bezeichnet worden und unleugbar als eine Skizze zu unserm kleinen Gemälde von Leonardo da Vinci zu betrachten ist ... Wie mir Hübner sagt, hat Gruner, ehe er unser neues Bildchen gekannt hat, bei dieser Zeichnung an Andrea Verocchio[1] gedacht, jetzt derselben aber sich nicht erinnert, und erst Dr. Luchs ist darauf gekommen, in ihr einen Entwurf zu dem Bildchen zu erkennen. Müßte die Zeichnung dem Verocchio zugeschrieben werden, so wäre Verocchio natürlich auch der Meister des Bildes; aber schwerlich wird man ein Werk des Verocchio nachweisen können, in welchem sich der hohe Standpunkt der Kunst und der Genius zeigt, der sich in unserm Bildchen darstellt ...
27) Montag ... Von Herrn Stadtpfarrer H. Merz erhalte ich Antwort auf meine Briefe. Er spricht sich sehr zufrieden mit meinen Mittheilungen aus. Einiges davon möchte er in seinem Artikel über „die neuern Bilderbibeln“[2] veröffentlichen, wogegen ich nichts habe ...
28) Dienstag ... Unter Tags kommen Nachrichten aus Leipzig, welche melden, daß die Wetter dort furchtbaren Schaden angerichtet haben, da sie mit Hagelschlag verbunden waren ... Museum ... Gruner ist zugegen. Ich nehme Gelegenheit ihn zu fragen, ob er die Zeichnung wirklich dem Andrea Verocchio zuschreiben möchte. Er antwortet in meinem Sinne. Er findet nämlich doch auch, daß die Werke des Verocchio die Durchbildung und Feinheit nicht zeigen, welche in unserm Bildchen und in der Skizze sich kund geben ...
30) Donnerstag ... Nachmittag schickt mir Gaber einen Probedruck des Blattes, das Joerdens geschnitten hat [„Das Gesicht des Petrus“]. Es ist ausgezeichnet schön gearbeitet ...
31) Freitag ... Da mich die Skizze von Anton Dietrich, weil sie eine Konkurrenzarbeit ist, sehr beschäftigt und ich zu dem bestimmten Gefühl gekommen bin, daß eine Aenderung der Figur des gefangenen Papstes das Bild wesentlich verbessern würde, so gehe ich nach dem Atelier und zeichne eine andere Figur, die gut ausfällt und welche Dietrich völlig acceptiert und adoptiert. Dr. Schäfer zeigt mir einen Artikel in der Constitutionellen Zeitung über die neuerworbenen Gemälde, welchen Hübner für dieses Blatt geschrieben hat ...
September.
1) Samstag ... 12 Uhr Galerie-Kommission. Endlich haben wir auch Freund Rietschel wieder einmal dabei ... Die Galerie-Kommission beschäftigte sich hierauf mit einem Vergleiche der in dem Handzeichnungskabinet aufgefundenen Originalskizze des Leonardo da Vinci mit dem neuerworbenen Bilde dieses Meisters. Herr Direktor Gruner hatte die Güte, die Zeichnung nebst einer Photographie herbeizubringen und sich der Kommission, welche sich in die Galerie begab, anzuschließen. Die Uebereinstimmung der Zeichnung mit dem Bilde ist, was die Madonna betrifft, bis auf kleine Fältchen am Oberkleide vollkommen. Die Kinder sind erst mit ganz zarten Linien und in völlig anderer Weise entworfen, als sie nach Platz und Stellung in dem Bilde erscheinen, so daß die Vermuthung wohl richtig sein dürfte, daß die sehr durchgeführte Zeichnung der Jungfrau auf einem Naturstudium beruhen dürfte ...
3) Montag ... Museum. Schirmer ist zurück von Leipzig und giebt mir Bericht über den Schaden, den das furchtbare Hagelwetter daselbst angerichtet hat. Die Schloßen sind mit solcher Gewalt und in solcher Größe herabgefahren, daß kein Dach hat Widerstand leisten können. Zinkplatten sind durchgeschlagen worden. So konnten denn auch Vorkehrungen gegen Hagel, wie sie an dem Museum angebracht waren, keinen Schutz gewähren. Ohnehin fehlten die Vergitterungen. Der Schaden an den Bildern ist nicht ganz so bedeutend, wie einige gemeldet haben. Mein Bild indessen ist unter den sechs am meisten beschädigten Gemälden. Schirmer, welcher die Restauration der meisten verletzten Gemälde gern andern überläßt, hat die Wiederherstellung des meinigen sich vorbehalten. So wird denn Rochus bald wieder in unser Spital kommen. – Hübner liest mir den Artikel über die aufgefundene Zeichnung des Leonardo da Vinci vor, welcher für das Dresdner Journal bestimmt ist ...
8) Samstag. Die von Seiten des Hausministeriums geforderte Begutachtung der Frage: In welcher Ausdehnung soll die Ausmalung des Korridors bewerkstelligt werden? wird heute ernstlich in Angriff genommen. Ich vertiefe mich so in die Sache, daß ich 1/4 über 12 Uhr zum ersten Mal nach der Uhr sehe ...
12) Mittwoch ... Von dem Ministerium gehe ich nach dem Sitzungszimmer der Akademie, wo wir um 12 Uhr Konferenz haben. Rietschel ist zugegen ... In der Reisestipendiums-Sache entspinnt sich eine lange Diskussion. Rietschel hat ein treffliches, ein rechtschaffenes Gutachten über die Leistungen und Anlagen der beiden Bewerber ... abgegeben ... Dietrich siegt ...
14) Freitag ... Die Frühstunde, die ich im Museum zubringe, benutze ich auch, um Kellers Zeichnung zu sehen. Er hatte schon lange den Wunsch ausgesprochen, daß ich seine Arbeit genau betrachten und meine Meinung darüber ihn sagen möge ... Ich finde die Zeichnung vortrefflich und glaube, daß sein Antheil an der Vollendung derselben doch wesentlich zu ihrer Gediegenheit und Treue beigetragen hat ...
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/208&oldid=- (Version vom 12.9.2024)