Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin | |
|
Rinuccini’s. Im Kataloge jener Galerie, verfaßt von Herrn Milanesi, einem der Kommentatoren der Vasariausgabe von Lemonnier, wurde die niederländische Kopie als Original angepriesen[1]
Die Münchener Madonna di casa Canigiani ist durch die ungeschickte Restauration derart entstellt, daß man beim ersten Anblicke stutzig davor stehen bleibt; nur nach einem näheren Eingehen in die Einzelheiten der Formen wird man zur Ueberzeugung kommen, daß das Bild von Raffael nicht nur komponirt, sondern zum Theil auch gemalt wurde, daß es jedoch in jene Reihe von Werken des Meisters gesetzt werden muß, welche von ihm unter Mithilfe Anderer ausgeführt wurden[2], wie z. B. auch die „Grablegung“ der Galerie Borghese, die s. g. Madonna di casa Colonna der Berliner Galerie, die Madonna Nicolini bei Lord Cowper u. a. m. Durch nichtswürdige Uebermalung ist nicht nur die Durchsichtigkeit und Klarheit der Farben verschwunden, sondern einzelne Körpertheile sind so verputzt und entstellt, daß man darin gar nicht mehr die Hand, geschweige den Geist des Meisters gewahr wird. Um auf einzelnes hier ausdrücklich hinzuweisen z. B. der torso und die Füße des Christkindes, der rechte Arm desselben und die Haarmasse am Kopfe des kleinen Johannes. Auch die rechte Hand der h. Anna ist nicht Raffaelisch modelliert, was am Daumen besonders auffällig ist. Die Zeichnung ihres rechten Fußes ist ebenfalls verfehlt. So auch die Füße des h. Joseph. Raffaelischer Geist und Charakter ist im Kopfe des Jesuskindes noch am meisten erhalten. Großherzog Cosimo III. hatte dies Bild seiner Tochter Anna Maria de’ Medici als Brautgeschenk mit nach Deutschland gegeben.
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/116&oldid=- (Version vom 31.7.2018)