Madonna entspann sich noch ein Gespräch über die beiden nackten Kinder. Während Hübner und ich in der ganz einfachen und natürlichen Erklärung, daß das Kind auf den Armen der Maria das Christuskind und das unten von dem älteren Knaben gehaltene ein Söhnchen des Bürgermeisters sei, das von dem Meister in der Stellung, wie er es nach dem Leben aufzufassen vermochte, festgehalten worden, völlig übereinstimmten, hielt Rietschel mit Lebhaftigkeit an der viel verbreiteten Schlegelschen Erklärung fest. – Nachm. 5 Uhr Besichtigung der katholischen Kirche in Neustadt, wo mich Schönherr bereits erwartete. Die Figuren der Apostel haben nun ihren Goldgrund, auf welchem sie sich in tief gesättigter Färbung vortheilhaft abheben. Die Nische macht einen sehr ernsten und streng kirchlichen Eindruck. Sind nur erst einmal die Dekorationsmaler fertig und die Gerüste weggeräumt, so wird dieselbe gewiß einen guten feierlichen Eindruck machen. Um 6 Uhr finde ich mich bei den Meinen im Theater ein, wo wir der ersten Aufführung des Lohengrin mit großer Spannung beiwohnen. Wir sind im Ganzen sehr befriedigt. Die Mutter meint nur, der Tannhäuser sei ihr lieber, während ich im Stillen mich in meiner alten Ansicht bestärkt sehe, daß Wagner, was die Musik anbelangt, sich ohne große schöpferische Gaben doch in einem ziemlich engen Gedankenkreis bewege ...
8) Montag ... Bei einem kurzen Besuch der Ausstellung besehe ich mir Kriebels vielgelobte Arbeit, Schönherrs Bild, dann die Werke von Wichmann, Wegener, Van Lerius und Andern. Bei vielem Geschick, das in allen diesen Sachen sich kundgiebt, vermisse ich doch durchgehends gerade dasjenige, was mich erfassen und befriedigen könnte ... Das Dresdner Journal enthält eine sehr eingehende und, wie mir scheint, gute Besprechung des Lohengrin von C. Banck. Es wird dabei Gelegenheit genommen, Wagners Bestrebungen und Leistungen zu charakterisieren, und die Aufführung nur in wenig Worten beurtheilt.
9) Dienstag ... Atelier. Gey ist mit seinem Christuskopf fertig. Ich habe an der Arbeit große Freude. Gey wird mit dem Pinsel vortrefflich umgehen lernen, er weiß seine Arbeiten wirklich zu beendigen ...
10) Mittwoch ... Die Zeitungen bieten mancherlei Interessantes. Ueberall zeigt sich doch das Streben des deutschen Volkes nach Einigung und nach Vertretung unter einer Centralgewalt, welche die Einen durch Anschluß an Preußen, andere durch die Aufstellung einer Trias, Oesterreich, Preußen und das „Reich“ (durch die Mittel- und Kleinstaaten dargestellt), gewinnen möchten. Gott möge diese Bestrebungen segnen, damit das deutsche Volk nicht wie die Griechen und die Juden in Trümmer gehe (wie manche fürchten), sondern sich einige und endlich die Stellung einnehme, die es einzunehmen verdient ...
15) Montag ... um 6 Uhr begebe ich mich in den Ausstellungssaal, wo die Ankaufskommission sich versammelt, um Beschluß zu fassen über die zum Ankauf vorzuschlagenden Gemälde. Mit Ausschluß einer (Rietschels) Stimme erklärt man sich für Wegeners Waldbrand, von den vier übrigen wollen aber nur zwei (Hammer und ich) die vollen 900 Thaler, die andern nur 800 Thaler geben. Rietschel gebraucht nun als Vorsitzender sein Entscheidungsrecht und spricht sich für 900 Thaler aus, womit die Sache erlediget ist und das zu Protokoll gebrachte Gutachten der Kommission an den akademischen Rath eingesendet werden kann ...
16) Dienstag. Das Schreiben an die Fürstin Wittgenstein, in welchem ich erkläre, mich in der Berechnung meiner Arbeitskräfte verrechnet zu haben, und bitte, mich meines hinsichtlich der Ausführung eines Kartons bis zum 20. Oktober gegebenen Versprechens zu entbinden, kommt endlich zu Stande und wird abgesendet ... Im Museum finde ich auch Gaber, mit welchem ich ein Holzschnittwerk verabrede, das mir wieder auf längere Zeit Beschäftigung geben würde, wenn die Umstände die Inangriffnahme desselben gestatten. Es handelt sich nämlich um eine Darstellung der Leidensgeschichte in Form der in der katholischen Kirche festgestellten Stationen ...
17) Mittwoch ... Atelier. Gey hat seinen Christuskopf in einem schwarzen Rahmen mit Goldleisten, und derselbe nimmt sich sehr gut aus. Das Bild ist voll hohen Ernstes und in der Ausführung durchgebildet. Die Inschrift „O Haupt voll Blut und Wunden“ giebt einen würdigen evangelischen Text zu dem nach katholischer Ueberlieferung gegebenen Bilde ... Im Museum erwartet mich Hübner, um mich im Namen der Herren Guffens und Swerts zu fragen, ob es mir recht sei, wenn die in Brüssel von mir ausgestellten Kartons mit den übrigen auch noch einige Zeit in Antwerpen ausgestellt würden. Ich beantworte die Frage mit Ja ...
18) Donnerstag. Ein Brief von Stadtrath Lampe in Leipzig in Angelegenheiten seiner dem Museum verehrten Sammlung. Er möchte nämlich Einiges von mir aus der römischen Periode – Villa Massimi – aufstellen, findet aber keine Stiche und will die Lücke mit Durchzeichnungen der passenden Kompositionen ausfüllen, was er nur theilweise ohne meine Beihilfe thun könnte ...
20) Samstag ... Ich beantworte heute den Lampeschen Brief und mache den Vorschlag, in die mir bestimmten Felder außer der von ihm vorgeschlagenen Vermählung des Ruggiero und der Bradamante auch die beiden sehr gut passenden Hauptbilder zum Ariost: Angriff der Heiden auf Paris und deren Abwehr durch
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/145&oldid=- (Version vom 9.9.2024)