fanden schon eine Gesetzesverletzung und Entweihung darin, daß die Fahnen der römischen Legionen, die mit den Bildern der Kaiser geschmückt waren, nur durch ihr Gebiet getragen wurden. Ein vom Tetrarchen Herodes in Tiberias erbauter Palast wurde, weil er mit Tierfiguren verziert war, und dies dem Gesetz zuwider sei, auf Befehl des Synedriums verbrannt. Das Verbot der Abbildung lebender Wesen in der Thora war nach der Meinung der Juden ein so unbedingtes, daß nach den Behauptungen von Philo und Origenes Maler oder Bildhauer unter den Juden gar nicht wohnen durften.[1] Und nun stelle man sich die frommen Talmudjuden vor, wie sie in der Synagoge zu Nehardea andächtig für das Wohl des Landesherrn beten, unbekümmert darum, daß in der Synagoge das Standesbild des heidnischen Königs aufgestellt ist. Das giebt gewiß ein klares Bild von dem großartigen Umschwung, der sich in den Anschauungen der Juden hinsichtlich der Thora und ihrer Erklärung vollzogen hat. Man sieht, wie der Talmud allmählich dazu gekommen ist, die Thora zu erfüllen, ohne sie aufzuheben.
Ein zweiter Grund, warum die Juden heftige und zahlreiche Verfolgungen aushalten mußten, war der Wucher, wie wir bereits gesehen haben. Wenn die Juden aber sich fortan bestreben, die schönen Aussprüche der heiligen Schrift und des Talmud hinsichtlich des Wuchers, wie sie in den Schulen vorgetragen werden, getreu und gewissenhaft zu erfüllen, dann wird wegen Wuchers eine Judenverfolgung nicht mehr ausbrechen. Möchten darum alle Juden, die es gut mit sich selbst und mit ihrem Volke meinen, sich die schönen Grundsätze tief in das Herz einprägen, die von 350 Rabbinern aus der heiligen Schrift und dem Talmud zusammenstellt sind: „Wer sein Vermögen durch Zins und Wucher mehrt, sammelt es für den, der gegen Arme mildthätig ist. Wer sich durch Wucher bereichert, ist schlimmer als ein Gottesleugner. Ein Wucherer ist nicht als Zeuge zuzulassen.“ Daß diese Aussprüche aber auch den Nicht-Juden gegenüber Geltung haben, und nicht bloß auf den Verkehr der Juden unter sich beschränkt sind, hat Dr. Hoffmann in seinem Schulchan-Aruch weitläufig nachgewiesen.[2]
Ein dritter Grund, warum der Zorn der Christen gegen die Juden zeitweilig entbrannte, lag in dem Hasse, der aus einzelnen Erzählungen und Aussprüchen im Talmud gegen Jesum, seine jungfräuliche Mutter und überhaupt gegen alles Christliche ersichtlich ist. Diese Abschnitte des Talmud waren auch hauptsächlich der Grund, warum, wie wir schon erzählt haben, im Mittelalter alle Talmudexemplare verbrannt wurden, deren man habhaft werden konnte. Später, im Jahre 1667, hat der Apostolische Stuhl sich dahin ausgesprochen, daß der Talmud unter den nichtverbotenen Büchern geduldet werden könne, wenn er ohne Beleidigungen und Verleumdungen wider die christliche Religion erscheine, daß er aber außerdem zu den durch den Index verbotenen Büchern zu zählen sei. [3]
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)