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Seite:Die Gartenlaube (1880) 480.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


großen jesuitischen Plans, das russische Zarenthum und folglich Russland vom griechisch-anatolischen Glaubensbekenntniß zum römisch-katholischen herüberzubringen. Freilich muß ich beifügen: schon das erste Auftreten des falschen Dmitry in Lithauen war von so verdächtigen Umständen begleitet gewesen, daß man in der vorhin geäußerten Ansicht doch wieder wankend und zu dem Glauben getrieben wird, der Betrüger habe von Anfang an nicht aus eigenem, sondern aus fremdem Antriebe geredet und gehandelt. Eine vollständige Klarstellung des geschichtlichen Problems vom falschen Demetrius zu Anfang des 17. Jahrhunderts ist wohl erst dann eine Möglichkeit, wann einmal das Geheimarchiv der Gesellschaft Jesu der historischen Forschung zugänglich sein wird. Dort ist die endgültige Lösung der Frage zu suchen.

Mit dem Trauerspiel vom 17. Mai 1606 war übrigens nur die Laufbahn des ersten falschen Dmitry zu Ende, nicht das Stück selber. Man weiß ja, daß, so in der unendlichen Tragikomödie „Weltgeschichte“ der Unsinn oder das Unheil einmal recht im Zuge sind, sie nicht bald wieder aufhören. Ein baldiges Aufhören ginge ja der bekannten „sittlichen Weltordnung“ zu sehr wider den Strich. Nachdem die russischen Magnaten und Prälaten den Fürsten Wassily Schuisky zum Zaren gewählt hatten, trat ein zweiter falscher Dmitry auf und zwar zu Putiwl an der lithauischen Gränze. Dieser zweite Schwindler, welcher sich für den am 17. Mai zu Moskau ermordeten und zerfetzten, angeblich aber wunderbarer Weise geretteten Dmitry ausgab, stand in jeder Beziehung weit unter seinem Vorbild und Vorgänger. Aber trotzdem fand „der Dieb von Tuschino“, unter welchem Namen er in der Geschichte Russlands verrufen ist, Glauben, Anhang und Unterstützung. König Sigismund und die polnischen Magnaten benützten ihn als Werkzeug der polnischen Politik. Aber die stärkste Leistung von Schamlosigkeit in dieser schamlosen Posse von Kabale war doch, daß Marina Mniszek in dem Dieb von Tuschino ihren „wiedererstandenen“ Gemahl erkannte und anerkannte, mit ihm lebte und einen Sohn von ihm hatte. Nun folgte ein grauenhaftes Wirrsal, ein Bürgerkrieg in Russland, ein polnischer Einbruch, in dessen Verlauf König Sigismund nahe daran war, erst seinen Sohn, dann sich selber zum russischen Zaren zu machen. Endlich wurde auch der zweite falsche Demetrius getödtet, sein Sohn erwürgt, und verscholl Marina in einem russischen Klosterkerker. Russland aber erhob sich aus allen diesen Trubeln und Trübsalen erst 1613 wieder zu einer festen Staatsordnung und zwar mittels der Gründung der Dynastie Romanow, welche in der Person von Michail Fedrowitsch Romanow am 21. Februar des genannten Jahres auf den Zarenthron gelangte.




Blätter und Blüthen.


Unsere Abbildung von Frankfurt am Main. In der auf Seite 476 und 477 gegebenen Illustration entrollt unser Zeichner ein sehr anschauliches Bild von dem heutigen Frankfurt am Main. Mit Recht hat derselbe das linke untere Mainufer (Schaumainquai) nahe der (hier nicht sichtbaren) Eisenbahnbrücke als Aussichtspunkt gewählt, denn von hier aus präsentirt sich die Stadt am vortheilhaftesten. Was sich zunächst im Vordergrunde des Bildes ausbreitet, die Dürerstraße mit ihren stattlichen Villen und Gärten, gehört zu der Vorstadt Sachsenhausen, welche von Frankfurt durch den Main geschieden ist. Der große Bau, welcher links vom Beschauer die Ecke des Vordergrundes füllt, enthält das erst seit Kurzem dahin verlegte Städel'sche Kunstinstitut, eine weitberühmte Gemälde- und Kupferstichsammlung. Lassen wir von hier aus den Blick auf das andere Stromufer wandern und den Ziffern folgen, womit der Zeichner über dem gegen Berge und Himmel sich abgrenzenden Stadtprofil die bemerkenswertesten Gebäude hervorgehoben hat, so finden wir weiter links zunächst die Irrenanstalt, einen Prachtbau im gothischen Stil, genannt „zum Affenstein“; ferner das großartige der Vollendung nahe neue Opernhaus am Bockenheimer Thor, mit Raum für mehr als 2000 Zuschauer, dessen Bau an 6 Millionen Mark gekostet. Ein Stück weiter rechts ragt die neue Börse (hinter dem alten Theater), welche den Erbauern auch nicht eben billig zu stehen kam – der Bau verschlang 3 Millionen. Der Eschenheimer Thurm ist ein Ueberbleibsel der alten Stadtbefestigung, um 1350 erbaut; die Katharinenkirche, inmitten der Stadt an der Zeil gelegen, entstand zwischen 1678 und 1680; die Friedberger Warte, ein Wartthurm aus dem Mittelalter, begrenzt das Weichbild der Stadt im Norden. Ein den Lesern der „Gartenlaube“ vertrauter Name ist derjenige der Paulskirche, welche der Sitz des ehemaligen deutschen Parlaments in den Jahren 1848 und 1849 gewesen ist; nicht minder aber derjenige des weltberühmten Römers, der einst mit seinem Kaisersaal die Stätte der Krönungsmahle war und jetzt der Stadt als Rathhaus dient. Die nahebei gelegene katholische Leonhardskirche, die lutherische Nicolaikirche und die Hauptsynagoge am Ausgange der Judengasse zählen zu den hervorragenderen kirchlichen Gebäuden der Stadt; der benachbarte Kirchthurm gehört zur Vorstadt Bornheim (ehedem selbstständige Ortschaft, jetzt zur Stadt gehörig). Der Saalhof, das heißt die einstige Sala Ludwig's des Frommen, ist die Geburtsstädte Karl's des Kahlen, zugleich der Sterbeort Ludwig's des Deutschen; später Kaufhalle, birgt er jetzt das Conservatorium für Musik. Der Dom ist, als Wahl- und Krönungskirche der deutschen Kaiser, wohl das historisch merkwürdigste Gebäude Frankfurts; sein Thurm heißt im Volksmunde „Pfarrthurm“. Das städtische Archivgebäude am Weckmarkt enthält ein historisches Museum, während das Fürsteneck am Farthor ein altes herrschaftliches Absteigequartier ist. Ein Stück weiter hin folgt der neue zoologische Garten, im Ostend, auf der ehemaligen Pfingstweide. Der „Palmengarten“, eines der berühmtesten Institute Frankfurts, ist, weil im äußersten Westende gelegen, auf unserem Bilde nicht sichtbar. Die alte Mainbrücke, aus dem Jahre 1342 stammend, ist dieselbe, welche Hutten in seinen Distichen erwähnt. Die städtische Bibliothek bietet nichts besonders Bemerkenswerthes, wogegen die Gerbermühle am jenseitigen Ufer, oberhalb Sachsenhausens, durch Goethe's Verkehr mit Marianne v. Willemer („Suleika“) bekannt ist. Das Deutschherren-Haus an der alten Brücke war im Mittelalter ein unantastbares Asyl für verfolgte Ritter des deutschen Ordens. Die Wasch- und Bade-Anstalt mit dem hohen Schornstein sowie die Dürerstraße gehören zu Sachsenhausen, und die letztere führt uns wieder zu unserem Ausgangspunkte, dem Städel'schen Institut, zurück.




Dom Pedro der Zweite und die brasilianischen Protestanten. In Bezug auf das Verhalten des brasilianischen Monarchen zu dem gescheiterten Versuch, den deutsch-protestantischen Brasilianern das passive Wahlrecht neben dem activen zu verschaffen erhielten wir aus dem kaiserlich brasilianischen Generalconsulat zu Hamburg die nachfolgende Zuschrift:

„Ein unter der Ueberschrift 'Von unseren Landsleuten in Rio Grande do Sul' in Nr. 4 des laufenden Jahrgangs der 'Gartenlaube' erschienener Artikel hebt die Zurücksetzung und Benachtheiligung der deutschen Protestanten Brasiliens durch das im Reiche geltende Wahlgesetz hervor. Zugleich aber bemerkt der Verfasser über den im Ministerrath und in den Kammern gescheiterten Antrag auf Beseitigung jenes Wahlsystems: 'Ein Wort des Kaisers hätte genügt, die Frage zu Gunsten der Protestanten zu erledigen.' Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Durch zuverlässige Erkundigungen fühlt sich vielmehr der Unterzeichnete zu der Entgegnung ermächtigt: Nein, ein Wort des Kaisers hätte nicht genügt, die Frage der Wählbarkeit der Nichtkatholiken zur Entscheidung zu bringen, und eben nur weil der Kaiser hierüber keiner Täuschung sich hingeben konnte, wurde das betreffende Wort von ihm nicht gesprochen. Nicht minder als Herr Silveira Martins erkannte Dom Pedro der Zweite die Gerechtigkeit der Forderung des gleichen Wahlrechts der Protestanten an. Erklärte er gleichwohl, in Uebereinstimmung mit der Majorität des Ministeriums Sinimbú, der aus den Herren Silveira Martins und Baron von Villa-Bella bestehenden Minorität gegenüber sich gegen Aufnahme einer bezüglichen Bestimmung in die Wahlreform-Vorlage, so war, was ihn dazu veranlaßte, die Rücksicht auf die Schwierigkeiten, denen eine derartige Bestimmung bei der Mehrheit des Senats zu begegnen und an welchen dann das ganze Gesetz zu scheitern drohte.

Vor Allem gelte es, das war die klar ausgesprochene Tendenz des kaiserlichen Votums, die Wahlreform in ihren Hauptpunkten unter Dach zu bringen, und sei deshalb vorerst alles von ihr abzuscheiden, was ihren Erfolg, sei es in dem einen, sei es in dem andern Hause des Parlaments, in Frage stellen könne. Seien deren Hauptpunkte erst einmal in's Leben getreten, so werde in den auf Grund derselben gewählten Kammern nur um so leichter und sicherer auch den Nichtkatholiken ihr augenblicklich noch nicht durchzusetzendes Recht verschafft werden können. – Gewiß ist, daß irgend welche Mißgunst oder auch nur Gleichgültigkeit gegen das Recht der nichtkatholischen Bürger des Reiches an der fraglichen Entschließung des Kaisers keinen Theil hatte, und somit auch zu dem 'bitteren Grolle gegen die Krone', von welchem der Artikel spricht, ein Grund nicht gegeben war.

Daß im Gegentheil es des Kaisers Ernst ist und war, auch den Nichtkatholiken Brasiliens politische Gleichberechtigung zu gewähren, dafür spricht die Thatsache, daß der Ex-Ministerpräsident Sinimbú in dem veröffentlichten Schreiben an seinen Amtsnachfolger Saraira (wegen Bildung eines neuen Ministeriums) Letzteren im Namen des Kaisers ausdrücklich auffordert, durch das Wahlreform-Gesetz die Wählbarkeit der Nichtkatholiken festzustellen, welcher Umstand in der That nunmehr bestätigt wird durch den vom jetzigen Ministerium am 25. Mai dieses Jahres der Deputirten-Kammer zur Berathung vorgelegten Wahlreform-Gesetzentwurf, dessen Artikel lautet:

'Wähler ist jeder brasilianische Staatsbürger, eingeboren oder naturalisirt, katholisch oder nichtkatholisch, frei geboren oder frei gelassen; erstens wenn er über einundzwanzig Jahre alt etc.

Es bestimmt nämlich Artikel 8 des neuen Regierungsentwurfes, daß 'wählbar zum Amte eines Senators, eines General-Deputirten, eines Mitgliedes der gesetzgebenden Provinzial-Versammlung, eines Municipalrathes, eines Friedensrichters, oder zu einem jeden anderen gesetzlich geschaffenen Amte jeder in Artikel 2 einbegriffene Staatsbürger sei, unter einigen Beschränkungen in Bezug auf Alter, Stellung etc., aber durchaus nicht in Bezug auf das Glaubensbekenntniß.'

     Hamburg, im Juni 1880.          Baron von Paraguassú.“

Zu erinnern ist hier, daß der betreffende, das Verhalten Dom Pedro's rügende Artikel bereits in der letzten Januar-Nummer der „Gartenlaube“ erschienen ist, also vier Monate vor Erlaß des genannten neuen Gesetzvorschlages. Die Folge muß es ja nun zeigen, ob die in dem obigen Berichtigungsschreiben von officiöser Seite her so ausdrücklich erklärte und versicherte Theilnahme des Kaisers für die Forderungen der Toleranz und des gleichen Rechts sich fortan auch thatsächlich und in entschlossenem Widerstande gegen die Ansprüche des Fanatismus erweisen wird. Wir werden diese wichtige Angelegenheit jedenfalls im Auge behalten.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_480.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)