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Seite:Die Gartenlaube (1877) 649.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


eine meisterhafte Sprecherin, wobei ihr schönes, allen Wandlungen sich leicht fügendes Organ sie trefflich unterstützt; ihre Bewegungen sind leicht und anmuthig; ihre Maske, auch dort, wo sie durch Alter oder Krankheit verändert sein muß, ist mit seltenem Tact gebildet, kurz nichts Gezwungenes in ihrem ganzen Wesen.

Ich habe vorhin an das Clärchen angeknüpft, weil sie die vollendetste Frauengestalt ist, die Goethe schuf, und weil die Versinnlichung dieser Gestalt durch die wundersame Darstellung des Fräulein Wessely ein bedeutendes Kunstwerk ist. „Was soll auch – sagt Helmholtz – „ein Kunstwerk, dieses Wort in seinem höchsten Sinne genommen, wirken? Es soll unsere Aufmerksamkeit fesseln und beleben; es soll eine reiche Fülle von schlummernden Vorstellungsverbindungen und damit verknüpften Gefühlen in mühelosem Spiele wachrufen und sie zu einem gemeinsamen Ziele hinlenken, um uns die sämmtlichen Züge eines idealen Typus, die in vereinzelten Bruchstücken und von wildem Gestrüpp des Zufalls überwuchert in unserer Erinnerung zerstreut daliegen, zu lebensfrischer Anschauung zu verbinden.“

Dieser schöne Ausspruch, auf Werke der bildenden Kunst berechnet, ist auch vollkommen zutreffend für eine Schöpfung der dramatischen Darstellung, welche ja Malerei, Plastik und Dichtung in sich vereinigt. Wer darum in ihr jene Wirkungen schafft, deren Ergebniß das wunderbare Wohlgefallen ist, das wir einfach mit der Empfindung des Schönen bezeichnen, dem schulden wir auch die gleiche Huldigung. Mag immerhin die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flechten, die Mitwelt ist nicht undankbar, wenn einmal es dem Genius gelungen ist, sie willenlos unter seinen zauberischen Bann zu zwingen.

Emil Schiff.




Die Verfälschung der Nahrungs- und Genußmittel.
3. Die chemischen Biersurrogate.


Während die Anwendung der Malzsurrogate, das heißt das „Schmieren“, wovon der vorige Artikel handelte, noch bis vor Kurzem von den Brauern zugegeben, ja öffentlich in Schutz genommen wurde, lassen sich die Vertheidiger der modernen chemischen Bierbereitung keine Gelegenheit entgehen, jede auf wirkliche Fälschung zielende Behauptung der Presse als verleumderische Verdächtigung des Brauereigewerbes zu brandmarken. Da nun bekanntlich die Chemie nicht im Stande ist – und dies muß besonders betont werden – jedesmal mit völliger Gewißheit nachzuweisen, was für schädliche Stoffe und in welchen Mengen sie dem Biere beigemischt sind, so ist der ewige Einwand der Brauer der, daß man nie einen Brauer namhaft gemacht habe, in dessen Bier nachtheilige Stoffe gefunden worden seien. Wir werden sehen, was von solchen Einwänden zu halten ist und daß es doch noch andere Beweise für die Anwendung dieser Surrogate giebt. Gewöhnlich verbindet man mit den Entgegnungen, die von den Präsidien dieses oder jenes Brauerbundes ausgehen, noch den nützlichen Nebenzweck, durch das Eifern gegen die Verleumder, welche von Giften gesprochen haben, sowie durch die heuchlerische Berufung auf die Erfolglosigkeit von Bieranalysen – die, beiläufig gesagt, meist gar nicht angestellt worden sind – die Aufmerksamkeit des Publicums von der zwar ungefährlichen, aber, wie wir gesehen haben, ekelhaften und – sehr lohnenden Bierschmiererei geschickt abzulenken. Da nämlich das „thörichte Vorurtheil“ des Publicums nicht zu beseitigen war, mußte man auch das Schmieren leugnen, und die Malzsurrogate wurden auf der letzten Brauerversammlung in Frankfurt recht demonstrativ auf den Index gesetzt, natürlich wohlverstanden nur in der Presse, nicht in den Brauereien.

So lebhaft aber auch die Anwendung von nachtheiligen Surrogaten in Abrede gestellt wird und so wenig sich auch dieses Ableugnen durch chemische Analysen widerlegen läßt: immer und immer wieder tritt in der Presse und in der fachwissenschaftlichen Literatur in bestimmtester Form die Behauptung auf, daß in vielen Bieren nicht blos unzuträgliche, sondern sogar stark giftige Stoffe enthalten seien und daß die Fälschung von Jahr zu Jahr bei uns an Boden gewinne.

F. H. Walchner, um nur einige Zeugnisse anzuführen, ein unermüdlicher Forscher auf dem Gebiete der Lebensmittelverfälschung, den man als praktischen Arzt und erfahrenen Chemiker wohl für einen glaubwürdigen Gewährsmann gelten lassen wird, führt in seinem trefflichen Buche über die Nahrungsmittel des Menschen außer anderen weniger schädlichen Stoffen folgende Surrogate als die bei der Bierbereitung gebräuchlichsten an: Kokelskörner, Opium, Dickauszug von Mohnköpfen, Ignazbohnen, Strychnin, Brechnuß, Tabak, wilden Rosmarin, Bilsenkraut, Belladonnablätter. Man bedient sich dieser durchaus stark giftigen Pflanzenstoffe nach Walchner und anderen Autoritäten, um den dem Biere abgehenden Weinsteingehalt und Stärkegrad durch die ihnen innewohnenden narkotischen Eigenschaften zu ersetzen. Ferner werden Quassiaholz, Weidenrinde, Enzianextract, Kalmus, Wermuth, weißer Andorn gebraucht, um die Hopfenarmuth des Bieres durch die berauschenden Eigenschaften und den bitteren Geschmack dieser Pflanzen zu verdecken; seit Kurzem haben sich, wie derselbe Autor nachweist, diesen noch der Wiesensalbei und die gemeine Haide (Erica vulgaris) gesellt, und neuerdings ist, offenbar in Folge der hohen Hopfenpreise, eine vielfach in Zeitungen erwähnte, verdächtig starke Nachfrage nach Herbstzeitlose (Colchicum) gewesen.

Nach Dr. Waltl in Augsburg ist durch die Mauthbücher erwiesen, daß manche Bierbrauer Aloe im Großen beziehen. Auch wird die Sache immer glaubwürdiger, wenn man von Bierkennern erfährt, daß hin und wieder braunes Bier vorkommt, welches sich durch auffallend bittern Geschmack und durch purgirende Eigenschaft verdächtig macht. Derselbe Fachmann weist nach, daß fünfzig Kilogramm Aloe nur fünfundfünfzig Mark kosten und daß man in der Brauerei mit einem halben Kilo Aloe soweit reicht, wie mit fünf Kilo Hopfen. Letzterer kostet aber in diesem Jahre, je nach der Sorte, dreihundert bis vierhundertfünfzig Mark der Centner. Aehnliche Vortheile ergeben sich für den Brauer durch Anwendung der anderen eben erwähnten Hopfensurrogate.

Aber unsere Liste ist noch nicht erschöpft. Zur Verbesserung des Geschmackes geschmierter nichtsnutziger Biere dienen Ingwer, Koriander (namentlich beim Bockbiere angewendet), spanischer Pfeffer, Paradieskörner, Zimmetblüthe; sie müssen dem kraftlosen Gebräu künstlich jene belebende Stärke, jenen prickelnden, erfrischenden Geschmack geben, den das so kostspielig herstellbare reine Malz- und Hopfenbier besitzt. Zur Fällung der Hefentheile dienen nicht immer unschädliche und unentbehrliche Mittel, wie Hasel- und Buchenspähne, Kalbsfüße, Hausenblase, Eiweiß (was nur für kurze Zeit klärend wirkt und große Sorgfalt erheischt), sondern auch ekelhafte und schädliche, wie Tischlerleim, Schafsdärme und Schwefelsäure.

Die Säure schlechter Biere wird mit Austerschalen, Marmor, Eierschalen, Kreide, kohlensaurem Natron, kohlensaurem Kali etc. abgestumpft; während der Alaun und der grüne Eisenvitriol bewirken müssen, „daß der Schaum fingerdick im Glase stehen bleibt“. Auch durch den sogenannten Brausebeutel, der mit pulverisirter weißer Nieswurzel gefüllt und vielfach in das kochende Gebräu getaucht wird, nimmt das Bier höchst schädliche Eigenschaften an. Durch Unwissenheit, Nachlässigkeit und Unreinlichkeit in den Brauereien werden endlich noch unabsichtliche Fälschungen verursacht; namentlich gelangen in Folge schlechter Beschaffenheit metallener Braugefäße und -Geräthschaften Kupfer, Blei, Zink und Schwefel in das Bier. Nicht selten ist auch der Brauer selbst der Betrogene. Die Unsolidität in unserem Handel und Wandel tritt eben überall in betrübender Weise zu Tage, und sobald man einmal auf den Grund geht, muß man sehen, daß Treue und Glauben leere Worte geworden sind. Schlechtes, schimmliges Malz wird massenhaft in die Brauereien eingeschmuggelt. Noch schlimmer steht es um den Hopfenhandel. In einer kürzlich erschienenen Broschüre von Dennerlein heißt es: „Erfahrungsmäßig ist der Hopfen nur so lange echt, so lange er die Schwelle eines gewissenlosen Händlers nicht passirt hat etc.“ Man mischt geringere Sorten, verdorbene Waaren mit besseren, gesunden; durch Schwefeln wird dann eine einheitliche und schönere Farbe erzielt. Der so geschwefelte Hopfen giebt dem Bier höchst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_649.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)