Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Brüder heller als jemals auf. Es war der Genius der Humanität, der Genius der Aufklärung der Geister, der Genius treuer Menschenliebe, der Genius, der den Volksgeist mit idealem Streben erfüllte; dieser Genius war es, der damals hellaufstrahlend in die bescheidenen Wohnstätten der beiden Heroen der Kunst und der Literatur in Weimar und in Jena hineinleuchtete. Dieser Genius schwebte über den reinsten Jugendjahren der beiden Brüder. Er blieb ihnen auch bis an das Ende ihres Daseins treu, und er leuchtet auch noch heutigen Tages aus den edlen Gestalten hervor, welche zu ihrer Verehrung aufgerichtet worden sind. Dieser Genius einigt sie, wenn auch jeder von ihnen in Studien und Schöpfungen seinen eigenen und eigenthümlichen Neigungen folgte.
Zwei Brüder, stehen sie heute vor einem und demselben der Geistesbildung gewidmeten Institut. Die Universität der Hauptstadt des deutschen Reiches ist der rechte Platz für Beide. Sie haben beide dem universalen Wissen gelebt. Das Universale der Sprachgesetze des menschlichen Geistes hat Wilhelm zu einer wissenschaftlichen Forschung erhoben, die seit seinem Wirken sich glücklich fortentwickelt hat. Das Universale der Naturgesetze hat in Alexander’s Studien den Schwerpunkt all seines Forschens ausgemacht. Das Universum hat er stets in seinem weit ausgebreiteten Wissen zu einen versucht, dem von den Schlacken des Vorurtheils befreiten gesunden Menschengeist hat er die Millionen und millionenfachen Erscheinungen der Natur faßlich dargestellt. Der Kosmos war sein Jugendideal, und der Kosmos wurde das letzte Lieblingswerk seines hohen Alters.
Die Stätte des universalen Wissens, vor dem die zwei Brüder ihre rechte Stelle gefunden, sie ist die Pflanzschule unserer heranwachsenden Jugend, die im nächsten Wechsel der Jahrhunderte dereinst berufen sein wird, das Wissen hinauszutragen in kommende Geschlechter. – Mögen die Standbilder sie mahnen, demselben Geist der Humanität, der Aufklärung und des Wissens stets zu huldigen, in welchem diese edelsten Vorbilder für alle Zeiten geschmückt dastehen!
Aus der Lebensgeschichte der zwei Brüder wollen wir nur dasjenige hervorheben, was zum Verständniß ihrer geistigen Entwickelung nöthig ist. Sie waren die Söhne des im Dienste des Königs von Preußen stehenden Kammerherrn von Humboldt, der seinen Stammsitz in Tegel bei Berlin hatte. Den Vater verloren sie schon während ihres Knabenalters, die Mutter wachte jedoch mit liebender Sorgfalt über die Ausbildung der zwei Söhne, die von den vorzüglichsten Lehrern ihrer Zeit den Unterricht empfingen. Der freisinnige Pädagoge Joachim Heinrich Campe, dessen Schriften für die Jugend noch immer ein edles Muster von sittlicher und humaner Bildung sind, war der früheste Lehrer derselben. In Naturwissenschaft und Mathematik war der Physiker Professor Fischer ihr Lehrer. In die Pflanzenkunde weihte sie der später wissenschaftlich hervorragende Kunth ein. Während sie in Sprachen, Ethik und Aesthetik von J. G. Engel unterrichtet wurden, war der freisinnige Theologe Dohm ihr Lehrer in Geschichte und Religion. So wurden sie durch einen ausgezeichneten Privatunterricht soweit herausgebildet, daß sie in frühen Jünglingsjahren die Universität in Frankfurt an der Oder beziehen konnten.
Wilhelm, der ältere der zwei Bender, im Jahre 1767 geboren, widmete sich mit großer Vorliebe dem Studium der Rechtswissenschaft, trieb jedoch sowohl in Frankfurt wie später auf der Universität in Göttingen Alterthumskunde, Aesthetik und Kant’sche Philosophie. Er verfolgte den Lebensplan, dereinst in den Staatsdienst einzutreten. Alexander, im Jahre 1769 geboren, nahm sofort eine realere Richtung des Geistes an. Auch er bezog nach einem Jahr des Studiums in Frankfurt, im Alter von zwanzig Jahren die Universität Göttingen, woselbst er sich zwar mit dem Studium der griechischen Sprache befaßte, sich aber doch der Technologie – dieser damals noch sehr unentwickelten Kunst, die Naturkenntniß zur Förderung der Gewerbe zu verwenden – mit ganz besonderem Interesse hingab. Die naturhistorischen Forschungen hatten damals in Göttingen vorzügliche Vertreter, unter denen sich Blumendach, Gmelin und Lichtenberg rühmlich auszeichneten, deren Achtung er sich schnell erwarb.
Von hier ab scheiden sich die Bildungswege der beiden Brüder, sodaß wir jeden derselben in seinen Einzelzügen verfolgen und bis zur Höhe ihrer Entwickelung begleiten müssen.
Dem älteren Wilhelm war ein tief innerliches Wesen eigen, das sich der Dichtkunst und Philosophie zugeneigt fühlte. Später machte er die Entstehung und Entwickelung der menschlichen Sprachen zum Gegenstand seiner hauptsächlichen Forschungen. Er war noch sehr jung, als er zum Referendar im Kammergericht zu Berlin ernannt wurde. Das Rechtsinstitut, das sich damals zur höchsten Blüthe seines Ruhmes, der Unabhängigkeit des Richterstandes, erhoben hatte, besaß einen hohen Reiz in der Seele des jungen, ernsten Mannes. Bald jedoch erkannte er, daß seinem nach allgemeinerem humanem Wissen strebenden Geiste die stricte Rechtsform nicht genüge. Er entsagte deshalb dem Staatsdienst, um seinem inneren Zuge nach freier Entfaltung Folge leisten zu können.
Er ging nach Erfurt, Jena und Weimar, und schloß sich hier innig den großen Freidenkern Fr. August Wolf, Goethe, Schiller, Georg Forster und den beiden Brüdern Schlegel an. Ein noch innigeres Verhältniß verband ihn sodann mit Schiller, nachdem er sich mit einer Freundin der Gattin Schiller’s vermählte.
Aus dieser Zeit stammt ein Briefwechsel Schiller’s mit Wilhelm von Humboldt, der den schönsten Stempel ihres freien edlen Geistes an sich trägt und namentlich zur Kenntniß des Idealismus Schiller’s eine Grundquelle bildet.
So vergingen ihm denn zwölf Jahre seines Jugend- und Manneslebens in fortgesetzter Selbstbildung. Nunmehr erst, im Jahre 1802, trat er wieder in den Staatsdienst und ging als Ministerresident Preußens nach Rom.
Obwohl ihn die ewige Stadt in ihrer weltgeschichtlichen Wandelung und Entwickelung ungemein anzog, beschäftigte ihn dennoch der nimmer gestillte Zug zur Selbstbildung und trieb ihn an, die alten Sprachen der Basken zu studiren, um die Gesetze der Sprachentwickelung zu erforschen. Sein tiefer Lebensernst und die gewissenhafte Erfüllung seines Amtes bewirken es, daß der Staatskanzler ihn im Jahre 1809 nach Berlin berief, um ihm eine einflußreiche Stellung im Ministerium des Innern anzuvertrauen und ihm sodann die Direction der Unterrichtsangelegenheiten in Preußen zu übertragen.
Der Druck der Fremdherrschaft und des Despotismus des Eroberers Napoleon lastete damals mit ganz besonderer Schwere auf dem preußischen Staate. Stein, der ideale Befreier, war auf Befehl des Despoten aus dem Staatsdienste entfernt worden Wilhelm von Humboldt war kein Politiker in dem üblichen Sinne dieses vieldeutigen Wortes, aber er war erfüllt von der Ueberzeugung, daß nur in einer Reform des Volkslebens und einer Entwickelung im Geiste eines freien und bildenden Jugendunterrichts die dereinstige Quelle der Befreiung liege. Im Verein mit allen stillen Verehrern Stein’s und all den Freunden eines entwickelten freien Volkslebens entwarf er den Plan, die Volksschule ganz nach dem Systeme Pestalozzi’s einzurichten. Mit Nachhülfe von Fr. August Wolf erhob er das Gymnasialwesen und wies ihm die einflußreiche Stellung an, die es auf die höhere Jugendbildung ausübt. Die frühere Bevorzugung des Adels und den abgelebten Geist der Ritterakademien wies er weit von sich ab. Er erkannte mit edlem freiem Scharfblicke, daß in der Mitte des neu zu errichtenden Staatswesens eine Belebung der Wissenschaften unumgänglich sei, weshalb er auch allen Bedenken gegen eine Verlegung der Universität von Frankfurt an der Oder nach Berlin entsagte und für die Herstellung dieser im neuen Geiste auflebenden Universität mit aller Energie eintrat. Die Universität, vor welcher jetzt sein Standbild errichtet worden ist, ist hauptsächlich sein eigenstes Werk. Zur Forderung des neuen Geistes setzte er die Berufung ausgezeichneter Männer durch, die den Geist derselben erhöhte. Fichte, Fr. August Wolf, Schleiermacher und Böckh verliehen der Hochschule einen Glanz, den auch die Reaction der späteren Jahre nicht verlöschen konnte. Nicht minder verdankt ihm auch Preußen die Anregung des ersten Turnunterrichts, der freilich später wiederum unter Bann gethan wurde.
Auf all dies ideale freie Wirken des ernsten Mannes blickten indessen die alten Reactionsparteien, die ihren Einfluß am Hofe gefährdet sahen, mit tiefem Unbehagen. Auch Hardenberg konnte sich der Einwirkung dieser Parteien nicht ganz entziehen. Sie drangen darauf, Wilhelm von Humboldt aus seiner Amtsthätigkeit zu entfernen. Es blieb für Hardenberg kein anderer Ausweg, als durch einen Gesandtschaftsposten in Wien das Wirken des freien Mannes in Berlin zu unterbrechen.
Ebenso wenig wie Wilhelm von Humboldt ein Politiker im
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_391.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)