Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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fallen lassen, oder mit demselben, wie mit einem Sonnenschirm, hinabspazieren, wonach sie auch Tragameisen genannt werden.
Ein Reisender, Namens Lund, erzählt uns, daß er eines Tages unter einem Baume gestanden und mit Erstaunen beobachtet habe, wie die vollkommen frischen und grünen Blätter desselben trotz des stillen Wetters, einem Regen gleich, herabfielen. Bei genauerem Zusehen erkannte er dann, daß auf jedem Blattstiel eine Ameise saß und das Blatt abschnitt. Eine andere Scene spielte sich am Fuße des Baumes ab; der Boden war daselbst mit Ameisen bedeckt, welche die herabgefallenen Blätter sogleich in Stücke schnitten, um sie bequemer nach ihrem Neste bringen zu können. In weniger als einer Stunde ward das große Werk vor den Augen Lund’s vollendet, und der Baum blieb völlig kahl zurück.
Ueber den Gebrauch, welchen die Blattschneiderameisen von den Blättern machen, ist man noch nicht völlig im Klaren. Der Naturforscher Bates glaubte, daß sie dieselben beim Wölben ihrer unterirdischen Gänge verwenden, um dieselben regendicht zu machen, während Belt meinte, sie zerrissen dieselben zu einer flockigen Masse, um kleine Pilze für ihre Ernährung darauf zu cultiviren.
Natürlich sind diese Tragameisen, welche auch Besuchs- oder Visitenameisen genannt werden, weil sie durch ihre unerwünschten Besuche oft die Hoffnungen der Gartenbesitzer zu Schanden machen, von den Ansiedlern ebenso gefürchtet wie verfolgt, und man zerstört ihre Nester, wo man sie findet. Am meisten haben in der Regel ausländische Bäume von ihnen zu leiden, denn die einheimischen haben sich, wie gesagt, vielfach Leibwachen von anderen Ameisen angeschafft, welche den Tragameisen einen Besuch der betreffenden Pflanzen verleiden. Es sind dies namentlich verschiedene Arten einer kleinen schwarzen Ameisengattung (Crematogaster), welche so winzig sind, daß man kaum begreift, wie sich die großen, wohlgepanzerten Besuchsameisen vor ihnen fürchten können. Und doch ist dem so. Der ausgezeichnete deutsche Naturforscher Fritz Müller in Blumenau (Südbrasilien) sah eines Morgens in seinem Garten, ehe noch die kleinen schwarzen Ameisen ihr Tagewerk begonnen hatten, die Tragameisen damit beschäftigt, die Blumen eines Kürbisgewächses (einer Luffa-Art) zu zerstückeln, als bald darauf, von den Honigdrüsen der Deckblätter angezogen, einige Crematogaster erschienen, worauf sofort, ohne allen Kampf, die Tragameisen abzogen, um nicht wiederzukehren. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einem sehr schmerzhaften Stiche, den die ersteren austheilen können, und auch Sir John Lubbock sah eine Schaar beim Honigsammeln beschäftigter grauer Ameisen schleunigst die Flucht ergreifen, als einige winzige Crematogaster ihnen blos mit der gefährlichen Waffe ihres Hinterleibes drohten.
Es begreift sich unter diesen Umständen, daß viele südamerikanische Bäume sich ein förmliches stehendes Heer aus diesen kleinen Ameisen zu ihrem Schutze halten und ihnen dafür Wohnung, Speise und Trank bieten. Thomas Belt beobachtete dies z. B. bei der Ochsenhorn-Akazie (Acacia cornigera) in Nicaragua, auf deren Zweigen beständig Myriaden einer kleinen Ameise hin- und herlaufen, welche ihre Wohnung in den starken hohlen Dornen dieses Baumes finden, die wie kleine Ochsenhörner gestaltet sind. Die Blätter tragen sowohl an ihrer Basis wie an der Spitze honigabsondernde Drüsen, um dieses stehende Heer zu verpflegen. Uebrigens schützen dieselben die betreffenden Bäume und kleinere Pflanzen wahrscheinlich nicht blos gegen die Tragameisen, sondern auch gegen die Angriffe anderer Thiere, z. B. von Säugethieren, welche das Laub fressen möchten; wenigstens sah sich Belt eines Tages, als er eine Blume der auch in unseren Gärten beliebten Volkamerie (Clerodendron fragans) abpflücken wollte, urplötzlich von einer Armee kleiner Ameisen angegriffen.
Von einem ganz ungewöhnlichen Interesse ist aber das Schutz- und Trutzbündniß zwischen dem eigentlichen Charakterbaum des wärmeren Amerikas, der Imbauba (Cecropia) (Fig. 2) und einer kleinen Ameisenart, die in den hohlen Stammgliedern dieses zu den Nesselgewächsen gehörigen Baumes wohnt. Ueberall, wo in den Urwäldern des wärmeren Südamerika, durch Abholzen oder Waldbrand, ein freies Plätzchen entstanden ist, schießt dieser schnellwachsende schlanke Baum, alles niedere Gestrüpp überragend, bis zu einer Höhe von zwanzig Metern und darüber empor. Man nennt ihn auch den Armleuchterbaum, weil der drehrunde, weiße Stamm zuerst in einer Höhe von zehn Metern und dann in regelmäßigen Abständen Astquirle von abnehmender Länge aussendet, die ihm das Aussehen eines Candelabers verleihen (Fig. 2), wobei jede Astspitze einen Strauß großer, langgestielter, tiefgelappter Blätter entfaltet, die auf der Unterseite mit einem schneeweißen Filze bedeckt sind. Schon Alexander von Humboldt hatte bemerkt, daß die einzelnen Abtheilungen, in welche der Stamm, ähnlich wie ein Bambusrohr, getheilt ist, stets von Ameisen bewohnt sind, und letzteren, denen er schuld gab, das Mark des Baumes zu verzehren, schrieb er es zu, daß der schöne, palmenähnliche Baum immer nur wenige große Blätter am Ende seiner Zweige trägt.
Genauer hatte sich Thomas Belt die Sache angesehen; er fand ebenfalls die hohlen Stammstücke regelmäßig von kleinen Ameisen bewohnt, auf deren Angriff man sich stets gefaßt machen muß, wenn man einen solchen Baum fällt, aber er hielt sie nicht mehr für schädliche, sondern im Gegentheil für höchst nützliche Einwohner, von denen er glaubte, daß sie Vorzugsweise von Viehzucht lebten, da sie Heerden von Schildläusen züchteten. Uebrigens fand er drei verschiedene Arten viehzüchtender Ameisen in diesen Bäumen, derart jedoch, daß ebenso wie bei der Ochsenhorn-Akazie nie mehr als eine dieser Arten denselben Baum bewohnte. Noch genauere und höchst überraschende Aufklärungen über das hier obwaltende Bündniß von Baum und Thier hat sodann Fritz Müller vor zwei Jahren an den Schreiber dieser Zeilen gelangen lassen, und aus seinen in einem wissenschaftlichen Journale veröffentlichten Mittheilungen geben wir im Folgenden die merkwürdigsten Einzelnheiten wieder.
Wie Belt in Nicaragua, so fand Fritz Müller auch in Südbrasilien die von Natur hohlen und nicht etwa erst von den Thieren ausgehöhlten Stengelglieder der älteren Stämme stets von einer einzigen, Schildläuse züchtenden Art bewohnt, die als die Azteken-Ameise (Azteka instabilis) bestimmt wurde. Daß diese Ameisen dem Baume nützlich und nicht, wie Humboldt meinte, schädlich sind, ergab die Beobachtung junger, noch nicht von einem stehenden Aztekenheer beschützter Stämme, deren Triebe und Blätter häufig durch Tragameisen und Rüsselkäfer zerstört werden, während sich letztere Thiere niemals an von Azteken besetzte Stämme wagten. Belt’s Beobachtungen hatten im Dunkeln
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_388.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)