Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1880) 352.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Er zog die Hand seiner Braut zärtlich an die Lippen, winkte seinem Vetter einen Abschiedsgruß zu und eilte davon.

Die beiden Zurückgebliebenen schienen nicht sehr angenehm überrascht von der Bestimmung des Grafen und fanden jedenfalls nicht so schnell, wie er es voraussetzte, den Ton verwandtschaftlicher Vertraulichkeit. Auf der Stirn des jungen Mädchens ruhte eine Wolke, und Oswald's Haltung verrieth vorläufig noch wenig von der anempfohlenen Ritterlichkeit. Endlich nahm er das Wort:

„Mein Vetter hat mir ein so vollständiges Geheimniß aus seinen Beziehungen zu Ihnen gemacht, daß seine jetzige Eröffnung mich im höchsten Grade überrascht.“

„Das haben Sie hinreichend gezeigt, Herr von Ettersberg,“ erwiderte Hedwig. Es war seltsam, wie stolz und entschieden sie sprechen konnte, sobald sie wirklich einmal ernst war.

Oswald trat langsam etwas näher. „Sie sind beleidigt, mein Fräulein, und mit Recht, aber die größere Schuld liegt doch wohl auf Edmund's Seite. Ich konnte unmöglich glauben, daß er seine Braut, seine künftige Gemahlin solchen Mißdeutungen aussetzen würde, wie die, deren ich mich vorhin schuldig machte.“

Dunkle Gluth floß wieder heiß über Hedwig's Wangen.

„Gegen Edmund sprechen Sie den Vorwurf aus, und mir soll er gelten; ich habe ja eingewilligt. Daß das eine Unvorsichtigkeit war, ist mir erst klar geworden bei Ihrem Blick und Ton.“

„Ich habe schon einmal um Verzeihung gebeten,“ sagte Oswald ernst, „und ich wiederhole diese Bitte jetzt. Aber fragen Sie sich selbst, mein Fräulein, wie ein Fremder, dem man die Aufklärung nicht so schnell und unumwunden geben konnte, diese Zusammenkunft beurtheilt haben würde! Ich bleibe dabei: mein Vetter durfte Sie nicht dazu veranlassen.“

(Fortsetzung folgt.)




Auf der Suche nach Nordenskjöld.
Tragisches Ende einer Dampferfahrt.
Von einem Augenzeugen.

Als im Herbst 1878 die zur Aufsuchung der Nordostpassage ausgegangene schwedische Expedition unter Professor Nordenskjöld wider alles Erwarten nicht in Japan eintraf, sondern verschollen blieb, rüstete der in der „Gartenlaube“ kürzlich schon genannte Russe Alexander Sibiriakoff (vergl. Nr. 6 d. J.) einen neuen Dampfer aus, um die Expedition, die er selbst mit so reichen Mitteln unterstützt hatte, aufsuchen zu lassen und ihr nöthigenfalls Hülfe zu bringen. Der zu Ehren des Führers der vermißten Expedition „A. E. Nordenskjöld“ getaufte Dampfer verließ den Hafen Malmö, wo er gebaut und ausgerüstet worden war, am 13. Mai 1879 und erreichte auf dem gewöhnlichen Wege durch den Suezcanal Jokohama am 27. Juli. Es hatte für uns die Möglichkeit vorgelegen, die „Vega“, falls sie frühzeitig im Sommer aus den sie gefangen haltenden Eisbanden glücklich entkommen sein sollte, hier bereits im Hafen liegend anzutreffen; allein es war dies nicht der Fall, und nach wenigen Tagen Aufenthalt lichtete der „Nordenskjöld“ zur Weiterfahrt nach der Beringstraße die Anker.

Die weite, von kleinen Fischerbooten belebte Bai von Jeddo lag hinter uns; wir hatten soeben den an Naturschönheit reichen, von hohen, üppig grünen Bergen gebildeten Eingang durchdampft – da bereitete uns Mutter Natur noch ein grandioses Schauspiel, wie man es so prachtvoll selten sieht: das Land war hinter uns schon fast verschwunden, als plötzlich der Wolkenschleier, der den westlichen Horizont bedeckte, sich verzog und der Fusi-no-yama, jenes weltberühmte Heiligthum der Japaner, mit seiner schon etwas mit Schnee bedeckten, regelmäßigen hohen Pyramide vor die untergehende Sonne trat. Wir hatten vergeblich gehofft, von Jokohama aus dieses Vorbild eines Vulcanes zu erblicken; der herrschende Dunst hatte es verhindert. Um so erfreuter genossen wir den hehren Anblick dieses zwölftausend Fuß hohen Bergriesen, wie er, magisch beleuchtet, scheinbar gerade aus dem Meere aufstieg, kleiner und kleiner werdend, bis endlich die hereinbrechende Dunkelheit ihn verhüllte.

Rasch ging es längs der japanischen Ostküste dem Norden zu; eifrigst wurde tagtäglich nach Schiffen ausgespäht, lag doch die Möglichkeit nahe, die „Vega“ zu treffen. Nichts indessen ließ sich erblicken; einsam lag der Ocean vor uns, und als nun gar am 3. August, drei Tage nachdem wir Jokohama verlassen hatten, dicke, naßkalte Nebel das Schiff umschlossen, war uns jede Aussicht benommen, Professor Nordenskjöld, falls er wirklich schon um diese Zeit in den japanischen Gewässern eintreffen sollte, zu begegnen. Mit ungeminderter Geschwindigkeit wurde trotz des Nebels die Fahrt fortgesetzt, um noch zur günstigen Zeit das Eismeer zu erreichen. Wir glaubten freies Fahrwasser vor uns zu haben, allein die heimtückischen Feinde der Seefahrer, die Meeresströmungen, hielten unser wackeres Schiff im Bann und führten es unversehens dem Verderben entgegen.

Am 5. August um fünfeinhalb Uhr Morgens erfolgte plötzlich ein fürchterlicher Stoß, der das ganze Schiff krachen und erzittern ließ und die Schläfer wider ihren Willen aus ihren Kojen heraus und auf die Füße brachte. Schnell springt Jeder auf Deck, während die Stöße sich noch immer wiederholen, bis endlich die Maschine still steht. Der dichte Nebel verhindert jede Aussicht; nur ganz undeutlich kann man durch ihn hindurch den weißen Schaum der Brandung sehen, deren fernes Tosen gleichzeitig als eine wenig verheißungsvolle Musik zu unseren Ohren dringt. Das Loth belehrt uns, daß wir auf einer Sandbank sitzen, noch ist aber kein Wasser im Schiff; es ergiebt sich also, daß die Sache für den Augenblick nicht so gefährlich ist. Eines der beiden kleinen Boote, die wir an Bord haben, wird sofort ausgesetzt, um einen Anker auszubringen, mit dessen Hülfe man das Schiff zurückzuwinden gedenkt. Allein der Anker hält in dem lockeren Sand nicht, und so muss denn dazu geschritten werden, das Schiff durch Ueberbordwerfen der Kohlen und Ladung zu erleichtern. Es wird noch ein Anker ausgebracht, und nun arbeitet Jeder in wilder Hast.

Die Dampfpfeife sendet von Zeit zu Zeit ihre schrillen, langgezogenen Töne durch den Nebel in die Ferne, um Hülfe herbeizuholen, aber kein Boot, kein Schiff läßt sich erblicken, außer dem fernen Rauschen der Brandung herrscht ringsum tiefe Stille und Einsamkeit. Die mächtigen Zuckerfässer, die unten im Raume liegen, werden mit Aexten aufgeschlagen, und binnen wenigen Stunden sind viele Hunderte von Zuckerhüten in's Meer geworfen, die dazu bestimmt gewesen waren, die Herzen der Hausfrauen zu Jakutsk im fernen Centralsibirien zu erfreuen oder uns manch schönen Pelz oder ethnographisch interessante Gegenstände durch Tauschhandel bei den Tschuktschen zu erwerben. Den Zuckerfässern folgen Eisenstangen und schwere Kisten mit Seife, welche letztere die Bewohner des fernen Tschuktschenlandes hatten in Versuchung führen sollen, sich wenigstens einmal in ihrem Leben zu waschen. Dieser große Schritt zu weiterer Culturentwickelung war nun vom Schicksal vereitelt.

Unterdessen stellt sich aber heraus, daß auch der zweite Anker nicht halten will, und trotz alles Zurückwindens und Ueberbordwerfens ist der Dampfer, welcher fortwährend auf dem Sande hin und her gestoßen wird, nicht flott zu machen; vielmehr rückt er, von den Wellen gedrängt, unaufhaltsam dem Lande näher, welches allmählich bei dem sich etwas lichtenden Nebel zu erkennen ist. Die hohen, üppig mit einem Kräuterteppich bedeckten Hügel fallen ziemlich steil zum Meere ab; an ihrem Fuße erstrecken sich mit Treibholz bedeckte schmale Sandflächen, an denen sich ohne Unterlaß die Wogen donnernd überwälzen. Kein lebendes Wesen ist an der öden Küste zu erblicken.

Endlich um drei Uhr Nachmittags sehen wir durch den Nebel Reiter den Strand entlang kommen. Sie haben uns bemerkt; sie halten an und scheinen sich zu berathen; es sind Japaner. Rasch ist ein Boot bemannt; der Capitain steigt ein; er will von jenen zu erfahren suchen, wo wir sind, und sie veranlassen, Hülfe herbeizuholen. Rasch fliegt das kleine Boot von vier kräftigen Armen getrieben mit der Spitze nach hinten, um den Wogenprall zu pariren, durch das Wasser, verfolgt von den sorgenvollen Blicken der an Bord Zurückgebliebenen. Jetzt kommt der kritische Moment, das Passiren der Brandung.

Das Boot verschwindet einen Augenblick; dann taucht es wieder auf; die Gefahr ist vorüber; die Unserigen springen in's

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_352.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)