Sie begrüßte Mr. Hull in tadellosem Englisch ganz in der Art einer Dame, die Gäste zu einer feingeistigen Teestunde empfängt. Ihre Stimme und Ausdrucksweise paßten sich ihrem Äußeren vollkommen an, und es schien im ersten Augenblick undenkbar, daß diese Frau eine Verbrecherkneipe besaß und sechs Jahre Zuchthaus hinter sich hatte. Und doch war es so: Sechs Jahre Zuchthaus wegen Totschlags! So hatte Harst es mir im Auto erzählt. Einzelheiten über diesen Totschlag, der viele Jahre zurückläge, wüßte er nicht, – behauptete er …
Nun saß diese merkwürdige Frau uns gegenüber, und ich, der ich ihr als Freund und Compagnon Mister Hulls vorgestellt worden war, konnte nur immer wieder heimlich den Kopf schütteln über die geistigen Zauberkunststücke oder geistigen Akrobatenstücke, die von zwei ziemlich gleichwertigen Gegnern in heißem Wettbewerb hier geleistet wurden.
Es war ein Kampf mit Worten zwischen Frau Thea Bink und meinem Freunde um die Verschleierung der Wahrheit, – – Das war es. Und das war auch das Interessante, Packende bei alledem.
Man rede mir nicht davon, daß eine Kriminalerzählung unbedingt den Leser durch logischen Aufbau und durch grob zugespitzte Situationsmalerei, mithin durch Sensationen fesseln müßte. Nein, nur wer in die Tiefe der Geschehnisse und in die gleiche Tiefe der mit den Geschehnissen schicksalhaft verbundenen Personen, also in ihren seelischen Gehalt hinabsteigt, wird die vornehmste Aufgabe jedes Schreibenden erfüllen: Erzieher am Volksganzen, Mahner und Läuterer zu sein!
Da saß sie nun, diese ehemalige Zuchthäuslerin, die zarten Hände im Schoße verschlungen, den Kopf
Max Schraut: Die Kaschemme Mutter Binks. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1933, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kaschemme_Mutter_Binks.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)