Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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schwören und geloben, sie treulich und lauter zu predigen und zu lehren. Ueber solchem Lehren ist mir das Papstthum in den Weg gefallen, und hat mir’s wollen wehren. Aber ich will in Gottes Namen ,auf Leuen und Ottern treten’ (Ps. 91, 13) und das soll bei meinem Leben anfangen und nach meinem Tode vollends ausgerichtet sein. Johannes Huß hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängniß in Böhmerland schrieb: ,Sie werden jetzt eine Gans braten – denn Huß heißt: eine Gans – aber über hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören, den sollen sie leiden.’“
Wie zum Doctorat, so hat ihn von Staupitz auch zum Predigen gedrängt, zuerst in der Klosterkirche, bald aber, weil diese zu klein und baufällig war, in der Stadt- und in der Schloßkirche.
Luther blieb stets bei seinem Bibeltext und klagte, daß so viele Prediger anstatt dessen gleich „in’s Schlaraffenland“ fahren: „Einer predigte von Weltweisen, einer von Heiligen; der von blauen Enten und jener von Hühnermilch; wer kann’s aufzählen, das Ungeziefer!“
Im Jahre 1513 war Luther auch zum „Districtsvicar“, das heißt zum Visitator aller Augustinerklöster in Meißen und Thüringen erwählt und war somit im Jahr 1517 wenigstens in Kursachsen eine sehr hochangesehene Persönlichkeit.
Da kam nun im Spätjahr 1517 der Ablaßstreit, den wir in Nr. 43 der „Gartenlaube“ ausführlich geschildert haben, und sofort begann sich aus ganz Deutschland die bisher im Stillen grollende Reformpartei in frischem thatenlustigem Regen um Luther als wie um einen plötzlich erschienenen Führer zu schaaren; Luther selbst aber hat später die Art und Weise, wie er in diese Sache hineingeführt wurde, in folgenden bezeichnenden Worten geschildert:
„Ich war allein und aus Unvorsichtigkeit in diesen Handel gerathen, und weil ich nicht zurückweichen konnte, räumte ich dem Papst in vielen und hohen Artikeln nicht allein viel ein, sondern betete ihn auch mit rechtem Ernst williglich an. Denn wer war ich elender, verachteter Bruder, der dazumal mehr einer Leiche als einem Menschen ähnlich sah, daß ich mich sollte wider des Papstes Majestät setzen, vor welchem sich nicht allein die Könige auf Erden und der ganze Erdboden, sondern – daß ich so sage – auch Himmel und Hölle entsetzten, und nach dessen Winken sich Alle richten mußten. Was und auf welche Weise mein Herz jenes erste und zweite Jahr erlitten und ausgestanden hat, in welcherlei Demuth, die nicht falscher und erdichteter, sondern echter Art war, wollte schier sagen Verzweiflung, ich da schwebte: ach davon wissen die sichern Geister wenig, die nachher des Papstes Majestät mit großem Stolz und Vermessenheit angegriffen haben! Ich aber, der ich allein in der Gefahr steckte, war nicht so fröhlich, getrost und der Sache gewiß, denn ich wußte Vieles nicht, was ich Gott lob jetzt weiß. Ich disputirte nur und war begierig mich belehren zu lassen. Und weil mich die todten und stummen Meister, das ist der Theologen und Juristen Bücher nicht genugsam berichten konnten, begehrte ich bei den Lebendigen Rath zu suchen und die Kirche Gottes selbst zu hören.“
Am 7. August 1518 erhielt Luther in Folge des bekannten Anschlagens seiner 95 Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg am 31. October 1517 (vergl. Nr. 43 d. J.) eine Vorladung nach Rom, da aber Jedermann erkennen konnte, daß man dort am Ablaß nicht werde rütteln lassen, versagte der weise Kurfürst seinem Professor den zur Reise nöthigen Urlaub. Darauf erhielt umgehend der in Augsburg anwesende päpstliche Legat, Cardinal Cajetan, von Rom aus den Auftrag, Luther zu verhören, zum Wideruf aufzufordern und im Falle der Verweigerung desselben seine Auslieferung nach Rom, im Nothfall unter Androhung des Bannes, ja des Interdictes über Kursachsen, zu erzwingen.
Im Oktober trat Luther in Augsburg vor Cajetan; er trat zuerst zaghaft und voller Scheu und Ehrfurcht vor diesen Großen der Kirche, fand aber bald den festen Muth des Bekenners wieder.
Dem frivolen Italiener Urban von Serralonga, der ihm sagte: „Was ist’s denn um die sechs Buchstaben r e v o c o (ich widerrufe)?“ hatte er auf die Frage: „Glaubst Du, daß der Kurfürst um Deinetwillen sein Land wird verlieren wollen?“ geantwortet: „Das will ich selbst nicht.“ Auf die fernere Frage: „Wo willst Du dann aber bleiben?“ gab er die stolze Antwort: „Unter dem Himmel!“ –
Cajetan brach nach zwei Tagen alle weiteren Verhandlungen mit den harten Worten ab:
„Geh! Widerrufe, oder komm mir nie wieder vor die Augen.“
Als ihn dann Staupitz bat, noch einmal mit Luther zu reden, gab Cajetan die bereits in unserm Ablaß-Artikel erwähnte Antwort: „Ich verhandle nicht weiter mit dieser Bestie, die so tiefe Augen und wunderbare Speculationen im Kopfe hat.“
Darauf entfloh Luther, Böses ahnend, plötzlich nach Wittenberg, worauf Cajetan vom Kurfürsten dessen Auslieferung nach Rom, mindestens dessen Landesverweisung forderte. Luther remonstrirte in einer Gegenschrift beim Kurfürsten und bat denselben, er möge ihn nicht nach Rom schicken, wo ja „selbst der Papst seines Lebens nicht sicher“ sei.
„Sie haben Papier und Federn und Tinte in Rom und unzählige Notarien; es wird leicht sein, zu Papier zu bringen, worin und warum ich geirrt habe. Ich kann mit geringeren Unkosten abwesend durch Briefe belehrt, als anwesend durch Nachstellungen umgebracht werden.“
So lehrte und predigte nun Luther in Wittenberg ohne Anfechtung die neue Lehre in Gemeinschaft mit dem vor Kurzem dahin berufenen einundzwanzigjährigen Melanchthon, dem Professor Amsdorf und dem Privatdocenten Bugenhagen, der dann 1523 Stadtpfarrer geworden ist.
„Es sind mehr als anderthalbtausend Studenten hier,“ schrieb damals ein Zeitgenosse, „welche beinahe alle beständig, wo sie gehen und stehen, ihre Bibel mit sich führen. Alle gehen bewaffnet, aber es herrscht unter ihnen, als unter Brüdern, die in Christo vereinigt sind, große Eintracht.“
Aber Rom ruhte nicht. Im Januar 1519 wurde Luther von dem päpstlichen Kämmerer Miltitz nach Altenburg berufen. Was der stolze Cardinal mit Härte nicht erreicht, das sollte nun der feine sächsische, mit den deutschen Verhältnissen besser vertraute Edelmann durch höfische Liebenswürdigkeit erlangen.
„Ich dachte,“ sagte Miltitz lächelnd, „Du wärst ein alter, verlebter Theologus, der hinterm Ofen säße und so mit sich selbst disputirte.“ Aber jetzt getraue er sich nicht, ihn selbst mit einem Heer von 2500 Mann aus Deutschland nach Rom zu holen! Ihm versprach denn Luther auch wirklich, er wolle vom Ablaß fernerhin ganz schweigen, der römischen Kirche treu gehorchen und an den Papst ein demüthiges Schreiben richten!
Das Letztere hat er gethan. Aber wenn er in diesem Briefe bekennen mußte, seine Schriften seien „weiter verbreitet, als er es je gedacht, und hätten in den Gemüthern tiefere Wurzeln geschlagen, als daß sie könnten widerrufen werden“, er also nur Schweigen geloben könne: so war es natürlich, daß sich die übrige Welt hierdurch nicht ebenfalls zum Schweigen verurtheilt sah. Siegesbewußt trat jetzt von der römischen Seite her der hochgelehrte Ingolstädter Theologe Dr. Eck auf und veranlaßte die Disputation zu Leipzig, und zwar gegen den Willen der Leipziger Facultät, die sogar durch den Herzog Georg dazu gezwungen werden mußte, indem er ihr schrieb: „Es liege ihm daran, daß die armen Laien erführen, woran sie hinsichtlich des Ablasses wären. Seinen Theologen aber, die er schon öfter als müßige und unzeitige Leute habe rühmen hören, werde das ein Exercitium sein, damit sie das mit an den Tag brächten, darüber sie so viele gute prandia verzehrt hätten; sonst sei ihm ein einjähriges Kind lieber, das doch mit Brei und geringer Kost mit der Zeit zu Etwas gebracht werde, oder ein altes Weib, das doch noch um Lohn singen oder springen könne.“
Das half! Im Juni und Juli 1519 fand die Disputation unter Anwesenheit des Herzogs Georg in der Pleißenburg statt. Die Wittenberger waren mit 200 Studenten, die „Spieße und Helleparten trugen“, eingezogen, und auch die Bürgerwehr war unter’s Gewehr getreten. Der Bischof von Merseburg freilich hatte noch in letzter Stunde die Disputation verboten und während des Einzugs der Wittenberger das Verbot an den Kirchenthüren anschlagen lassen. Aber der das besorgt hatte, wurde von Rechtswegen eingesteckt. Drei Wochen wurde gestritten, und schließlich behauptete jede Partei, den Sieg davon getragen zu haben.
Die hohe Bedeutung der Leipziger Disputation liegt lediglich darin, daß sie Luther und seine Gesinnungsgenossen nöthigte, über die Consequenzen ihres Standpunktes zu größerer Klarheit zu kommen; und in der That hat auch schon wenig Wochen nachher Luther in seiner „Erklärung zur Leipziger Disputation“ jenes bedeutende und kühne Wort geschrieben, welches als die erste helle und rückhaltlose Proklamation des protestantischen Princips betrachtet werden kann:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_715.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)