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Seite:Die Gartenlaube (1877) 546.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


hohe und höchste Herrschaften: eine Reihe streitbarer Hauptleute, dann Kaiser Karl den Fünften, den Herzog Christoph von Württemberg, begleitet von einer buntschillernden Ritterschaar. – Dann folgt ein erschütterndes Bild aus dem Bauernkriege, eine wilde Gruppe, den armen Grafen Helfenstein als Gefangenen in der Mitte, die schwarze Hofmännin, ein weiblicher Teufel, mit gezücktem Dolche, aber auch ein Paar blutrother Scharfrichter hinterdrein. Wie ein Labsal für das Herz tritt nun der schwäbische Nationalroman „Lichtenstein“ in seinen herrlichsten Gestalten lebendig vor uns auf, und auch hier will’s ein schönes Glück, daß als das lustige Ulmer Kind Bertha von Besserer wiederum eine wirkliche Besserer (Fräulein Cordula Besserer) dort zu Pferde sitzt. Nach Hauff’s unsterblichen Dichtergestalten kommt uns schier zu plötzlich, wenn auch von zwei Schalksnarren geführt, das achtzehnte Jahrhundert entgegen, mit dessen Schilderung, wie sehr uns der ländliche Brautzug und das Fischerstechen dazu verlockt, wir jedoch einhalten müssen, da unser Raum zu Ende ist. Unumstößlich fest steht aber, daß diese Münsterfeier für immer in der Geschichte Ulms ein goldnes Blatt sein wird.




Auch eine „Weibertreu“. (Mit Abbildung auf Seite 535) Zu den Perlen des Zschopauthals, einem der an malerischen Naturschönheiten reichsten Thäler des Königreichs Sachsen, gehört das Felsenschloß Kriebstein. Es liegt eine halbe Meile südlich von einem Orte, dessen Namen man in so mit Schönheit gesegneter Landschaft ungern ausspricht, von Waldheim, dem freundlichen Städtchen mit dem Zuchthause, in welchem nicht blos gemeine, sondern auch sogenannte politische Verbrecher büßten. – Wenn auch die gebirgsfrischen Wellen der Zschopau längst nicht mehr wie einst den ganzen Fels umspülen, auf welchem hoch und kühn der ritterliche Adlerhorst prangt, so genießt dieser Horst selbst doch den Vorzug vor unzähligen noch bewohnten Rittersitzen der Vorzeit, daß derselbe im Ganzen unverändert von seinem Ursprung bis diesen Tag erhalten ist, und daß man seine Geschichte kennt vom Erbauungsjahre an, ohne im Nebel der Sage ihr nachspüren zu müssen.

Der Erbauer der Burg Kriebstein oder Kriebenstein (in Urkunden Crywenstein) war der Ritter Dietrich von Bärwalde oder Bernwalde, wie er in Gottschalck’s „Ritterburgen etc.“ genannt wird. Der Bau hatte im Jahre 1382 begonnen, war erst nach fünfundzwanzig Jahren vollendet und sollte seinen Gründer nur acht Jahre erfreuen. Am Fastnachtstage 1415 überwältigte ihn der Ritter Staupitz von Reichenstein und trieb ihn von dannen. Da zog, von dem Vasallen zu Hülfe gerufen, der thüringische Landgraf und Sachsenherzog Friedrich der Streitbare vor die Burg und berannte sie so mächtig, daß sie sich endlich ergeben mußte. Voll ritterlichen Sinnes bot der Landgraf der Gemahlin des überwundenen Staupitz freien Abzug aus der Burg an und gestattete ihr, das, was ihr am liebsten sei, mitzunehmen. Und damals geschah es, daß die starke Ritterfrau das that, was die Weiber von Weinsberg zweihundertfünfundsiebenzig Jahre vor ihr mit gleichem Muthe ausgeführt haben sollen: sie trug ihren Mann zum Thore der Burg heraus und rettete ihm dadurch Freiheit und Leben, denn als Landfriedensbrecher würde er mit dem Tode bestraft worden sein, wenn nicht der ritterliche Fürst der tapfern Frau ihren Mann geschenkt hätte. Die Burg kam jedoch nicht in die Hand des Erbauers derselben zurück, sondern wurde in fürstlichem Besitz behalten. Später finden wir die mächtigen Grafen Vitzthum als Herren derselben, die sie aber in dem von ihnen angefachten Bruderkriege im Jahre 1446 wieder verloren.

Nicht weniger denkwürdig ist es, daß diese Burg Kriebstein die unschuldige Ursache des bekannten sächsischen Prinzenraubes werden sollte. Während des Bruderkriegs waren auch die thüringischen Güter des Ritters Kunz von Kaufungen verwüstet worden. Zur Entschädigung überließ der Kurfürst (Friedrich der Sanftmüthige) ihm Kriebstein, Ehrenberg und Schwickertshain unter der Bedingung, diese Güter zurückzugeben, sobald er wieder in den Besitz seiner eigenen gelange. Als aber letzteres durch den Friedensschluß von 1450 geschah, verweigerte Kaufungen die Herausgabe der drei stattlichen Rittersitze und mußte mit Gewalt daraus vertrieben werden. Um sich an dem Fürsten zu rächen, vollführte er dann den Prinzenraub, am 7. Juli 1455, für den er schon sieben Tage später auf dem Marktplatze zu Freiberg durch das Schwert um seinen Kopf kam.

Die Besitzer wechselten noch oft, bis 1820 die Burg Eigenthum der Familie von Arnim ward, welcher die Mittel zu Gebote standen, sie zu erhalten und zu verschönern. – Aussicht und Sehenswürdigkeiten auf und in Kriebstein zu beschreiben, ist hier nicht der Raum. Die Burg ist bei dem wohlgezogenen sächsischen Eisenbahnnetze von überall her so leicht zu erreichen, daß Jeder, der’s kann, lieber sehen als lesen wird, was, unserer Illustration nach, Natur und Kunst dort Herrliches bieten.




Weshalb lacht man? Es wird vielfach geglaubt, man lacht, weil man sich freut. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, und der Irrthum in dieser Hinsicht vielleicht dadurch zu erklären, daß man allerdings beim Lachen ein Gefühl der Freude hat; dieses dürfte aber eher eine Folge des Lachens als dessen Ursache sein. Man freut sich, weil man Grund zum Lachen hat; der Grund des Lachens selbst liegt aber in dem Gegensatze zwischen unserer Vorstellung von einem Ereignisse und der Wahrnehmung, die wir, wenn dasselbe wirklich eintritt, machen. Je größer dieser Gegensatz ist, je mehr Anregung haben wir zum Lachen. Der einfache Umstand, daß wir uns freuen, wird uns nie zum Lachen bringen. Es erhalte Jemand eine Geldsumme, von der vielleicht sehr viel für ihn abhängig ist; er wird sich dann sicherlich freuen, aber nicht über dies Ereigniß lachen. Daß traurige Menschen seltener und weniger leicht lachen, als frohe, liegt lediglich darin, daß das lebendige Spiel der geistigen Kräfte jener eben durch dasjenige, was den Grund ihrer Traurigkeit ausmacht, erheblich beeinträchtigt wird, während der freiere und ungebundene Geist des nicht Bekümmerten leichter im Stande und auch mehr geneigt ist, die sich ihm bietenden Contraste aufzufassen.

Bei dem bekannten Scherz, daß das eine von zwei sich streitenden Kindern, als jedes die Vorzüge seiner Eltern auf’s Höchste erschöpft hat, schließlich noch ausruft: „Ja, mein Vater hat aber eine Hypothek auf seinem Grundstück, Deiner nicht!“ haben wir nicht die mindeste Veranlassung uns zu freuen; der Umstand aber, daß man eine Hypothek auf einem Grundstück für einen Vorzug hält, contrastirt so mit unserer Auffassung davon, daß wir lachen. Ja, bei einem Scherz, den in dieser Art die „Fliegenden Blätter“ im Jahr 1867 brachten, kann man beinahe wehmüthig, respective traurig gestimmt werden und wird doch lachen, denn hier sagte das siegende Kind schließlich: „Ja, morgen wird meine Großmutter begraben und Deine nicht!“ Wäre die Stärke und Häufigkeit des Lachens ein Beweis von häufiger und größerer Freude, so wäre nach dem Ausspruch von Jesus Sirach: „Ein Narr lacht überlaut, ein Weiser lächelt ein wenig,“ der Narr bei weitem häufiger erfreut, also – wenigstens in gewissem Sinne – auch glücklicher als der Weise. Der Gesichtskreis des Narren aber ist ein so beschränkter, daß ihm oft schreiende Gegensätze zu seinen unreifen Vorstellungen auftreten, sodaß er sich durch sein überlautes (wohl auch häufiges) Lachen charakterisirt; während in den Gesichtskreis des weisen und erfahrenen Menschen die meisten Ereignisse, welche er wahrnimmt, hineinpassen, sodaß er also weniger und seltener lacht.

J. K.




Die unterseeische Stadt im Genfer See. „Das Ganze“, schreibt auf unsere Anfrage unser verehrter Mitarbeiter, Professor Vogt in Genf, den eine Zeitungsnachricht als Mitentdecker der untergegangenen Stadt bezeichnet, „ist eine unverschämte Mystification, an der nicht ein einziges wahres Wort ist. Weder ich, noch irgend ein Anwohner des Genfer See’s hat Kenntniß von einer versunkenen und bei St. Prex wieder aufgefundenen Stadt. Da die Ente ausflog, während ich abwesend war, so konnte ich nicht rechtzeitig dagegen reclamiren. Kurz, Alles ist Lüge, wie so vieles Andere, das mir aufgeladen wird.“




Neuer Schwindel. Durch viele Zeitungen läuft augenblicklich folgende Anzeige:

Zur Beachtung für Alle!!!
Ein schönes Geheimniß, sehr stark zu werden.

Dieses Geheimniß wird nur als eine Wohlthat ausgegeben und bereitet den Menschen eine allgemeine Kraft und Stärke und wird nach Wunsch nach allen Gegenden versendet, damit auch andere sich an der schönen Quelle des Lebens erquicken mögen und Tausende werden gewiß ihren Dank dafür aussprechen. Dieses Geheimniß kostet nur 1 Mark. Man wende sich direct an

M. L. Müller.
Löberthorgebäude in Erfurt.

Nach Einsendung einer Mark erhielt ein Herr auf einem kleinen gedruckten Zettel nachfolgende Enthüllung des Räthsels:

„Sehr stark zu werden.

Man nehme eine Flasche guten Rothwein, vergrabe den Wein in die Erde in einen Ameisenhaufen und lasse den Wein ein ganzes Jahr darin.

Dann nehme man den Wein wieder heraus und trinke zuweilen etwas davon, so wird man Kräfte bekommen, die mit Verwunderung zunehmen.

M. L. Müller in Erfurt.
Nachdruck verboten!“



Kleiner Briefkasten.

Herrn C. in Leipzig. Bezüglich Ihrer Aufrage wegen Verwandtschafts-Ehen verweisen wir Sie auf das soeben in deutscher Uebertragung erschienene Buch des französischen Philosophen Th. Ribot (Leipzig, Veit u. Comp. 1876), welches auf Seite 317 bis 320 eine ziemlich unparteiische Auseinandersetzung über die vielbesprochene Frage giebt; ferner auf Darwin („Das Variiren etc.“, 2. Theil, 17. Capitel) und endlich auf Dr. Reich („Das eheliche Leben“, 1864, S. 526 u. f., und „Allgemeine Naturlehre“, S. 603 u. f.). Darwin sagt, daß er ungern auf den Gegenstand eingehe, „da er von natürlichen Vorurtheilen umgeben ist“; aber seine vielen Nachweise über die großen Nachtheile zu naher sogenannter „Inzucht“ bei Thieren lassen wohl keinen Zweifel über seine eigentliche Meinung übrig. Reich verwirft die Verwandtschafts-Ehen auf das Allerentschiedenste unter Aufführung eines reichen statistische Materials, während der berühmte französische Gelehrte Quatrefages einen vermittelnden Standpunkt zwischen beiden entgegenstehenden Meinungen einnimmt und behauptet, daß zwar die Verwandtschaft an sich nicht nachtheilig wirke, daß sie es aber in Folge der die Vererbung beherrschenden Gesetze oft thue, und daß daher angesichts dieser Möglichkeit die Klugheit Verheirathungen Blutsverwandter verbiete.

In ähnlicher Weise spricht sich Karl Müller, der Herausgeber der Zeitschrift „Natur“, bei Gelegenheit der Erwähnung einer im Jahre 1875 erschienenen Schrift des Engländers Henry Huth (The marriage of near kin), welcher die Schädlichkeit der Verwandten-Ehen für ein Vorurtheil erklärt, aus. Nach Müller leidet der allergrößte Theil der Familien an irgend einem leiblichen oder geistigen Fehler, der sich durch Vererbung steigert, sodaß man nicht wissen kann, zu welcher Desorganisirung schließlich eine solche wiederholte Vererbung führen werde. Umgekehrt wird der Fehler sicher durch eine „Auffrischung“ des Blutes sich mindern oder gänzlich verlaufen. „Nicht weil es die Kirche nicht gestattet,“ sagt Müller, „sind wir deshalb gegen Heirathen unter Blutsverwandten, sondern weil die Natur ihr Veto dagegen einlegt.“


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_546.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)