Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Meisters, um den Elfen aufzuspielen; Chopin machte ihn salonfähig und ließ ihn von Patriotismus und Liebe erzählen; bei Schumann verwandelte er sich in einen geharnischten Tanz mit den Philistern.
Die weitere Spaltung innerhalb der Inhaltschule trat etwa um die Mitte unseres Jahrhunderts ein. Man begann der Lücken des romantischen Ideals gewahr zu werden. Man sah wohl Weltschmerz, aber keine Tragik; man sah Uebermuth, aber keine Kraft, Unruhe, aber keine Thätigkeit. Statt die umgebende Wirklichkeit künstlerisch zu verarbeiten, statt die reale Welt zur idealen zu verklären, hatte die Romantik eine weite Kluft befestigt zwischen Leben und Kunst. Man vermißte Größe, man sehnte sich nach starker Leidenschaft. In der Literatur traten dramatische Talente hervor: Karl Gutzkow, Gustav Freytag, Friedrich Hebbel und Otto Ludwig, die beiden Letzteren Altersgenossen von Richard Wagner, und man erinnerte sich des lange wenig beachteten Heinrich von Kleist. Gleichzeitig fing man an, sich mit Beethoven’s Riesengeiste vertraut zu machen und das Vorurtheil abzulegen, das dessen späteste Werke für Ausgeburten eines durch Krankheit verstörten und in grüblerischen Seltsamkeiten sich gefallenden Gemüthes erklärt hatte. An diesem Umschwunge der Meinung gebührt Wagner und Liszt ein Hauptverdienst; daß Wagner der größte Beethoven-Dirigent sei, ist ja so ziemlich der einzige Ruhm, den seine Gegner unangetastet gelassen.
Die eigenen Werke beider Meister befestigten dann vollends den Bestand der neudeutschen Schule. Sie zerstörten die trotz Gluck und Mozart noch immer verbreitete Ansicht, daß die Musik nur für den Ausdruck des Lyrischen, nicht auch des Dramatischen befähigt sei. Jenes Verständniß Beethoven’s aber wirkte nun auch auf Die zurück, welche, ferneren Erweiterungen des musikalischen Inhalts über das von der Romantik Geleistete hinaus nicht geneigt, dem von Schumann vorgeschlagenen Tone treu blieben, und selbst die Strengconservativen vermochten sich nicht auf die Dauer dem Einflusse des mächtigen Geistes zu entziehen, sodaß es heutzutage kaum einen Musiker giebt, von dem nicht irgendwie eine Brücke zu Beethoven zurück führte. Nicht nur Wagner und Brahms, auch Rubinstein, Kiel und viele minder Namhafte haben Beethoven’sche Elemente in sich aufgenommen. Man kann fast behaupten: je größer ein Componist, um so enger seine Verbindung mit Beethoven. Diese Einwirkung nach den verschiedensten Seiten hin wurde freilich erleichtert durch die unvergleichliche Vielseitigkeit und den langen Entwickelungsgang des Tonheros. Welch ein ungeheurer Weg von den Trios Op. 1 bis zu den letzten Quartetten, von der ersten bis zur neunten Symphonie, von den Gellert-Liedern bis zur Missa solemnis! Aus der reichen Fülle mochte sich dann jeder aneignen, was seiner Natur am meisten entsprach. Beethoven nimmt in der Musik des neunzehnten Jahrhunderts eine ähnliche beherrschende Stellung ein, wie in der Philosophie der Gegenwart Immanuel Kant: von ihnen ist Alles ausgegangen; zu ihnen strebt Alles zurück. Und wenn man die ganze Entwickelung Beethoven’s als bis zu Ende in durchweg aufsteigender Linie verlaufen anzusehen ein Recht hat, so darf man den Neudeutschen ihren Anspruch auf den Namen der eigentlichen und strengen Beethovenianer nicht verkümmern. Dabei verzichten sie aber keineswegs auf den mannigfachen Gewinn, welcher der Musik aus ihrer Berührung mit den romantischen Stimmungen und Idealen erwachsen war. Auf Wagner hat neben Beethoven und Gluck am stärksten Weber eingewirkt, und den Stoff seiner Dichtungen hat er den Sagenkreisen des Mittelalters und der Urzeit des deutschen Volkes entnommen, während Liszt nicht nur Schubert – an der Popularität der Schubert’schen Lieder haben seine Transscriptionen einen nicht zu unterschätzenden Antheil – sondern auch dem ihm befreundeten Chopin Vieles verdankt.
Wir haben die musikalischen Richtungen der Gegenwart gefragt: wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin, was treibt ihr? und sie haben uns Rede und Antwort gestanden. Die letzte noch übrige Frage: wer sind eure Vertreter, und in welche kleineren Gruppen schaaren sie sich zusammen? fällt außerhalb der Aufgabe, welche dieser Aufsatz sich gestellt hat. Zum Theil ist sie durch vereinzelte biographische Artikel, welche die „Gartenlaube“ ihren Lesern seither geboten, bereits erledigt, und was an der Antwort noch fehlt, werden jedenfalls spätere Beiträge allmählich ergänzen. (Gewiß! D. Red.) Die Musik und die Streitfragen auf diesem Gebiete bewegen ja das Publicum in unserer Zeit so lebhaft, wie die Dinge auf keinem anderen Kunstgebiete.[1] Unerläßlich aber ist, wenn das Publicum zu einiger Selbstständigkeit des Urtheils in musikalischen Fragen und zum unbefangenen, nicht durch die verwirrenden Schlagwörter einseitiger Kritiker getrübten Genusse alles wahrhaft Bedeutenden und Guten auf diesem Gebiete gelangen soll, daß ihm die sachliche wie historische Berechtigung der verschiedenen Richtungen einmal klargelegt werde, und wenn der vorstehende Artikel dies erreicht hat, so hat er seine Aufgabe erfüllt.
Der abermalige Mordversuch auf den Herrscher Rußlands lenkt heute Aller Blicke nach der Schreckensstätte an der Newa, dem kaiserlichen Winterpalast in St. Petersburg, welcher die hauptstädtische Wohnung des russischen Czaren bildet. Die Lage dieses umfangreichen Baues ist eine ausgesucht reizvolle, besonders auf der Newaseite.
Der Strom selbst, mag er in seinen eisigen Banden ruhen, mag er seine tiefblauen Wasser in wieder erlangter Lebensfülle hinab nach dem finnischen Meerbusen tragen, bleibt immer einer der stolzesten und mächtigsten Flüsse unseres Welttheils. Am jenseitigen Ufer, rechts drüben, liegt die Peter- und Pauls-Festung mit ihrer wie eine endlose Goldnadel emporstrebenden Thurmspitze, die meilenweit hin leuchtet, als wolle sie Jeden daran erinnern, daß hier strenge Haft den Staatsverbrecher bedroht. Die Festungskirche birgt die Gruft, in der alle Herrscher Rußlands seit Peter dem Großen ruhen. Dem Winterpalast unmittelbar gegenüber, auf dem Insellande Wasilij Ostrow, hinter dessen Spitze hier der Arm der Kleinen Newa verschwindet, finden wir am Flusse entlang das mehr imposante, als schöne Börsengebäude, daneben die Colonnaden der Akademie der Wissenschaften, an die sich die Riesenbauten der Universität und des Pawlof’schen Cadettenhauses – einst Menschikoff’s Palais – nebst anderen großartigen öffentlichen Gebäuden reihen. Die Dimensionen der einzelnen Bauwerke treten durch die Menge der dazwischen liegenden Gärten doppelt imposant hervor. Unter den Gärten ist der schöne Solowiew’sche Square ein wahrer Schmuck von Wasilij Ostrow.
So schön auch das rechte Ufer der Newa ist, so wird es doch, was die Bauten anlangt, von der linken Seite übertroffen. In ihrer majestätischen Pracht tritt uns hier vor Allem die Isaaks-Kirche mit ihren achtundvierzig Monolithsäulen aus finnischem Granit entgegen. In langer Reihe ziehen sich wahre Paläste am englischen und am Palastquai entlang, und doch bleibt ihnen trotz ihrer Ausdehnung jede Monotonie fern. Das lebensvolle Standbild Peter’s des Großen zu Pferde, hoch oben auf dem Felsblocke, der mit undenklichen Mühen und Kosten zu Wasser aus Finnland hieher gebracht wurde, und der vor Kurzem wie mit einem Zauberschlage entstandene Admiralitätsgarten sorgen reichlich für wohlthuende Abwechselung. Der Winterpalast, zwischen den beiden eben genannten Quais gelegen, bildet gewissermaßen den Mittelpunkt dieser auffallend geschmackvoll angegelegten Stadtgegend.
Aber nicht die Flußseite allein ist erwähnenswerth: nach Süden hin finden wir einen schönen, von dem Riesenbau des Generalstabsgebäudes in weitem Halbbogen begrenzten Platz, welchen die Alexander-Säule schmückt, ein Monolith, der höher ist, als die höchsten ägyptischen Obelisken. Nach Westen liegt die Admiralität, deren goldene Thurmspitze allein 60,000 Dukaten kostete, ein weiter, ziemlich geschmackloser Bau, der aber jetzt, aus dem frischen Grün des kürzlich angelegten, zu seinen Füßen sich ausbreitenden Alexander-Gartens hervorragend, einen recht anmuthigen
- ↑ Konnte doch in den letzten Jahren ein vielbändiges musikalisches Nachschlagewerk seinen Weg in der Oeffentlichkeit machen: das treffliche, von Hermann Mendel begründete, jetzt von August Reißmann herausgegebene „Musikalische Conversationslexicon“ (Berlin, Oppenheim), welches soeben in neuer Lieferungsausgabe erscheint.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_192.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2021)