wir uns unser kirchliches Leben gar nicht mehr ohne sie denken können. Die Sylvestergottesdienste in der Kreuzkirche wurden 1826, diejenigen in der Frauenkirche 1838 gestiftet. Ungleich älter ist die Konfirmation, die erstmalig und zwar in Neustadt-Dresden 1767 erwähnt wird. Die Kirchen- und Schulordnung von 1773 schrieb dann, „da der alte, christliche Gebrauch ... sehr rührend und erbaulich ist“, die Einführung der Konfirmation allgemein vor; doch war die Handlung noch lange eine durchaus private und erst 1790 ertheilte der Superintendent die Erlaubniß zur Einführung einer öffentlichen Konfirmation zu Altendresden „und ist dieselbe am Sonntag Palmarum gehalten worden“. In Altstadt unternahmen es 1809 die Garnisongeistlichen, diese, wie es ausdrücklich heißt, „für junge Gemüther rührende und erbauliche Feierlichkeit“ einzuführen, und alsbald wurde dann auch in der Kreuzkirche und zwar noch 1816 zu Michaelis konfirmirt. So ist die Konfirmation äußerlich hervorgegangen aus der gerade in der Zeit des Rationalismus vorhandenen Vorliebe für empfindsame Feiern. Zugleich aber entsprach sie dabei dem tieferen Bedürfniß nach mehr, als bloßer Verstandspflege im Gottesdienst.
Denn moralisirende Predigten und fromme Gefühlsseligkeit befriedigen freilich den Menschen nicht dauernd, noch vermag auch ein derartiges Kirchenthum kräftigen und thätigen kirchlichen Sinn hervorzubringen, und so ist es denn wirklich im Zeitalter des Rationalismus um die Kirchlichkeit in Dresden recht traurig bestellt gewesen. Wenig und immer weniger hielt man auf den Kirchgang. Gewiß Reinhardts Kanzelberedtsamkeit übte auf Taufende – so auch auf den jungen Körner – ihren anziehenden Einfluß aus; Ammon zu hören gehörte nach Karl Försters Worten für jeden Gebildeten zum guten Ton, und Cramer und Jaspis fanden mit ihrer populärpackenden Vortragsweise ebenso ihr Publikum, wie der auch von Förster hochgeschätzte Pfarrer Schmalz in Neustadt und Girardet, der reformirte Geistliche. Aber es ist doch schon bezeichnend, daß man damals, als diese Geistlichen im Amte standen, in Dresden nicht mehr einfach in die Kirche, sondern eben zu einzelnen beliebten Predigern ging. Und wenn diese Art des Kirchengehens zu einzelnen Modepredigern auch erst im Anfang des 19. Jahrhunderts allgemeiner üblich ward, begonnen hatte sie doch schon damals, als Demoiselle Lucius, die Freundin des Gellert, den Kirchgang zwar für eine christliche Sitte hielt, der man an sich Ehrerbietung zollen müsse, dabei aber selbst schon ihre besonders bevorzugten Prediger hatte, während sie im Uebrigen erklärte, daß es „Betschwestern“, dies Wort ohne jeden üblen Nebensinn verstanden, „jetzt“ nicht viel gäbe.
Daß freilich die literarischen Kreise, durch welche die sächsische Residenz im Aufklärungszeitalter die Augen ganz Deutschlands auf sich zog, in ihrer ganzen Geistesrichtung nicht sonderlich zum Kirchenbesuch neigten, ist bekannt. Schon der Kindsche Kreis hatte bei seiner ganzen Geistesrichtung für die Kirche nur recht wenig übrig. Im Hause Tiedges und der Frau von der Recke verkehrten zwar auch Geistliche: Schmalz aus Neustadt, Burkhardt aus Friedrichstadt und der reformirte Prediger Lingke, doch Tiedge selbst will nicht „Gebete plärren und den Körper kasteien“, „Duldung“ predigt er auch für den Atheisten und seine Gottlosigkeit, denn
Dem selten großen Geist
Erlaubt ein Gott zu sein
Und keinen Gott zu glauben,
Zu leugnen, was Gott uns beweist.
Den Kirchgang aber lehnt er ab,
Denn nur tief im stillen Hain,
Angeweht von Gottes Schauern,
Würd ich einen Tempel weihn,
Und darin mit mir allein
Beten oder trauern.
Derselbe Geist aber, der Schönheit und edle allgemeine Religiosität, nicht aber die Kirche liebte, beseelte auch den größten Theil der andern Männer von Geist, die Dresden zum Sammelpunkt des literarischen Lebens Deutschlands machten, und der Philosoph Krause, der 1805 bis 1816 in der sächsischen Residenz weilte, singt vom Kirchgang, wie sie Alle empfanden:
Das Glöcklein ruft die Frommen
Beter zur Kirch heran,
Daß vor den Herrn sie kommen
Und seinen Gruß empfahn.
Ich bleibe drauß und lenke
Seitab durch Busch und Strauch,
Und was ich bei mir denke,
Ist ein Gebet wohl auch.
Daß auch das junge Geschlecht der Gebildeten durchaus vom Rationalismus beherrscht ward, darauf weist der Plan des jugendlichen Körner, ein Taschenbuch für Christen zu schreiben, wenn er dabei als Haupterforderniß „eine Religion ohne Beschränkung“ ansieht. Was für Anschauungen aber die damaligen Zeitungen pflegten, zeigt ein Blick in die „Miszellen zur Belehrung und Unterhaltung“, die fast Nummer für Nummer nichts bieten als unter viel schönen Worten voll hoher Gefühle die Philosophie der nüchternsten und trockensten Aufklärung. Nur ein Satz aus dem Schluß eines Artikels über Unsterblichkeit sei angeführt: „Beunruhige dich nicht, weiter zu erforschen, was die Vernunft und das Bedürfniß des Herzens nicht fordert (!), damit sich der zur Wirksamkeit geschaffene Christ nicht in bloßer Anschauung verliere, sondern sei in deiner Sphäre genügsam, wohlwollend, thätig und weise“ (!). Wahrlich wir verstehen die Klage unsers Ludwig Richter über den Rationalismus, dieses Christenthum des Philisters, wie er es nennt, und über die durch ihn verkümmerte Volkskirche.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/125&oldid=- (Version vom 23.10.2024)