Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Eigene Grösse.
Hoch auf dem Kirchendach das Gras –
Der allerhöchste Baum ist das.
Es hebt die Hälmlein, reckt den Schaft
Und weit in alle Lande gafft;
Nimm dich nur ja in acht beim Wind,
Und sieh auf mich; ich zittre nicht,
Wenn alles um mich biegt und bricht.
Was sich nicht selber hält, muss purzeln;
Der Kater.
Ein Kater lebte lange Zeit
Zufrieden in der Ehe,
Bis ihn die Ungenügsamkeit
Erfasst mit ihrem Wehe.
Und sich für ein verächtlich Ding
Und martert Weib und Kinder.
Der Kätzin geht gar tief der Schmerz
Des Gatten zu Gemüte,
Und spricht mit Lieb’ und Güte:
Dort geht die Sonn’ im Himmelsblau,
Die mächtigste, die grösste Frau,
Geh’ hin, um sie zu werben.
Und neigt sich vor der Sonne:
Allmächtig bist du, teilest aus
Auf Erden Licht und Wonne.
Die Sonne fällt ihm schnell ins Wort:
Die kann mich ja verdunkeln.
Der Kater spricht zum Wolkenschiff,
Das eben Anker löste
Von einem hohen Felsenriff:
Die Wolke, ein geschmeichelt Kind,
Errötet leicht und seufzt: Der Wind,
Der mich vertreibt, ist grösser.
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/257&oldid=- (Version vom 31.7.2018)