verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
„Ja, das dürfen Sie!“ versicherte Lily, die es grausam fand, dem Unglücklichen diesen Trost zu versagen. Sie reichte ihm die Hand und bemerkte mit großer Befriedigung, daß er sie diesmal auch an seine Lippen zog.
„Haben Sie Dank!“ sagte er herzlich, „und leben Sie wohl!“
„Leben Sie wohl!“ wiederholte Lily, der der Handkuß ebenso wohl gethan hatte, wie dem jungen Mann ihre Tröstungen, und darauf trennten sie sich.
Werdenfels war inzwischen weiter gegangen. Jener bittere Ausdruck lag noch in seinem Gesichte; er mochte wohl ahnen, wie man ihn dem jungen Mädchen geschildert hatte, daß es so in Angst gerieth bei seiner bloßen Annäherung. An einem Seitenpfade, dessen Windungen nach dem Schlosse zurückführten, blieb er finster stehen und schien zu überlegen, ob er umkehren solle, dann aber fuhr er mit der Hand über die Stirn und sagte halblaut:
„Das Einschließen nützt nichts! Habe ich es begonnen, so muß ich es auch durchführen, also weiter!“
Er ging in der That vorwärts und erreichte den Ausgang des Gehölzes, von wo ein Weg nach dem Dorfe führte, als ihm in der Windung dieses Weges ein Anderer entgegentrat, der vom Dorfe herkam. Raimund von Werdenfels und Gregor Vilmut standen plötzlich einander gegenüber.
Beide stutzten bei dieser unerwarteten Begegnung und hemmten ihren Schritt. Einige Secunden blickten sie sich schweigend an, dann sagte Vilmut in eisigem Tone: „Herr von Werdenfels – ich wußte bereits von Ihrer Ankunft.“
„Ich beabsichtigte auch nicht, ein Geheimniß daraus zu machen,“ entgegnete der Freiherr in dem gleichen Tone. „Ich war auf dem Wege zu Ihnen, Hochwürden.“
„Zu mir? Und das gerade heute?“
„Warum nicht heute? Ist Ihnen das nicht gelegen?“
Der Argwohn Vilmut’s begann zu schwinden, denn er sah, daß Werdenfels wirklich keine Ahnung hatte, wer sich im Pfarrhause befand, aber trotzdem galt es, ihn davon fern zu halten.
„So kommt diese Begegnung also Ihrem Wunsche entgegen,“ versetzte er. „Nun denn, wir sind auch hier allein und ich bin bereit, Sie zu hören.“
Er stand da, gewaffnet mit derselben starren Strenge, womit er im Beichtstuhl die reumüthigen Bekenntnisse seiner Pfarrkinder empfing, aber der Freiherr sah nicht aus wie ein Büßender. Er kreuzte ruhig die Arme und antwortete: „Ich wußte, daß Sie einer Aufforderung, im Schlosse zu erscheinen, nicht Folge leisten würden, deshalb blieb mir nichts übrig, als Sie aufzusuchen, aber ich glaube, Hochwürden, Sie täuschen sich über den Grund meines Kommens.“
„Schwerlich! Denn ich kenne nur eins, was Sie zu mir führen kann. Es hat freilich lange gedauert, ehe Sie diesen Weg zu mir fanden, volle sechs Jahre, aber es ist nie zu spät zur Umkehr. Sie wollen endlich den Schritt thun, den Sie damals verweigerten?“
Es lag kein Triumph in diesen Worten, aber der ganze Hochmuth des Priesters, der die Unterwerfung als selbstverständlich betrachtet. Raimund richtete sich plötzlich empor, mit jenem Ausdruck unnahbaren Stolzes, der ihm bisweilen eigen war, und seine Stimme klang voll und fest, als er sagte:
„Nein!“
„Nein?“ wiederholte Vilmut scharf. „Dann begreife ich in der That nicht, was Sie nach Werdenfels geführt hat.“
„Bedarf ich Ihrer Erlaubniß, um in meinem Schlosse zu wohnen?“ gab Raimund mit derselben Schärfe zurück.
„Sie sind der unbestrittene Herr Ihres Schlosses – das Dorf und die Gemeinde sind meine Domäne.“
„Die Sie ebenso absolut beherrschen, wie nur irgend ein Despot seine Unterthanen beherrscht. Ich habe das erfahren.“
„Ich übe nur die Zucht des Priesters,“ sagte Vilmut, jedes Wort betonend, „und dieser Zucht allein beugt sich die Gemeinde. Sie beugten sich nicht, Herr von Werdenfels, und doch kennen Sie die Bedingungen, unter denen ich Ihnen den Frieden bot und noch biete.“
„Und Sie wissen, daß ich mich diesen schmachvollen Bedingungen niemals fügen werde. Was auch geschehen mag, Sie werden es nicht erleben, einen Werdenfels im Staube vor sich zu sehen.“
„Der Hochmuth ist es, der in den Staub nieder muß!“ sagte Gregor unbewegt. „Das ist der erste Schritt zur Buße. Dieser Hochmuth ist ein Erbfehler Ihres Geschlechtes. So unähnlich Sie Ihrem Vater und Ihren Vorfahren auch sein mögen – in dem Punkte sind Sie ein echter Werdenfels!“
„Hochwürden, mißbrauchen Sie Ihr Priesteramt nicht zu Beleidigungen!“ fiel der Freiherr mit dumpfer, mühsam beherrschter Stimme ein. „Ich weiß, daß dieses Amt Sie unangreifbar macht, aber Sie könnten es dahin bringen, daß ich es vergesse.“
„So werde ich Sie daran erinnern,“ erklärte Gregor. „Beleidigungen empfängt man nur von seines Gleichen. Ich bin ein Diener des Herrn und fordere Ehrfurcht für die Worte, die ich in seinem Namen spreche.“
Raimund schien sich zu bezwingen.
„Wir wollen nicht um Worte rechten! Ich kam nicht, um mit Ihnen zu streiten, sondern um eine Frage an Sie zu richten, deren Beantwortung Sie mir schuldig sind. Es war Ihre eiserne Hand, die mir damals mein Glück entriß; ich möchte jetzt erfahren, ob diese Hand auch das Siegel auf meinen Verlust drückte. Jener letzte Brief, den ich an Anna Vilmut richtete, wurde ungelesen verbrannt?“
„Ja, aber wer sagte Ihnen das? Ich war allein mit meiner Cousine, als es geschah.“
„Also Sie waren zugegen? Das allein wollte ich wissen! Meine Braut hätte meine letzte Bitte gehört; es war Ihr Werk, daß jener Brief in die Flammen geworfen wurde, oder wollen Sie mir in das Angesicht hinein behaupten, daß Anna es freiwillig that?“
Der neue Rattenfänger.
„Allbekannt ist er im Land’ |
Schöne, weihevolle Tage waren es, Ende Juli 1869. Ferdinand Freiligrath, von dem endlich der Fluch der Verbannung genommen, war nach Deutschland zurückgekehrt und hielt die erste Rast in der geliebten Westfälischen Heimath, seit dreißig Jahren hatte er die rothe Erde nicht betreten. Bielefeld und die Vaterstadt Detmold ehrten ihn durch glänzende Feste, Sanges- und Sinnesgenossen eilten von allen Enden herbei, eng schaarte sich das Volk um seinen Dichterhelden, hoch und hell loderten die Flammen edelster Begeisterung empor – es waren unvergeßliche Tage. In nächster Nähe des Gefeierten hielt sich stets ein junger Mann, blond und schlank, mit blauen, klar und treuherzig blickenden Augen und von schlichtem, gewinnendem Wesen. Niemand kannte ihn, der „alte Wolff“, der letzte Redacteur der tapferen „Rheinischen Zeitung“ und ein Demokrat von echtem, vormärzlichem Schrot und Korn, hatte ihn als seinen Neffen Julius Wolff vorgestellt. Man erfuhr auch, daß er soeben das väterliche Geschäft, eine große Tuchfabrik in Quedlinburg aufgegeben, dafür an den Webstuhl der Zeit sich gesetzt und die „Harz-Zeitung“ begründet habe, die er, Redacteur und einziger Mitarbeiter, täglich herausgab. Also doch von der Zunft – seine umfassende Bildung lag offen zu Tage, und der unerschöpfliche Schatz seiner Kneiplieder im traulichen Kreise vervollständigte den Beweis, daß er die Hochschule mit glänzendem Erfolge besucht hatte. Alles gewann den wackeren Gesellen lieb, Freiligrath hatte eine
verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_204.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)