Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Sie machte sich mit leiser unwiderstehlicher Bewegung frei. „Lieben? – Sie haben mir gesagt, daß Sie mich lieben, und wollen mir doch das Bewußtsein auf die Seele laden, die Ursache Ihres Todes zu sein. Was kümmert Sie mein Friede, was der Jammer Ihrer Theuersten? Sie wollen die eigene Noth abschütteln; was Sie hinter sich lassen, gilt Ihnen nichts. Ich aber bin nicht standhaft genug, solche Centnerlast auf dem Gewissen durch das Leben zu tragen. Ob Sie noch heute thun, was Sie sinnen, ob Sie es morgen thun, Sie wissen jetzt, daß Sie nicht über Ihr Leben allein verfügen. Noch bindet mich heiligste Pflicht, aber, wie meine arme Mutter erst heute sagte – ihre Tage sind gezählt, und in der ersten Stunde, wo sie meiner nicht mehr bedarf, halte ich mein Gelübde, so wahr Gott lebt.“
„Nimmermehr!“ rief Kettler außer sich.
„Das liegt fortan in Ihrer Hand,“ sagte Paula sanft. „Wollen Sie, daß ich lebe, so schwören Sie mir, daß auch Sie leben wollen.“
„Paula, Paula! Du weißt nicht, was Du forderst.“
„Ich weiß es gut,“ sagte sie fest, und blickte ihn mit den unergründlichen Augen tief an. „Wenn es aber wahr ist, daß Sie mich lieben, dann steht mir zu das Höchste zu fordern. Und gewähren Sie, dann sind wir einander unser Leben schuldig geworden und müssen uns der Gabe werth erweisen. Jeder Athemzug des meinen soll vor Dem bestehen dürfen, der ihn mir schenkt – o, gewähren Sie!“
Sie neigte sich über seine Hand und legte ihre kalte Wange darauf. Er blickte stumm auf sie nieder; eine schwere Thräne fiel aus seinem Auge, auf des Mädchens lockiges Haar.
„Du hast mich bezwungen,“ sagte er nach kurzer, banger Pause. „Nicht um solchen Preis darf ich Frieden begehren – Dein Wille geschehe!“
Leise, wie ein Lufthauch, streiften ihre Lippen die Hand, dann richtete sie sich auf, das zarte, durchgeistigte Gesicht ganz mit Thränen bethaut. „Lebe wohl!“ sagte sie leise, „für immer lebe wohl!“
Er schloß sie einen Moment schweigend in die Arme, ohne sie mit den Lippen zu berühren. Als er sie freigelassen, wandte er sich in raschem Impulse seinem Schreibtische zu.
„Nimm ein Gedenken an diese Stunde, nimm dies!“ sagte er hastig und ließ, was er aus einem Fache des Pultes genommen, in ihre Hand gleiten. Namenloses Leiden wühlte in des Mannes stolzen Zügen, als ihm das Wort aus der Seele brach: „Das Leben für sein Liebstes hingeben ist ja nichts, ist ja süß. Ich schenke Dir mehr als dies, Kind: ich schenke Dir meinen Tod.“
In Paula’s Hand lag eine schwarze Kugel.
Ein theatralisches Fest des Vereins „Berliner Presse“. (Mit Abbildung S. 313.) Daß rüstiges künstlerisches Streben auch unter ungünstigen Verhältnissen oft das Ziel nicht verfehlt, das hat die am 7. April dieses Jahres im Berliner „Nationaltheater“ stattgehabte Festvorstellung von Shakespeare's „Wintermärchen“, deren Schlußscene unsere heutige Abbildung vorführt, auf’s Neue dargethan. Der Schriftstellerverein „Berliner Presse“ hatte längst ein Gesammtgastspiel unserer ersten schauspielerischen Kräfte geplant, um zu zeigen, was die heutige deutsche Bühnenkunst in ihren idealen Vertretern zu leisten vermag. Aber kein Erfolg ohne Mühe und Arbeit! Die Auswahl des geeigneten classischen Stückes, die Herbeischaffung der angemessenen Musterdarsteller mitten in der Saison, wo jeder Künstler den Pflichten seines Engagements zu genügen hat, die Herstellung eines tadellosen Ensembles aus diesen von Nord und Süd herbeigerufenen und daher nicht mit einander eingespielten Künstlern – alle diese und noch manche andere Hindernisse repräsentiren eine Summe von Schwierigkeiten, welche nur da überwunden werden kann, wo ein so kunstverständiger und intelligenter Unternehmer an der Spitze steht, wie der genannte Berliner Schriftstellerverein, und wo die ausübenden Kräfte den geistigen Kern der gegenwärtigen deutschen Bühnenkunst repräsentiren, wie hier.
Die Aufführung bot ein glänzendes Resultat. Fräulein Ellmenreich vom Stadttheater zu Hamburg als Hermione, Herr Ludwig Barnay als Leontes und Herr Karl Mittell als Polyxenes waren die Hauptträger des Stückes, an welche sich in den Vertretern der kleinen und kleinsten Partien eine geschlossene Phalanx von Künstlern anschloß, die bis in’s Einzelne hinein ihre Aufgabe geistig durchdrungen und innerlich verarbeitet hatten. Die treffliche Regie des Herrn Director Robert Buchholz vom Nationaltheater, unterstützt durch die Namczinowsky’schen Decorationen und die nach Döbler’schen Figuren angefertigten Costüme, löste ihre Aufgabe mit Geschmack und Umsicht.
Mit der Wahl des Shakespeare’schen „Wintermärchens“, dem ein schwungvoller Prolog, gedichtet von Albert Traeger, gesprochen von Herrn Director Hahn, voranging, muß wohl jeder kundige Beurtheiler, im Hinblick auf den Zweck der Vorstellung, sich einverstanden erklären. Wenige unserer classischen Bühnendichtungen dürften darstellenden Künstlern von dem Range der hier versammelt gewesenen eine schönere Aufgabe zur Verwirklichung idealer Intentionen bieten, als eben diese – wohl letzte – Dichtung des Sängers von Stratford.
Die warme Zustimmung des Publikums erschien als eine durchaus gerechtfertigte – als eine besonders werthvolle aber mußte sie deshalb betrachtet werden, weil dieses Publicum, abgesehen von der Anwesenheit des Hofes, sich aus den vornehmsten Vertretern der Wissenschaft und der Kunst, der Literatur und der Presse zusammensetzte. Die schnell vorüberrauschenden Hervorbringungen des Abends bedeuteten mehr, als einen flüchtigen Erfolg. Sie waren eine Kundgebung dessen, was künstlerischer Unternehmungsgeist im Bunde mit auserwählten Talenten auch heute noch zu leisten vermag.
Aus dem Zillerthal. (Mit Portraits Seite 320 und 321.) Die Zillerthaler nehmen es Keinem übel, der sie für Zugvögel erklärt, schon um ihres Gesangs willen, mit dem sie draußen in der Welt ihrem Ländel einen so hellen, heiteren Ruf verschafft haben. Viele tragen auch ihr Kistchen voll Handschuhe auf der Kracksen durch manches Reich. Und die Meisten haben Glück, das so oft der Schönheit Erbtheil ist. Schöne Männer, schöne Frauen, eine in Anmuth und Kraft blühende Jugend, deren Anblick eine Reise werth ist, zeichnen dieses Gebirgsvölkchen aus. Ein hübsches Gesicht ist, nach Goethe, der beste Empfehlungsbrief, und wenn, wie dies im Zillerthal häufig vorkommt, ein Schatten von Melancholie über den schönen Zügen liegt, so können sie, je nachdem, für „Manderl“ oder für „Weiberl“, ganz bezaubernd wirken. Besonders zeigt das weibliche Geschlecht viel junonische Gestalten und Schönheiten, und daß Solche als Sängerinnen erst recht vom Glücke sanft durch das Leben getragen werden, ist kein Wunder. Dennoch will L. Steub, der sinnige Drei-Sommer-Gast Tirols, ganz hübsche Mädchen gesehen haben, die im Winter als Primadonnen in Concertsälen nordischer Hauptstädte im Hermelin geglänzt und dann wieder im Sommer am Zillerbache Kartoffeln ausgegraben haben. Da hat’s wohl an der Stimme gelegen, oder an der Unverträglichkeit, oder auch am Heimweh, gegen das kein anderes Kraut gewachsen ist, als die Heimkehr in die geliebten Berge. Viele aber haben Glück; daß auch manches ansehnliche Vermögen draußen ersungen und seit des Vaters Rainer erster Sängerzeit in’s Zillerthal von Familien und Einzelnen heimgetragen worden, dafür spricht das Thal selbst am lautesten.
Daß auch Race in dem Geschlecht ist, haben jene Zillerthaler des Jahres 1838 bewiesen, welche, 399 Männer, Frauen und Kinder stark, ihre Alpenheimath verließen, um den religiösen Glauben, den sie sich nach der Bibel gebildet hatten, von Jesuiten- und Pfaffenbedrängniß frei leben zu können. Sie und ihre Nachkommen haben bekanntlich in Schlesien eine neue Heimath gefunden und dort drei Colonien, Hoch-, Mittel- und Nieder-Zillerthal gegründet.
Diesen gehören die in unserer heutigen Nummer abgebildeten Zillerthaler nicht an; sie sind daheim geblieben und haben die Altzillerthaler Art so treu bewahrt, daß unser Künstler nicht umhin konnte, sie sich zum Andenken im Bilde mitzunehmen.
Erledigt. Die auf Veranlassung der „Direction der hessischen Ludwigs-Eisenbahn in Mainz“ von uns in Nr. 16 veröffentlichte Nachfrage nach dem unbekannten Eigenthümer des im Mainzer Bahnhofe liegen gebliebenen Ringes und Geldes hat sich bereits erledigt. Eine in Amerika (in Cincinnati) verheirathete Frau hat auf der Besuchsreise zu ihren Verwandten in Emmendingen in Baden den bezeichneten Verlust gehabt und in Köln vergebliche Nachforschungen danach angestellt. Durch die „Gartenlaube“ auf die richtige Spur gebracht, hat die Frau bereits ihre Ansprüche in Mainz angemeldet, wie uns aus Emmendingen freundlich mitgetheilt wird.
Erklärung. Das in Nr. 273 der „Anzeigen zur Gartenlaube“ (Beilage zu unserer Nr. 15) angekündigte englische Prämienbild „The Entanglement“ ist mehrfach als eine Prämie zu unserem Blatte aufgefaßt worden. Dieser irrthümlichen Annahme gegenüber erklären wir wiederholt, daß die „Gartenlaube“ Prämien weder jemals ausgeboten hat, noch in Zukunft ausbieten wird, und daß eine Anpreisung des uns völlig unbekannten Bildes uns daher gänzlich fern lag.
Bei dieser Gelegenheit möge noch einmal darauf hingewiesen werden, daß alle der „Gartenlaube“ beiliegenden Anzeigen, Prospecte und sonstigen Reclamen in keinem inneren Zusammenhange mit unserem Blatte stehen und daß die Redaction am wenigsten damit eine Empfehlung der angezeigten Objecte verbinden will.
Zur Kriegschronik. Anknüpfend an den Avis am Fuße unserer Nr. 18 müssen wir die dort gemachte Mittheilung leider dahin ergänzen, daß in Folge der zeitraubenden Herstellungsweise der „Gartenlaube“ eine von uns schon damals intendirte Karte des Kriegsschauplatzes nicht so früh erscheinen kann, wie wir anfänglich gehofft. Da der Krieg sich vorläufig noch nicht völlig localisirt hat und eine abgrenzende Uebersicht des Schauplatzes bisher auch kaum möglich geworden, dürften unsere Leser eine Karte bis zur Stunde wohl nicht allzu empfindlich vermißt haben.
Berichtigung. Lies in Nr. 17 auf S. 291, Z. 3 der Blätter und Blüthen statt obersteierische „untersteierische Veste“.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_324.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)