Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Auch Steinweg trat an seinen Schwager mit einer gewissen Förmlichkeit heran und erklärte, daß er die Absicht gehabt hätte, in feierlicher Weise um Lora’s Hand anzuhalten, und was der Versicherungen seiner ernsten treuen Meinung noch mehr waren.
Witold, der wie versteinert dastand, ließ ihn sprechen. Er drückte ihm mit Macht die Hände; er schloß Lora wieder an seine Brust und küßte ihre Stirn, aber seine Zunge schien ihm zu versagen. Das abgebrochene Murmeln blieb unverständlich, und als die überglückliche Braut, die endlich doch aus dem Geplauder in’s Weinen gerathen war, zur Tante flüchtete und Steinweg diesmal seinem Leitstern getreulich in’s Frühstückszimmer folgte, da brach Witold auf den Stuhl nieder, neben dem er stand. Die Ellbogen auf den Tisch vor ihm gestützt; barg er das Antlitz in die Hände.
Die Wandlung war eine zu ungeheure gewesen, auch selbst für seine Kraft.
Da kam ein unhörbarer Frauenfuß über den Teppich geglitten. Leise neigte sich Lisa auf den geliebten Mann herab und berührte sein Haar mit ihren Lippen.
So sanft der Kuß, er hatte ihn doch empfunden, wie einen elektrischen Funken, der sein ganzes Wesen durchzuckte. Die Hände sanken ihm von den Augen, aus denen Thränen über die bleichen Wangen rannen. Er sah zu ihr auf, die schön wie die strahlende Morgenröthe vor ihm stand, und breitete die Arme weit aus.
„Lisa!“ rief er mit versagender Stimme. „Willst Du mein Weib sein?“
Ob sie wollte? Wie gern! Wie gern!
Mit Augen voll innern Lichtes sah sie auf ihn, aber sie brachte doch nichts anderes hervor, indem sie an seine Brust sank, als ein einziges, leises, herzinniges Wort:
„Witold!“
Einige der Haupthistorien Holtei’s sind mir in voller Frische gegenwärtig; ich sehe ihn deutlich auf dem glattpolirten schweren Mahagonistuhle vor mir sitzen und agiren. Er begleitete das Gespräch in der Regel mit äußerst drastischer Mimik und den lebhaftesten Bewegungen, die dem jeweiligen Charakter der von ihm citirten Personen genau angepaßt waren. Der ehemalige Schauspieler brach fortwährend in ihm durch. Ein Bild, wie es Holtei z. B. von Goethe entwarf, in dessen Hause er eine Zeitlang ungenirt ein- und ausgegangen war, darf Ansprüche auf Portraitähnlichkeit machen. Er stand vom Stuhle auf und zerlegte sich gleichsam in zwei Charaktere; der eine war der lustige und burschikose junge Holtei, der andere der gemessene und wie ein lebendiges Weltorakel auftretende alte Goethe. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, die Hände hinten über den Rocktaschen gekreuzt, stand er kerzengerade und steif da; die Augen weit geöffnet und fest auf einen Punkt gerichtet, fertigte er den vorlauten Burschen, der es gewagt hatte, die Schiller’sche Inscenirung des „Egmont“ anzugreifen, mit der ruhigen Bemerkung ab:
„Was wollt Ihr von meinem ‚Egmont‘, Ihr junges Volk, die Ihr kaum in die Welt gerochen habt? Unser Freund Schiller wußte, was er that, und also war es gut.“
Und dann machte er den Gang des Olympiers nach und wandelte wie eine geschobene Statue im Zimmer auf und ab, zuweilen inne haltend und mit den Blicken auf Tischen, Schränken und Kästen suchend, einen Zettel in der Hand, auf welchem wenige Zeilen standen. Als Goethe am zweiten Theile des „Faust“ dichtete, waren überall solche Zettel verstreut, die er dann zusammenschob oder beiseite legte, je nachdem es ihm gefiel. Oder der Alte ahmte nach, wie Goethe, was selten zu geschehen pflegte, in Zorn gerieth, die Nasenflügel bewegte, mit gehobener Stimme ausrief: „Nun, nun, das ist ja recht schön!“ und zur Thür hinausging. Dies war der höchste Ausdruck seiner Unzufriedenheit, und dann fand Niemand mehr den Muth, ihm vor Augen zu treten.
Ein anderes Bild: Heinrich Heine hatte seine ersten Gedichte herausgegeben, welche die Jugend elektrisirten und ihren Verfasser zum verzogenen Liebling der Berliner Salons machten. Er saß mit Ludwig Robert, dem Bruder der Rahel (Friederike Varnhagen von Ense), und Holtei zusammen und sonnte sich im Glanze seines jungen Ruhmes. Trotz seiner Erfolge war er schüchtern, argwöhnisch, eifersüchtig, empfindlich und gereizt und lauerte auf jedes Wort des Lobes oder Tadels. Robert zog beständig mit den harmlosesten Scherzen über ihn her, und Heine nahm jede Ironie für baare Münze und befand sich in der übelsten Stimmung.
„Sie haben sich’s nicht sauer werden lassen, lieber Heine, mit Ihren Paar Liedern. So was macht Ihnen Jeder nach,“ begann Robert.
„Nun bitte, versuchen Sie es doch einmal, wenn es gar so leicht ist!“ replicirte der gekränkte Dichter.
„Warum nicht? Hören Sie:
‚Sie gab mir bei ihrem Tode
Ein blasses, blaues Band –
Es liegt in meiner Kommode
Im Schube linker Hand?‘“
Heine sprang wie von einer Spinne gestochen auf und sagte mit zitternder Stimme alles Ernstes:
„Lieber Robert, lassen Sie das um Gotteswillen nicht drucken – sonst bin ich ein verlorener Mann.“
Wie Holtei zuvor Goethe copirt hatte, so that er es auch mit Heine und Robert, und man glaubte die drollige Scene selber zu erleben.
So wüßte ich noch eine Menge von Anekdoten aus Holtei’s Gesprächen zu berichten. Zum Theil finden sie sich schon in den „Vierzig Jahren“, dort allerdings meist in veränderter Fassung, und sie nehmen sich im Druck stumpf und todt aus.
Hand in Hand mit diesen mündlichen Ueberlieferungen ließ Holtei schriftliche Demonstrationen gehen. Wenn man in sein von ihm nur als Garderobe und Stapelplatz für einlaufende Bücher und Geschenke benütztes Vorzimmer trat, sah man auf einem Tische eine Reihe von großen blauen Mappen liegen, in alphabetischer Ordnung und sauber abgefegt. Das war seine kostbare Autographensammlung, sein liebster Besitz, von welchem er sich später nur nach langem Widerstreben und durch die äußerste Geldverlegenheit gedrängt zu trennen vermochte. Hätte ich damals die lumpigen dreizehnhundert Thaler gehabt, die er für diese unbezahlbaren Reliquien erhalten hat, so wären sie heute noch beisammen und nicht, wie leider geschehen, in alle vier Winde zerstreut und verzettelt. Das Wenige, was ich an Handschriften aus der reichen Fundgrube besitze, sind einige Doubletten, die mir Holtei zum Geschenk gemacht hat, als ich den Kauf zwischen ihm und dem wunderlichen Kunstliebhaber Robert Weigelt – er ist unlängst in Elend und Armuth gestorben – vermittelte. Weigelt war ein stadtbekanntes Breslauer Original, ein genialer, herzensguter, aber für das Leben völlig unbrauchbarer Mensch. Er hatte Theologie studirt, war dann Maler und Photograph geworden, trieb aber bald sein Geschäft nur aus Liebhaberei, nachdem er seine Kunden durch Launen und Schrullen der seltsamsten Art verscheucht hatte.
Sein väterliches Vermögen schien ihm unerschöpflich; er kaufte Alles, was ihm irgendwie interessant schien, war immer mit geheimnißvollen Plänen beschäftigt, die nicht zur Ausführung gelangten, und hatte niemals eine Minute Zeit, obgleich er eigentlich nichts that. Von ihm rührt das beste Portrait unseres Dichters her, das mir Holtei vor zehn Jahren mit folgender Unterschrift überreicht hat:
„Und wenn der Junge zum Alten kommt,
Vermeint Ihr, daß es dem Jungen frommt?
Der Alte möcht’ weise Lehren geben,
Durch Lehren aber lernt Keiner leben.
Jedweder selbst soll sich Weisheit kaufen,
Soll rechts und links mitunter anlaufen.
Erfahrung hat, theuer bezahlt, erst Gewicht;
Was Einem geschenkt wird, achtet er nicht.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_274.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2021)