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Seite:Die Gartenlaube (1883) 520.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

zu ab, sodaß im Beginne dieser Zeit die meisten Kinder die anfängliche Kurzsichtigkeit verloren haben. Die dem kindlichen Auge bekanntlich eigene Fähigkeit, ebenso in größter Nähe wie in weiter Ferne scharf zu sehen, zumal auch die feinsten, kleinsten Gegenstände zu erkennen, diese große Accommodationsbreite erhält sich freilich bei dem Leben und den Anforderungen unserer Cultur nicht lange. Das Dorfkind behält sie am längsten. Das Kind des Städters, das, in der Straßen erdrückender Enge lebend, oft wochenlang kein freies Feld, keinen weiteren Horizont hat, um seinen Augen eine Uebung zu erhalten und im wahrsten Sinne eine „Augenweide“ zu verschaffen, dies Kind, das möglichst früh, möglichst viel und einen möglichst großen Theil des Tages lernen soll, muß seine Augen mehr und mehr für die Nähe einrichten. Die Gestalt seiner Augäpfel durch anhaltende Wirkung der Augenmuskeln verlängert sich und da gleichzeitig im Gehirn und dem Auge der Blutgehalt sowie der Blutdruck zunehmen, so entsteht durch dies überwiegende Nahesehen ein kurzsichtiger Bau des Auges, der sich mehr und mehr steigert.

Es leuchtet ein, daß die Schule hierbei recht ungünstig wirken muß. Schon das Schreiben auf der schwarzen Schiefertafel, welches aus optischen Gründen von Fachmännern verurtheilt wird und erst neuerdings zu der Erfindung weißer Schreibtafeln (vergl. „Zwanglose Blätter“ Nr. 3, Beilage zur „Gartenlaube“, 1883, Nr. 5) geführt hat, sodann aber die anhaltende Anstrengung der Sehkraft, der in vielen Fällen zu kleine, zu enge oder zu matte Druck der Schul- und Lesebücher, zuweilen auch die nicht zweckmäßige Beleuchtung des Schulzimmers und die trotz aller Ermahnungen des Lehrers schlechte Haltung des Kopfes und Oberkörpers – alles dies wirkt ja in der Schule vereint zur Verschlechterung der Sehkraft mit.

Aber – und das wird viel zu wenig betont – in fast noch höherem Grade wird während der Jahre, wo das Kind die Schule besucht (und während der Universitätszeit ist es nicht viel besser) daheim gesündigt und gefehlt.

Schon vor der Schulzeit werden die Kinder in manchen Spielschulen und Kindergärten mit kleinen Handarbeiten und sonstigen feineren Fertigkeiten geradezu zur Kurzsichtigkeit erzogen.

Doch sind auch hier die Eltern nicht frei von Schuld, da sie von ihren Kindern nicht früh genug selbstgearbeitete Gaben verlangen können und die Kindergärtnerinnen zur Aufgabe der verschiedensten Geburtstags- und Weihnachtshandarbeiten förmlich drängen.

Die Bilder- und Lesebücher sind oft von einer empörend schlechten Ausstattung. Zwar bieten demjenigen Verleger, welcher die Minimalgrenze in der Größe der Buchstaben, in ihrer Entfernung von einander, in der Buchstabenzahl jeder Zeile und in dem Abstand der Zeilen, kurz die Verhältnisse, unter welchen ohne Schädigung der Augen nicht herabgegangen werden darf, kennen lernen will, die Angaben des berühmten Augenarztes Professor Cohn in Breslau genügenden Anhalt. Allein was kehren sich gewissenlose „Fabrikanten“ von Kinderbüchern daran!

Für diese ist die Parole: „Billigste Herstellung“ – und dieser entsprechend zerfällt der Einband in acht Tagen, die löschpapierartigen Blätter werden mürbe; nur der enge, mangelhafte Druck, durch welchen Raum und Geld gespart werden soll, bleibt bis zur völligen Abnutzung des Buches von unverminderter Schädlichkeit.

Und wie liest das Kind zu Haus? Bald hält es das Buch zu nahe, bald läßt es dasselbe (in höchst ungünstigem Winkel für die Sehachse) horizontal auf dem Tisch liegen. Wieder in anderen Fällen liest es im Sonnenschein oder Dämmerlicht, oder so, daß die Schrift völlig beschattet ist. Keinem fällt es ein, in den kühnen Lieblingsstellungen, die manches Kind dabei stundenlang einnimmt, etwas Unpassendes zu finden, und doch würde keine, auch nicht die ärmlichste Schule die Art der Lectüre dulden, wie sie uns der Stift des Meisters Pletsch, treu nach dem Leben, darstellt.

Die häusliche Ueberwachung ist, obgleich sie gerade in dem Alter, wo die Kinder Lust am Lesen gewinnen, geschärfter sein müßte, im Gegentheil viel inconsequenter und oberflächlicher, als die in der Schule; aber für den Ruin des Auges wird letztere verantwortlich gemacht.

Nur nebenbei sei übrigens erwähnt, daß ein Theil der kurzsichtigen Schulkinder von Geburt an kurzsichtig war und blieb, zuweilen auf Grund einer von Eltern und Großeltern sich forterbenden Anlage hierzu. Alle solche Kinder „verderben die Statistik“, wie man zu sagen pflegt. Ungünstige angeborene Anlagen, ungünstige Einwirkungen vor dem Schulalter und in der schulfreien Zeit mögen gewiß einen Theil von kurzsichtigen Schulkindern schaffen. Ein anderer Theil würde durch rechtzeitiges Erkennen und durch entsprechende Ueberwachung im Beginne des Leidens wieder hergestellt werden können.

Aber wie wenige Eltern machen es sich zum Grundsatze, mit ihren Kindern regelmäßig „hinaus in die Ferne“ zu ziehen, in Wald und Feld sie zum Blick in die Weite anzuhalten und die Wohlthat der freien Natur auf sie einwirken zu lassen. Uffelmann in Rostock, dem wir neben Jacobi in New-York und Baginsky in Berlin wohl die beste Darstellung der Kindeshygiene verdanken, sagt in diesem Werke hierüber:

„Aus alledem folgt nicht, daß die Schule ganz allein die Myopie (Kurzsichtigkeit) verschuldet. Ich bin sogar überzeugt, daß an der Entstehung der Letzteren auch das Haus einen nicht unbeträchtlichen Antheil hat.“

Und an anderer Stelle sagt er:

„In der Regel bleibt es ganz unberücksichtigt, daß das Haus die Kurzsichtigkeit verschulden kann und thatsächlich oft verschuldet.“

Diesen Worten kann sich der Verfasser nur aus voller Ueberzeugung anschließen; ja er hält es für eine Gewissenssache, auch weitere Kreise auf die bessere Pflege der „edlen Himmelsgabe“, des Auges, hinzuweisen, besonders des so viel besungenen „Kindesauges“.

(Fortsetzung folgt.)




Heiße Stunden.

Ein Idyll aus Bayreuth von Wilhelm Kästner.
(Schluß.)

Wie kam es nun, daß Alfred am nächsten Morgen doch schon wieder in dem Bureau des Verwaltungsrathes stand, um sich ein gewisses Billet mit einer gewissen Nummer darauf zu sichern? Kaum hatte er die gewünschte Karte in der Hand, so bereute er seine Schwäche und wandte sich mißvergnügt zum Gehen.

Auf den Stufen, die hinausführten, stieß er, in seine Gedanken vertieft, an einen aufgespannten Regenschirm, den eine Dame im Begriff stand zu schließen.

Eine Entschuldigung murmelnd, wollte er vorüber. Da klappte das regentriefende Dach zusammen, und Rosa Jung’s Antlitz kam strahlend und reizend darunter zum Vorschein.

„Ah, Herr Berger, Sie sind es? Was thun Sie hier? Sie haben sich ein Billet genommen? Ich glaubte verstanden zu haben, Sie wollten heute abreisen,“ redete sie ihn in einem muthwillig neckenden Ton an. „Welch angenehmer Zufall, daß ich Sie hier treffe!“ plauderte sie weiter und erzählte mit fast zutraulicher Geschwätzigkeit, daß sie ebenfalls die Billets für morgen und natürlich für die bisherigen hübschen Plätze geholt, daß Mama daheim auf dem Kanapee sich für den Empfangsabend in „Wahnfried“ stärke. „Ich werde dahin nicht mitgenommen,“ schloß sie, „worüber ich aber gar nicht traurig bin.“

Sie waren inzwischen auf die Straße gelangt, wo Alfred den Regenschirm schützend über sie hielt.

„Wollen Sie so freundlich sein, mich in eine Buchhandlung zu begleiten, Herr Berger?“

Natürlich wollte er das, mit dem größten Vergnügen. Das gemeinschaftliche Aussuchen eines Buches für Fräulein Rosa war ein zu amüsantes Geschäft, als daß man es sehr schnell abgemacht hätte.

„Ach, ich will doch noch etwas für Max aussuchen,“ rief sie plötzlich voll Eifer. „Er sprach gestern von einer neuen Broschüre über ‚Parsifal‘, die er gern lesen möchte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_520.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)