Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Schon reiften die Trauben auf den Weinbergen, und köstliche Herbstnachmittage lockten die Stuttgarter hinaus in die früchteprangende Gartenlandschaft der Umgegend. Mit Schwab, seiner Frau und Tochter war Lenau an einem solchen Nachmittage spazieren gegangen. Da begegnete ihnen ein Mädchen von neunzehn Jahren, Lottchen Gmelin, eine Nichte des Professors, und schloß sich ihnen an. Ein „wohlgebildetes Mädchen“, dachte Lenau, der sich mit ihr während des Weges etwas unterhalten hatte, ging aber, seine Pfeife rauchend, in der Gesellschaft weiter, ohne sich mehr um sie zu bekümmern.
Sie folgte einer Einladung zu Schwab’s und ließ sich hier nicht lange nöthigen, auf dem Clavier zu spielen. Ein Menuet von Kreutzer wählte sie zuerst. Ihre Finger zitterten in jungfräulicher Bangigkeit über die Tasten. Lenau sah ihr zu und lauschte aufmerksam. Musik wirkte mächtig auf ihn; seelenvolles Spiel rief stets die Geister aus den Tiefen seiner Seele herauf. Hier, als Lottchen das schöne Tanzstück erklingen ließ, erwachten diese Geister in seiner Brust; denn sie spielte es bei aller Beklommenheit mit einem ihn bezaubernden Ausdruck.
Später sah er sie in dem kleinen Kreise der Familie noch öfter wieder. Sie hörte ihn seine neuen, für die Buchausgabe bestimmten schwermüthigen Gedichte vortragen, er wieder ihr Clavierspiel und ihren Gesang. Die Musen vermählten ihre Herzen. Die von ihr einmal schön gesungene Beethoven’sche „Adelaide“ eroberte ihn vollends. Seine Geister kamen herauf, die Dämonen, und ließen die Elmsfeuer der Leidenschaft in seiner Seele emporlodern. Lottchen war sein in schweigender Liebe; all sein Sinnen und Empfinden umschwebte sie jetzt.
In einem Briefe an seinen Schwager Schurz schilderte er Lottchen als ein Mädchen von vollem, üppigem Körper, den ein reicher Geist beherrschte.
„Daher“, schreibt er, „ihr leichter Gang, die Anmuth all ihrer Bewegungen. Ein edles, deutsches und frommes Gesicht mit tiefen blauen Augen und unbeschreiblichem Liebreize der Brauen; zumal ist die Stirn von kindlich-unschuldsvollem, gütigem und doch so geistvollem Ausdrucke.“
Als die dritte Tochter des Hofadvocaten und späteren Oberjustizraths in Ulm, Christian Heinrich Gmelin, war sie in Bern 1812 geboren worden. Nach dem Tode desselben im Jahre 1824 hatte sich ihre Mutter, eine Tochter des ausgezeichneten Kupferstechers Johann Gotthard Müller, mit ihren vier halberwachsenen Kindern nach Stuttgart zu ihrem Vater begeben. Lenau ließ sich nun bei Gmelins einführen mit seinem Herzen voller Liebe für Lottchen, und bald war es den ihr Nahestehenden nicht mehr verborgen, welch ein geheimes Band die Beiden verknüpfte – ein geheimes insofern, als es zu keinerlei Erklärung von Lenau’s Seite kam. Er schwelgte in der Wonne der neuen Leidenschaft, nachdem er früher in Wien eine erste an eine Unwürdige verschwendet hatte und der Riß, den diese Enttäuschung in seinem überaus empfindlichen Gemüthe bewirkt, noch ungeheilt geblieben war. Aus der Verstimmung über seine unglückliche Wiener Liebe waren so schmerzlich-zornige Töne hervorgequollen, wie sie in dem Gedichte „Die Waldcapelle“ rhythmische Melodik gefunden:
„Was einmal tief und wahrhaft Dich gekränkt,
Das bleibt auf ewig Dir in’s Mark gesenkt.“
Lottchen war dazu geschaffen, diese Wunde heilen zu lassen. Sie verstand ihn und was die tiefsten Abgründe seiner Seele aufgerührt hatte. „Die Waldcapelle“ hatte es ihr gesagt, wie allen seinen Freunden in Stuttgart. War dieses Gedicht doch von der jungen Frau Reinbeck aus Theilnahme für Lenau zum Gegenstande eines stimmungsvollen Gemäldes ihrer Hand gemacht worden.
Aber Lenau’s unglückselige Zwiespaltnatur mischte schon mit der ersten Wonne wieder das Gift, das aus seiner Zweifelsucht erzeugt wurde. Er floh vor Lottchen, die ihn doch mit unwiderstehlichem Zauber anzog; er haderte mit sich über das, was ihn hätte für immer beglücken können. Das vielleicht unberechtigte Bewußtsein, die Mittel zur Bestreitung eines Haushaltes nicht erschwingen zu können, riß ihn von der Geliebten, der er mit seinen Augen und in glühenden Liedern zu sehr verrathen, wie theuer sie ihm sei. Die Funken im Herzen des armen Mädchens waren zu Flammen aufgelodert, welche es verzehrten. Still litt Lottchen, ein rührendes Bild jungfräulicher Resignation; er aber tobte und klagte über sein verhängnißvolles Geschick, eine empfindsame Seele zu haben.
So reiste er Anfangs November aus Stuttgart ab, um in Heidelberg seinen Doctor zu machen. Seine Briefe aus dieser Winterzeit charakterisiren seine Kämpfe und den Rückzug, den er aus ihnen zu nehmen sich entschloß.
„Ich werde,“ schrieb er an Schurz unterm 8. November 1831 aus Heidelberg, „diesem Mädchen entsagen; denn ich fühle so wenig Glück in mir, daß ich Anderen keins abgeben kann. Meine Lage ist auch zu beschränkt und ungewiß.“
Und unterm 12. Januar 1832 an denselben: „Mein liebes Lottchen! O, daß ich ihr nicht entsagen müßte! Ich habe sie wieder gesehen. So giebt es kein Mädchen mehr. Sie ist anbetungswürdig. Ich werde sie ewig lieben, wenn ich anders ewig lebe.“
Am 21. Januar aber an Mayer: „Niederkämpfen wird’ ich die Liebe nicht; das war nur eine eingebildete Pflicht der Melancholie … Nein, ich will diese Liebe bewahren; sie soll mir mein Leben verschönen für alle Zeit.“
In Liedern besang er sie und ließ er seine Klagen um das Grab seiner Hoffnung zittern. Damit wollte sein Egoismus die Arme entschädigen.
„Und sehn wir uns nicht wieder
In diesem Erdenleben,
Dich werden meine Lieder
Verherrlichend umschweben.“ (Waldgang.)
Ueberall noch fühlte er „ihrer Seele stille Allgewalt“; überall sah er ihr Bild. Durch Wald und Flur strich er in Gedanken an sie; an einsamen schilfsbestandenen Weihern tönte sein Sehnen und Entsagen schwermüthig sich aus:
„In mein stilles, tiefes Leiden
Strahlst du, Ferne! hell und mild,
Wie durch Binsen hier und Weiden
Strahlt des Abendsternes Bild.
Weinend muß mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken
Wie ein stilles Nachtgebet.“
Es waren seine wehmüthigen „Schilflieder“, die er vor dem Druck wohl an sie gelangen und in den befreundeten schwäbischen Kreisen lesen ließ; sie verschafften in diesen letzteren der so schmerzvoll Gefeierten die Benennung „Schilf-Lottchen“.
Von Heidelberg aus machte Lenau häufige Besuche in Stuttgart, wo man ihn in innigster Antheilnahme an seinen Grillen und Zweifeln, seinen krankhaften Ueberreizungen und den daraus entspringenden abenteuerlichen Plänen vernünftig zurechtzusetzen versuchte. Vor Allem Lottchen’s wegen kam er in die württembergische Residenz; es drängte ihn, sie wiederzusehen, sich und ihr den Stachel auf’s Neue in die Herzenswunde zu drücken.
Als es Frühling wurde, that er den Freunden als das Ergebniß längst gepflogener Erwägungen seinen Entschluß kund, nach Amerika zu gehen. Dort wollte er sich Land kaufen, ein Vermögen erwerben, wie er es für das Leben eines Cavaliers für nöthig hielt, und damit in die Heimath zurückkehren. Vegebens bot man Vorstellungen und Bedenken dagegen auf. Weder Schwab, noch Hartmann, weder Reinbeck und dessen Frau, noch Mayer und Kerner, konnten ihn davon abbringen. Ihm war, als rette er sich damit aus allen Zwiespälten – und vielleicht, wenn er nach einigen Jahren als wohlhabender Mann zurückkehre, vielleicht ließe sich dann noch senl Herzensbund durch die Heirath besiegeln. Er mochte auch mit Schilf-Lottchen darüber gesprochen haben.
„Ich brauche Amerika zu meiner Ausbildung,“ sagte er; „dort will ich meine Phantasie in die Schule – die Urwälder – schicken, mein Herz aber durch und durch in Schmerz maceriren, in Sehnsucht nach der Geliebten.“
Am meisten ließ sich Justinus Kerner mit seinem prächtigen Humor angelegen sein, ihm diesen bösen Geist auszutreiben, ohne sich vor den ungarischen Heftigkeiten und der über die Stirn sich schlängelten starken Zornesader des Herrn von Niembsch zu fürchten. Dieser hauste wochenlang bei ihm in Weinsberg, in dem kleinen Gartenhaus, das Kerner eigens zum Fremdenquartier hergerichtet hatte und wo sein Gast rauchen, geigen und mit sich hadern konnte nach allem Bedürfniß. (Vergl. „Garlenlaube“ 1866, S. 5.)
Aber Lenau blieb in seinem Vorsatze unerschütterlich Noch einmal eilte er nach Stuttgart, aber er durfte die Geliebte
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_014.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2023)