in Dresdens Volk die Sehnsucht nach positiver Religiosität viel zu tief, als daß der leere Rationalismus mit seiner Nüchternheit und Süßlichkeit wirklich hätte befriedigen können. Kosegarten besucht die katholische Kirche, ist begeistert von dem Sinnenrausch, der ihn dort umfängt, aber vom evangelischen Kirchenthum Dresdens fühlt er sich abgestoßen und ruft: „Die armen Menschen, die geistlichen Philosophen, welche in der That wähnen .. aus Vernunftprinzipien gehe Religion hervor! .. so lange Menschen leben, wird auch warmer und inniger Glaube in den Herzen Vieler wohnen“. Welch ein Zeugniß für das tiefe religiöse Bedürfniß in Dresden, daß das erwähnte Morgen- und Abendsegenbuch von Kramer und Lohdius, – das erste, was überhaupt im Meißner Sachsen gedruckt worden ist, – nicht nur noch vor seinem Erscheinen 3000 Subscribenten fand, sondern auch so viel verkauft wurde, daß alsbald eine Neuauflage nach der andern erscheinen mußte. Und hatte auch Körners Vater so wenig das Christenthum Arndts, daß ihm der symbolische Lehrbegriff unerträglich war, er widersprach doch nicht nur dem Vernichtungsurtheil Schillers, nach dem die Predigt nur für den gemeinen Mann da sei, sondern war auch selbst ein Kirchgänger. Wie herrlich tröstet er Schillers Frau nach dem Tode des Gatten; welch ein Glaubenszeugniß, als er den Tod seines Theodor veröffentlicht mit dem Hinzufügen: „Einen solchen Verlust zu überleben findet der Vater die Kraft in der Religion“, und wie mußte doch ein gut Theil altgläubiger Frömmigkeit in ihm vorhanden sein, dessen Freude es war, wöchentlich einmal im engen Kreise alte geistliche Musik zu treiben, während andrerseits doch die recht unkirchlichen Berühmtheiten ganz Deutschlands in seinem Hause verkehrten. In Dresdens Bürgerschaft aber gab es auch noch Frömmigkeit ganz von altem Schrot und Korn. So erzählt Beger, der spätere erste Rektor der ersten Dresdner Realschule, – entstanden doch die Realschulen, als Bürgerschulen der neuen Gesellschaft gedacht, eben in der geistigen und wirthschaftlichen Entwickelung der rationalistischen Zeit – daß in seinem Elternhause Morgen- und Abendsegen, sowie Tischgebet gehalten wurde und auch Bibel und Gesangbuch in ihm eine Stätte hatten. Ebenso erwähnt Kügelgen eine Töpfersfrau im Nachbarhause des „Gottessegens“, deren regelmäßiges Tischgebet ihm auffiel, und Roller erfreute sich, als er, der Einzige für lange Zeit, in Dresden positiven Religionsunterricht ertheilte, eines außerordentlichen Zulaufs.
Wollen wir aber die innere Geschichte der geistlichen Erneuerung Dresdens belauschen, dann müssen wir in die Kreise derer hineinschauen, die wieder anfingen, die Bibel zu lesen, und köstlich ist da ein Blick in das Lebensbild Marie Helenes von Kügelgen. Sie ist auch äußerlich kirchlich und genießt das heilige Abendmahl. Aber sie schöpft doch ihre Glaubenserkenntniß und ihre Glaubensfestigkeit wesentlich aus der Bibel und stärkt sich in ihrem Glauben in der Gemeinschaft mit den Stillen im Lande. Welch ein tiefgegründetes Christenthum, wie es uns da wirklich Seite für Seite in ihren Briefen entgegentritt bis zu der Fürbitte für den Mörder des Gatten, der an der in ihrem Jammer fast Trostlosen vorübergeführt wird. Aber freilich in Dresden fand diese herrliche Frau zuerst recht wenig Glaubensgenossen, und auch Ludwig Richter ist ja bekanntlich nicht in seiner Heimathstadt, sondern in Rom für das Evangelium gewonnen worden. War aber auch dieses Christenthum herrenhutischen Geistes, wie man es nannte, nicht eigentlich auf Dresdner Boden erwachsen, die Zahl der Frommen mehrte sich doch auch in der Residenz, und sie begannen sich in der Stille zu sammeln. Nach außen aber traten sie vor allem immer mehr hervor, seit der von Böhmen hergerufene Prediger Stephan an der kleinen Johanniskirche wirkte und mit glühender Beredtsamkeit predigend seine Hörer wieder auf dem klaren Schriftgrunde erbaute. Bald sammelten sich Hunderte und Aberhunderte um seine Kanzel und immer offenbarer ward, daß sich in Dresden neues kirchliches Leben zu regen begann.
Schon das war ein Zeugniß dieses neuen Geistes, daß 1809 die Dreißigsche Singakademie gegründet ward. Oder wer hätte denn früher daran denken können, einen Gesangverein mit dem ausschließlichen Zweck der Pflege der altkirchlichen Musik in Dresden ins Leben zu rufen. Wer hätte es ebenso ehedem gewagt, zur Gründung einer Bibelgesellschaft aufzufordern. Jetzt 1814 that es der Graf von Einsiedel, der schon längst der Mittelpunkt der gläubigen Kreise Dresdens war, und siehe da, man kam, und Tittmann, Tittmann selbst hielt eine – allerdings recht weinerliche – Rede über den beklagenswerthen Verfall des Bibellesens und über die Nothwendigkeit, es auf alle Weise zu fördern. Zwar bei ihm war leider diese Betheiligung mehr nur äußerlich. Aber wenn er auch nichts mehr lernte, sondern ein ausgesprochener Rationalist blieb, der berühmte Reinhardt fand den Weg erst vom reinen Supranaturalismus zur Schrift, die große Reformationspredigt 1800 beweist es, und dann von der Schrift zum Glauben; denn das ist doch lutherischer Glaube, wenn er 1810, in demselben Jahre, wo er wieder eine seiner herrlichen Reformationspredigten über die Kirchenverbesserung als ein Werk des Glaubens hielt, in seinen Geständnissen schreibt: „Ich bedarf bei dem Verhältniß, in welchem ich zu Gott stehe, eines Heilands und Mittlers und zwar eines solchen, dergleichen Christus ist“. Bald aber fanden sich auch noch Andere, die auf Dresdens Kanzeln wirklich wieder lutherisch predigten: Hacker und Döring, die Hofprediger, Jakobi, der Garnisonprediger, vor allem Güldmann und Leonhardi, die Kreuzkirchendiakonen, seien genannt. In Leonhardis Wohnung wurde die Bibelgesellschaft, ebenda 1819 der
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/129&oldid=- (Version vom 23.10.2024)