Dann hörte der Unteroffizier plötzlich ein vorsichtiges Scharren von links, ein Geräusch, als ob ein schwerer Körper langsam über den Boden geschleift wurde. Öfters blieb es auch eine Weile still. Dann setzte dieses unterdrückte Geräusch wieder ein. Und jetzt vernahm Weber ganz deutlich einen anderen Ton, ein qualvolles Stöhnen, das sich wie aus der Kehle eines Leidenden wider Willen hervorrang. Nur zu gut kannte der Unteroffizier diese Äußerungen eines mannhaft bekämpften Schmerzgefühls von den zahlreichen Gefechten her, die er bereits mitgemacht hatte. Unwillkürlich schoß es ihm durch den Sinn, daß die Franzosen von einer Blutspur und einem von ihnen verfolgten Offizier gesprochen hatten. Sollte dieser ihren spähenden Blicken doch entgangen sein, sollte der Verwundete sich etwa jetzt gerade unterhalb ihres Versteckes befinden? Was tun? Wenn es nun einer der Feinde war, der hier noch herumspionierte? Sich irgendwie bemerkbar zu machen ging also nicht an. Aber wie sich sonst Gewißheit verschaffen? Da kam Weber ein guter Gedanke. Mit wenigen Worten verständigte er die Kameraden von seiner Absicht und schwang sich dann möglichst geräuschlos mit Hilfe des nach unten reichenden Eichenastes auf den Stamm hinauf, wo er nun schrittweise, sich stets hinter dem Blätterdach verbergend, so weit vorrückte, daß er über die Natur-Kulisse der in einem Winkel nach oben gewachsenen Nadelbäume hinwegsehen konnte.
Zunächst vermochte er nichts Auffälliges zu entdecken. Dann aber erblickte er etwa zehn Meter schräg unterhalb seines leise hin- und herwippenden Standortes die Gestalt eines Mannes, der zwischen den Felsblöcken, halb verdeckt von Farnkräutern und dunkelgrünen Ginsterbüschen, auf allen Vieren sich langsam vorwärtsbewegte.
Jetzt hob der Mann da unten wie lauschend den Kopf. Die eine Bewegung genügte. Weber hatte deutlich auch den oberen Teil des feldgrauen Rockes gesehen, der die Verschnürung der Husaren und auf den Schultern die deutschen Offizierachselstücke zeigte.
Ganz leise pfiff der Unteroffizier nun das bekannte Hupensignal des Kronprinzen – ta-tü, ta-ta – das bei Nacht einer stillschweigenden Übereinkunft nach in dem Xten Armeekorps als Erkennungszeichen unter den Patrouillen galt.
W. Belka: Die Versprengten. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1914, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Versprengten.pdf/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)