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Seite:Die Gartenlaube (1883) 104.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Vor dem Geheimnisse seines Schicksals steht jeder Einzelne – und eben darum hat es zu allen Zeiten „weise“ Männer und Frauen gegeben, welche sich die Fähigkeit beilegten, für diese Einzelnen den dunklen Vorhang lüften zu können. Priester, Propheten, Orakel, Traum- und Zeichendeuter, Astrologen etc. verstanden es, die angebliche Bewältigung des Geheimnisses der Zukunft Anderer als Mittel der Macht, des Einflusses und des Erwerbes für sich zu benutzen – und kein Rang und kein Stand entzog sich ganz dem Zauber dieser reizvollen Täuschung, von den Tagen der Hexe von Endor, welche dem König Saul, bis zur Anne Marie Lenormand, welche der Kaiserin Josephine und Alexander von Rußland den Schleier der Zukunft lüftete. Warum sollen wir es nun den beiden jungen Damen verargen, daß sie ein ihnen besonders werthes Geheimniß sich von einer Kartenschlägerin entschleiern lassen? Hat auch die Kunst des Kartenlegens viel von ihrer Bedeutung und ihrem Reize dadurch verloren, daß sie nicht mehr verboten ist, so mag sie liebedürftigen Herzen immerhin noch die süße Täuschung gewähren, daß wenigstens die Karten ihnen das Glück verbürgen, welches die Jahre ihnen bereits zweifelhaft machen wollen. Man muß deshalb nicht gleich an des seligen Bock flüchtiges Wort denken, wenigstens bei so vornehmen Leuten nicht. Weiter unten, in weiten und tiefen Volkskreisen, wo Aber- und Ueberglaube in so beklagenswerther Weise die Opfer der Geheimnißwächter sind, ist’s um so lauter zu beklagen, daß auf dieser schönen Erden – nie die Dummen alle werden.




„Wilhelmsdorf“. Eine Heimstätte der Heimathlosen. Heimathlos, siech, arm und elend die Welt zu durchirren, steuer- und mastenlos auf dem wildbewegten Meere des Lebens umherzutreiben, ist ein herber, bitterer Fluch. Nach Tausenden zählt die Zahl Derer, die diesem Fluche anheimgefallen sind. Wer hätte sie nicht gesehen im Kothe der Gasse, auf der Land- und Heerstraße, im dumpfen, schweren Qualm der Herbergen, in den Strafanstalten und Spitälern? Abscheu und Mitleid einflößende Jammergestalten!

Die Klagen über das Vagabondenthum haben sich vermehrt von Jahr zu Jahr, und der Kampf gegen dasselbe war bis jetzt ohne jeden nennenswerthen Erfolg. Weder Gensd’arm noch Seelsorger, weder Vereine gegen Bettelei, noch Gesetze sind im Stande gewesen, die Hochfluth des Vagabondenthums einzudämmen.

Arbeitslosigkeit wird der stets fruchtbare Boden sein, auf welchem dasselbe emporsprießt und fortwuchert. Die blutig rothe Fanale der Socialdemokratie, der unheilschwangere Taumelbalsam, der Branntwein, werden jederzeit mitwirken auf jenem Grunde Früchte der verderblichsten Art für unser Vaterland zu zeitigen. Das erlösende Zauberwort des Meisters aus dieser großen Noth würde die Botschaft sein: Hier ist Arbeit. Sechszig Procent jener 150,000 bis 200,000, welche arbeitslos in Deutschland umherirren, waren fleißige Menschen, die durch die Ungunst der Zeitverhältnisse ihren Wirkungskreis verloren, redlich Arbeit suchten, jedoch nicht fanden und so auf die abschüssige Bahn des Vagabondenthums gedrängt wurden. Um diese wenigstens für die Gesellschaft zu retten, ist die Anstalt, auf die wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken, in’s Leben gerufen worden.

Die unter dem Protectorate des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen stehende Arbeitercolonie Wilhelmsdorf bei Bielefeld in der Senne hat den Zweck: 1) arbeitslustige und arbeitslose Männer jeder Confession und jeden Standes so lange in ländlichen und andern Arbeiten zu beschäftigen, bis es möglich geworden ist, ihnen anderweite lohnende Arbeiten zu beschaffen, und ihnen so die Hand zu bieten, vom Vagabondenleben loszukommen; 2) arbeitsscheuen Vagabonden jede Entschuldigung abzuschneiden, daß sie keine Arbeit hätten.

Neben dem Angebote von Arbeit an alle Arbeitslose wird zugleich die Einrichtung von festen Naturalunterstützungsstationen in Stadt und Land erstrebt.

Am 17. August vorigen Jahres wurde die Anstalt eröffnet und die Arbeit auf den Haidestrecken der drei angekauften Bauernhöfe begonnen. Der Erfolg war ein überraschender. Die Vermuthung, daß sich bei den harten Bedingungen nur äußerst wenige zur Aufnahme melden würden, ist durch die Thatsache widerlegt, daß sich in dem kurzen Zeitraume bis zum 1. December mehr als 1000 zur Aufnahme meldeten. Von diesen konnten jedoch nur 417 Aufnahme finden. 207 erhielten durch Vermittelung des Vorstandes von Wilhelmsdorf anderweitige Beschäftigung, 20 gingen, diese selbst zu suchen, 10 entliefen. Der Landstreicherei in den angrenzenden Kreisen ist schon jetzt erheblich gesteuert. Der arbeitsscheue Stromer wird sich gewiß den nachfolgend fixirten strengen Bedingungen nicht fügen wollen, er meidet eine Provinz, die ein „Wilhelmsdorf“ unterhält und nur die nothwendigsten Naturalunterstützungen gewährt, auf’s sorgfältigste.

Es sei uns gestattet, etwas Näheres über die innere Einrichtung von Wilhelmsdorf mitzutheilen.

Nachdem der Neueintretende ein Bad genommen, erhält er leihweise anständige Kleidungsstücke, welche mit dem Stempel „Wilhelmsdorf“ versehen sind, über deren Empfang er mit besonderer Erklärung quittirt, daß eine Mitnahme derselben von der Colonie, ehe sie verdient sind, als Diebstahl anzusehen und zu bestrafen ist. Contractgemäß verpflichtet er sich, die ersten vierzehn Tage ausschließlich für die ihm von der Colonie zu liefernde Kost und Logis zu arbeiten. Nach Ablauf dieser Frist empfängt er, falls Fleiß und Betragen zufriedenstellend waren, in den folgenden vier Wochen eine freiwillige Vergütung von 25 Pfennig pro Tag, bei längerem Aufenthalte wird die Gratification exclusive Kost und Logis auf 40 Pfennig erhöht. Der Hausvater ist streng angewiesen, kein baares Geld zu verabfolgen, dagegen wird jede zugedachte Gratification gutgeschrieben, um zunächst auf die Schuld für etwa empfangene Kleidungsstücke abgerechnet zu werden.

Hacke und Spaten in der Hand des Arbeiters wirken wie ein Talisman auf Leib und Seele. Auf diesem Wege kann es jedem fleißigen Manne gelingen, wohlgekleidet und gestärkt nach einem Aufenthalte von drei bis vier Monaten einen ehrenhaften Platz in der menschlichen Gesellschaft zu erlangen.

Die Verwaltung und Verantwortung für die Colonie liegt in der Hand eines freien Vereins, welcher die Ausgaben aus den freiwillig eingehenden Gaben bestreitet. Die Einrichtung von Naturalverpflegungsstationen liegt den Behörden ob, deren Kosten durch Kreismittel gedeckt werden. Sie dienen dazu, dem arbeitsuchenden, mittellosen Manne Gelegenheit zu geben, ohne betteln zu müssen, sein Ziel zu erreichen, oder den freien Weg zu bahnen. Jede Naturalverpflegungsstation ist zugleich Arbeiternachweisebureau.

Wir schließen mit den Worten des hohen Protectors der Anstalt: „Ich gebe gern der Hoffnung Ausdruck, daß dies Unternehmen, welches bestimmt ist, einem weit verbreiteten Unwesen Schranken zu setzen, nicht nur fortfahren werde, sich in seinen Erfolgen wie bisher zu bewähren, sondern daß es auch in andern Provinzen, welche unter gleichen Mißständen zu leiden haben, baldige Nachahmung finden möge.“ Rumbke.     




Kleiner Briefkasten.

K. M. in Altenburg. Ueber den schweizerischen Staatsmann Augustin Keller, welcher am 8. Januar dieses Jahres zu Baumgarten-Lenzburg in einem Alter von siebenundsiebenzig Jahren gestorben ist, finden Sie im Jahrgang 1872, Nr. 19, unter der ehrenden und den Mann kennzeichnenden Ueberschrift „Ein Zerstörer geistiger Zwingburgen“ ein mit dem trefflichen Portrait des nun Verewigten geschmücktes, warm und kräftig gezeichnetes Lebensbild. Dem edlen, sturmerprobten Kämpfer ist zu Theil geworden, was er mit den Worten des alten, frommen Eidgenossen Conrad Geßner auch für sich sprach: „Myn Hertz staht zum Vaterland; dem begör ich zu läben und zu dienen, aber auch frey darin zu sterben, so es Gott gefällt, als ich hoffe.“

B. Z. in Stuttgart. Nach einer statistischen Zusammenstellung beträgt die Gesammtzahl der gegenwärtig auf der ganzen Erde erscheinenden periodischen Schriften 34,274 mit einer Auflage von 116 Millionen Exemplaren. Von diesen Zeitungen erscheinen 16,500 in englischer, 7,600 in deutscher, 3,650 in französischer und 1,600 in spanischer Sprache; die Zeitungen der übrigen Länder sind für den Weltverkehr fast ganz ohne Bedeutung. Ausführliches darüber finden Sie in der vortrefflichen neu erschienenen Abhandlung: „Die Buchdruckerkunst und der Culturfortschritt der Menschheit.“ Von Dr. Karl von Scherzer (Berlin, Leonhard Simion).

Dorothea B. in Woldenberg. Wenden Sie sich an die Expedition der „Allgemeinen Anzeigen zur ‚Gartenlaube‘“ in Leipzig!

T. F. in J. Hier kann geholfen werden. Ziehen Sie einen tüchtigen Arzt zu Rath!

J. S. aus Boos. Jahrgang 1869!

W. B–le in D–m und Fr. Sch. in B. Schwindel!

B. B. in L. Ungeeignet!



Bock's Buch in Heften; 13. Auflage.
Dieses schon bei seinem ersten Erscheinen mit allgemeinem Willkommen begrüßte, jetzt bereits in 175.000 Exemplaren verbreitete Werk:
Das
Buch vom gesunden und kranken Menschen
von Professor Dr. Carl Ernst Bock
mit einer anatomischen Tafel in Bunt-(Stein-)Druck, über 150 feinen Abbildungen.
herausgegeben von Max Julius Zimmermann, Doctor der Medicin und prakt. Arzt in Leipzig

hat sich in 12 Auflagen bereits als Hausschatz der Familie bewährt und wird, als unerreicht in seinen Erfolgen, auch in der dreizehnten, verbesserten und vielfach vermehrten Auflage als Helfer in der Noth wieder willkommen geheißen werden. Dasselbe erscheint in etwa sechszehn, je etwa 5–6 Bogen starken Heften à 75 Pfennig, ein Preis, der es auch den weniger Bemittelten möglich macht, sich das Werk nach und nach anzuschaffen.

Die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig.

Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_104.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)