– Ich denke: Fusel?
Das ist es ja eben: Fusel statt Wein! Gegorenes aus abgestandenen Worten anstatt Sekt! Sekt, mein Liebling, ich meine: gärende edle Natur! – Ah, diese russischen Bauern! Man sollte sie nicht bloß nach Sibirien, sondern zum Teufel schicken!
Die Bernsteinaugen wurden ganz dunkel, feurig, als ob es in ihrem Inneren glühte. Sie riß meinen Mund an ihre Lippen und küßte mir die Seele aus dem Leibe.
– Hör auf, Sinaïde, rief ich, hör auf! So küßt man keinen Mitteleuropäer. Ich bin deinen Küssen nicht gewachsen, sie werfen mich um, schlucken mich weg, blasen mein deutsches Liebeslämpchen aus. Du bist eine Kußfurie, die nicht in unsere gemäßigte Zone paßt. Ah, wie recht hatte ich, daß ich dich als Zeltidol eines Tatarkhans besungen habe.
Besungen hat er mich, der Enkel Schillers, sagte sie mit Lachen, und wenn ich ihn küsse, schnappt er nach Luft. Aber daß du mich für was Tatarisches angesehen hast, freut mich.
Otto Julius Bierbaum: Die Haare der heiligen Fringilla. München: Albert Langen, 1904, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Haare_der_heiligen_Fringilla.djvu/107&oldid=- (Version vom 31.7.2018)