Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1880) 102.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

winden und zucken zu sehen. Es schwimmt, dehnt und reckt sich Tag und Nacht, bis nach eingetretener Reife sich die Kapsel öffnet und den wohlgebildeten, noch blaß gefärbten Katzenhai seinem Element übergiebt. Die jungen Thiere fallen regungslos auf den Grund und verharren dort einige Zeit auf ein und derselben Stelle, ohne etwas von der späteren Raublust zu verrathen. Erst bei der Fütterung werden sie lebendig, denn auch auf sie findet das Horazische Wort Anwendung:

„Nur zum Fressen geboren.“
Gustav Schubert.     




Von Babylon nach Jerusalem.
Von Rudolf von Gottschall.


Die Pilgerin, welche diese Wanderschaft angetreten, hat jetzt ihren Lebensweg beschlossen. Frau Gräfin Ida Hahn-Hahn weilt nicht mehr unter den Lebenden, pflegt nicht mehr die Seelen der sündigen Magdalenen im Kloster der Gutenbergstadt. Schon lange gehörte sie zu den Vergessenen, und doch schrieb sie Romane auf Romane; alle aber blieben jenseits der Schwelle unserer Nationalliteratur und wurden nur in jenen Kreisen gelesen, in welchen auch die Erzählungen Bolanden’s ein begeistertes Publicum fanden, in den katholisch-kirchlichen Kreisen, und nur ein Legendenforscher von Fach würde genaue Auskunft über diese neue wunderthätige Production geben können.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das merkwürdige Leben, dessen Wiege gleichsam hinter den Theatercoulissen stand, während der Sarg in der Klostergruft ruht. (Vrgl. dazu Jahrg. 1867, Nr. 42.)

Es war am Ende der vierziger oder bei Beginn der fünfziger Jahre – ich besinne mich nicht mehr genau auf die Zeit – als ich mit einigen Genossen ein auf freiem Felde bei Altona aufgeschlagenes Theater besuchte. Es waren weniger die Vorstellungen, die uns anzogen, als ein besonderer damit verknüpfter Umstand. An der Casse dieses Theaters stand nämlich neben dem Cassirer ein würdiger Herr mit dem Schnurrbart, einigen Ordenszeichen und vornehmer Haltung: es war der Director des Theaters, der in Schleswig-Holstein von Stadt zu Stadt zog und überall seine Wanderbühne aufschlug. Dieser passionirte Theaterfreund und Theaterdirector war Niemand anders als der Graf Karl Friedrich von Hahn-Hahn (Genaueres über ihn siehe Jahrg. 1873, Nr. 28, 29), ein Intendant auf freiem Felde und aus freier Hand, niemals zur Leitung einer Hofbühne, auch nicht der allerkleinsten, berufen, trotz seiner Ahnen, Orden und der ruhmvoll mitgemachten Feldzüge gegen die Franzosen in den Befreiungskriegen. Wer indeß gekommen war, um sich über den Mann lustig zu machen, über den eine Fülle von Anekdoten cursirte, wer mindestens auf einen tragikomischen Eindruck rechnete, der mußte sich enttäuscht finden gegenüber der würdevollen Erscheinung des „Theatergrafen“, der seinen Beruf mit solcher Sicherheit und, man möchte sagen, mit solcher Ueberzeugungstreue ausübte.

Die Tochter dieses Sonderlings war Gräfin Ida, die Romanschriftstellerin, und da nach Schopenhauer die Töchter von den Vätern den Geist erben, so waren in dieser Erbschaft, die ja nicht cum beneficio inventarii angetreten werden konnte, gewiß auch einige Capricen und Seltsamkeiten von Hause aus mit eingeschlossen. Gräfin Ida war am 22. Juni 1805 in Tressow im Mecklenburgischen geboren, und wenn sie auch ihre erste Jugend im väterlichen Hause zubrachte, so hatte sie doch in den späteren Jahren derselben keine feste Heimath.

Der Vater war in den Feldzügen abwesend und dann durch seine Theaterleidenschaft auf ein unstätes Leben hingewiesen. Diese Passion zerrüttete auch die Vermögensverhältnisse der Familie, und so mochte es anfangs als ein besonderes Glück erscheinen, als Comtesse Ida sich im Jahre 1826 in Greifswald mit einem reichen Vetter, dem Grafen Friedrich Wilhelm Adolf Hahn, vermählte. Doch fand sich die junge Gräfin nicht in die Bande einer standesmäßigen Ehe, die ihrer reichen Phantasie, ihrem unruhigen Geist keine Anregung bot, um so weniger, als der Gatte nur Sinn für Pferde und Hunde hatte. Die Ehe wurde im Jahre 1829 wieder geschieden. Während des Scheidungsprocesses wurde von der Gräfin ein Kind geboren, ein Mädchen, das ohne alle Fähigkeiten blieb, weder gehen noch stehen oder etwas mit den Händen greifen und halten konnte. Gräfin Ida konnte sich jetzt ihrer doppelten Passion hingeben: der Literatur und den Reisen. Es war damals die Epoche der George Sand’schen Romane, die in ganz Europa Sensation erregten. Gräfin Hahn-Hahn war eine geschiedene Frau wie die George Dudevant; sie war also von selbst auf die Pathologie der Ehe hingewiesen. Es lag damals allerlei in der Luft von kühnen, wenn auch unklaren Emancipationsbestrebungen; die Hahn-Hahn faßte diesen in der Luft liegenden Stoff mit aristokratischen Glacéhandschuhen an. Das Recht des Herzens vertrat sie nicht als ein allgemeines Recht, sondern mehr als ein Privilegium der bevorzugten Stände. Ueberhaupt bewegte sie sich im Kreise des Salons wie die attischen Tragöden im Kreise der Götter und Heroen; es gab da nichts von der Bedürftigkeit des Daseins; die ganze Selbstherrlichkeit der Leidenschaft kam zu uneingeschränktem Recht mit allen ihren Wunderlichkeiten. Trotz des oft bizarren französirenden Stils dieser Romane, trotz der oft seltsamen Capriccios, in denen sie sich ergehen, darf man doch behaupten, daß keine deutsche Schriftstellerin der George Sand im Ausdrucke der Herzensempfindungen und der poetischen Sprache der Leidenschaft so nahe gekommen ist, wie die Hahn-Hahn, so groß immerhin die Kluft sein mochte, welche die aristokratische Schriftstellerin von der demokratischen schied. Aus eigenem Erlebniß schöpfte sie den Stoff zu ihren Dichtungen; sie hatte ja die Unbefriedigung einer liebeleeren Vernunftehe kennen lernen und empfand, als sie freigeworden, die Schranken dieser Freiheit, welche die Gesellschaft von allen Seiten ihr entgegenstellte. Dieser „Gesellschaft“ warf sie den Fehdehandschuh hin in ihren Schriften wie in ihrem Leben.

Sie hatte inzwischen „den Rechten“ gefunden, einen Mann, der, durch kein eheliches Band ihr verknüpft, ihr doch Jahrzehnte lang zur Seite stand, wie Immermann der Gräfin Ahlefeldt in kürzerem Freundschafts- und Liebesverkehr: es war Baron Bystram, ein Mann von männlichem Aeußeren und edler Bildung. Daneben aber machte sie eine glühende Leidenschaft durch, einen kurzen Liebesroman, der aber für ihr poetisches Schaffen die höchsten Anregungen bot.

Sie, die Aristokratin, verliebte sich in einen der hervorragenden Führer der damaligen liberalen Partei, den Juristen Heinrich Simon, einen Mann von stattlicher Erscheinung und energischem Charakter, der in jener Epoche der constitutionellen Bewegung fast die gleiche Berühmtheit erlangt hatte, wie der Verfasser der „Vier Fragen“. Diese Liebe fand glühende Erwiderung; die schlanke blonde Aristokratin übte auch einen berückenden Zauber auf den Volksmann aus, der sonst gerade durch seinen kalten scharfen Verstand sich auszeichnete und auch in seinen schöngeschnittenen Gesichtszügen einen gewissen marmorkalten Ausdruck hatte. Simon hielt um die Hand der Gräfin an; doch diese konnte sich nicht dazu entschließen, ihren Rang einem Bürgerlichen von jüdischer Herkunft zu opfern.[WS 1]

Gleichzeitig hatte Simon einem Mädchen eine tiefe Neigung eingeflößt, das sich ebenfalls später als Schriftstellerin einen Namen erwerben sollte. Es war dies seine Cousine, Fanny Lewald, welche ihre Liebe bis zu Simon’s Tode tief im Herzen trug; doch diese Liebe blieb unerwidert; die Mecklenburgische Gräfin hatte den Sieg davon getragen über die jüdische Kaufmannstochter der Kniephof’schen Langstraße in Königsberg, trotz der Verschiedenheit ihrer politischen Anschauungen von denjenigen, welche Fanny Lewald mit ihrem Vetter gemein hatte. Mehr noch als der literarische Gegensatz zwischen der capriciösen, vornehm lässigen Schreibweise der Gräfin Ida und dem abgeklärten Stil der Fanny Lewald, mehr noch als der Gegensatz zwischen der exclusiven romantischen Lebensauffassung der Gräfin und der aufgeklärten, verstandesmäßigen der Jüdin mochten es jene feindlichen Lebensbeziehungen sein, was der Fanny Lewald die Feder in die Hand drückte, mit der sie in ihrer „Diogena“ die Romane der Gräfin Hahn-Hahn mit so beißender Persiflage parodirte.

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_102.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)