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Seite:Die Gartenlaube (1883) 685.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Die Sage vom Doctor Faust.

Von Fr. Helbig.
II.
Klinger’s Faust Roman. – Die Sturm- und Drangperiode. – Chamisso-Schink. – Goethe’s Faust. Endliche Lösung des Faust-Problems wenigstens symbolisch – Faust kommt zur Erkenntniß der Endlichkeit und zur Einschränkung seines Thatentriebes auf die Erde. – Stolte’s Faust. – Lenau. – Die Stadien der Faust-Entwicklung. – Die Faust-Natur der Menschheit.

In dem im Jahre 1792 erschienenen, mit großer dichterischer Kraft ausgeführten Romane von Klinger:„ Faust’s Leben, Thaten und Höllenfahrten“ wird das ähnliche Problem behandelt, wie im Münchener Faust, aber im verneinenden Sinne abgeschlossen. Hier will der mit titanischer Größe gezeichnete, aber auch mit einem wahren Prometheus-Trotze ausgestattete Faust die Hölle zwingen, an die Tugend der Menschheit zu glauben, und verliert die Wette an die Hölle, denn überall, wo er die Menschen auf ihre Tugend und Unschuld prüft und versucht, erliegen sie im halben Entgegenkommen stets dem Versucher. Er, der, ein zweiter Karl Moor, auszieht, die Menschheit an ihren Unterdrückern zu rächen, muß bald an ihrer edlen Bestimmung verzweifeln und stürzt sich zuletzt selbst in den Schlamm des sinnlichen Genusses. Er, der sich vermaß die Hölle zu bezwingen, sinkt zuletzt besiegt und vernichtet ihr in die Arme.

Von jetzt ab sprossen die Fauste wie Pilze aus dem mit allerlei Gährungsstoffen getränkten Boden. Faust, der trotzige Himmelsstürmer, war ganz nach dem Geschmacke der damaligen Sturm- und Drangperiode. Selbst neben und nach Goethe traten diese Fauste noch auf mit dem Anspruche auf ebenbürtige Beachtung. So war namentlich der Faust des Reichsgrafen Julius Soden in dessen 1797 erschienenem Volksschauspiele in seiner Schwärmerei für Vaterland, Humanität und Freiheit das vollendete Ur- und Vorbild der damaligen Zeit.

Im Jahre 1808 schrieb der Dichter Chamisso einen Faust, der sich jedoch nur auf einen Monolog und das Zwiegespräch mit dem guten und bösen Geist beschränkt. Der böse Geist verspricht ihm um den Preis seiner Seele, die Schätze der Wahrheit mit den Worten: „Und was der Mensch vermag, sollst du erkennen!“ Vergebens warnt ihn der gute Geist vor dem trügerischen Pacte. Gott habe in seiner Weisheit dem Menschen die Freude des Daseins gegeben, den Glauben und die Hoffnung, die Ahnung des Unendlichen. Faust will sich damit nicht begnügen, schließt den Bund mit der Hölle und erfährt, daß sie ihn mit Sophistik betrogen, denn das, was der Mensch vermöge zu erkennen, erklärt der Teufel, sei eben nur das, daß der Zweifel des Wissens Grenze sei. Erst der Tod reiße die trennende Mauer ein. Faust verfolgt nun durch Selbstmord die Wahrheit über diese Grenze hinaus.

Falsches Geld.
Nach dem Gemälde von A. Eckhardt.

Das zweibändige Faust-Drama von Schink, das im nächsten Jahre erschien, ist eine poetische Ausführung der Lessing’schen Faust-Idee. Mephisto und Ithuriel, der Engel des Guten, kämpfen hier gemeinsam um Faust’s Seele, der mit dem Leben in verschiedene Berührung gebracht wird. Auch hier strebt Faust nach voller Gottähnlichkeit auf Erden, erreicht auch durch des Teufel Hülfe eine hohe weltliche Macht und Bedeutung, wird dann aber durch denselben höllischen Förderer seiner Pläne seiner menschlichen Ohnmacht inne. Er blickt in den Spiegel der Erkenntniß und sieht dort die ganze Thorheit seines Strebens:

„Den Vorhang, der die Welt der Geister deckt,
Wagt’ ich zu heben mit verweg’ner Hand,
Mich brüstend mit erlogner Herrschermacht,
Hielt ich das Blendwerk lügenhafter Geister
Für Wirklichkeit, der Lüge Possenspiel
Für meiner Ohnmacht hohe Wunderkraft“.

Demüthig erfleht er vom Himmel fortan nichts weiter, als bescheiden stillen Wahrheitssinn, der nur nach dem, was gut und böse ist, von Selbstsucht frei und Eigendünkel, strebt.

Hierin liegt bereits ein großer Fortschritt in der Faust-Entwickelung. Während bei Lessing der Himmel, bei Chamisso die Hölle diese Schlußwahrheit ausspricht, ist hier Faust selbst in dieselbe eingetreten und hat sich erst mit dieser Selbsterkenntniß den Zutritt zu Gott, der, wie es bei Schink heißt, die Wahrheit selbst ist, erkauft.

Allein diese Erkenntniß gewinnt Faust erst im Tode, sie kommt zu spät und kann also für ihn nicht mehr nutzbringend werden. Daß dies geschehe, muß sie bereits früher in Faust auftauchen. Der dies erkannte und die Sage nach dieser Richtung erweiterte und zum endlichen Abschlusse brachte, war Goethe.

Wie bei Lessing, gab auch bei Goethe das Puppen- und Volksschauspiel des Faust, das der Knabe Goethe öfter in seiner Vaterstadt zu schauen bekam, die erste Anregung. Einzelne Motive desselben sind denn auch in seinem Faust, wenn auch im Dienste höherer Gesichtspunkte, verwendet. Was Goethe mit mächtigem Drange zu dem Faust-Stoffe hinzog, war das Gefühl einer inneren Verwandtschaft zwischen dem Helden der Sage und seinem eigenen Selbst. „Wie er,“ so bekennt er, „hatte auch ich mich in allem Wissen herumgetrieben und war frühe genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen; wie er, hatte auch ich es im Leben auf allerlei Weise versucht und war immer unbefriedigter und gequälter zurückgekommen.“ „Der Faust’sche Drang, Adlerflügel zu nehmen, alle Gründe im Himmel und auf Erden zu erforschen, daneben auch die Freuden der Welt epikuräisch zu genießen,“ war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_685.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)