung des Luthermonuments beantragt werden soll. Ich sprach darüber schon am Morgen mit Herrn Trautschold aus Lauchhammer, dann am Abend mit dem Geheimrath Kohlschütter, welcher mich zu Hause aufsuchte. Wir sind der Meinung, daß bei dem Vorhandensein so trefflicher Modelle das Rietschelsche Atelier vollkommen ausreichende Kräfte zur Durchbildung und Vollendung des Werkes biete und daß man die Ehre, dasselbe zu Stande gebracht zu haben, unserm Meister und seiner Schule zu erhalten suchen müsse. Zieht man andere Meister herbei, so werden diese ihren eigenen Namen verherrlichen wollen und nicht die nöthige Pietät und Selbstverleugnung haben, Rietschel die Ehre zu lassen, dieses Werkes Schöpfer zu sein ...
22) Freitag ... 5 Uhr Sitzung des Akademischen Rathes. Rietschels Tod ist der einzige Gegenstand, den wir besprechen. Was die Vollendung des Lutherdenkmals betrifft, so sind alle der Ansicht, daß Kietz und Donndorf die rechten Männer sind, um das Werk im Sinne des Meisters durchzuführen. Hähnel spricht sich entschieden in diesem Sinne aus. Heine hat aus Herrn Andreas Oppermanns Munde gehört, daß Rietschel nicht nur in seinem vor drei Jahren niedergelegten Testamente diese beiden Schüler als diejenigen bezeichnet hat, welche seine damals noch unvollendeten Werke (Weberdenkmal, Quadriga etc.) im Falle seines Todes vollenden sollten, sondern daß Rietschel kurz vor seinem Tode
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/219&oldid=- (Version vom 14.9.2024)