Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
|
Menschheit hat er ohnehin nichts für sich zu erwarten. Der Anglo-Amerikaner ist so verblendet durch seinen puritanischen Glaubensfanatismus, daß selbst große Zeitungen das Moody’sche Wunder gläubig und ernsthaft mittheilen wie z. B. die weitverbreitete „Times“ (Ausgabe vom 4. Februar), welche einen Vergleich anstellt zwischen Moody und dem Propheten des jüdischen Alterthums, Jonas, der sehr zum Vortheil des Erstern ausfällt.
Der aufgeklärte Theil der amerikanischen Presse widmet diesem neuen Schwindel vorläufig noch verhältnißmäßig wenig Beachtung; man weiß, daß er sich in unserer wechselvollen Zeit bald überlebt haben wird und daß andererseits alles Protestiren mit logischen Gründen bei den Anhängern des schlauen Wunder- und Wanderpredigers nichts fruchten würde. Zudem tauchen im verworrenen Durcheinander des amerikanischen öffentlichen Lebens oft so seltsame Erscheinungen und Bestrebungen auf, daß auch das Seltsamste nicht mehr überrascht, das Dümmste nicht mehr ärgert.
Der einzige Trost bei dem heillosen Unfuge ist, daß dieser Wunderschwindel nur ein kurzes Dasein haben und, wie zahlreiche andere epidemische Geisteskrankheiten, in wenigen Jahren schon gänzlich erloschen sein wird. Da wir nun aber doch einmal in der Zeit der Wunder leben sollen, so thut man besser, sich auf Alles gefaßt zu machen; vielleicht geschieht demnächst das noch unglaublichere Wunder, daß einmal bei der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten amerikanischer Großstädte keine Schwindeleien mehr verübt werden.
„Unser Vaterland“. (Mit Abbildungen S. 284 und 285.) Wer dem deutschen Volke in eindrucksvoller Weise ein Bild des großen Vaterlandes entrollen will, der muß bei der eigenartigen Natur unseres Volksstammes vor Allem an das Herz appelliren; er muß sich nicht sowohl an das Vaterlands- wie an das individuelle Heimathsgefühl jedes Einzelnen im provinziellen Sinne des Wortes wenden; denn hier liegen – ein naturgemäßes Ergebniß unseres geschichtlichen Entwickelungsganges – die tiefsten Wurzeln unseres nationalen Gemüthslebens. Für den Schilderer mit Feder oder Stift giebt es aber keinen wirksameren Weg zum Herzen des deutschen Volkes als den einer fortschreitenden Charakterisirung des großen Vaterlandes von Landschaft zu Landschaft. Wer so schildert, der wird uns die einzelnen Theile des imposanten Ganzen in ihren Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten vorführen und dadurch im Laufe der Darlegung jedem Leser, jedem Beschauer an irgend einem Punkte ein ihm besonders Liebes darbieten, das seinem Gemüthe eine willkommene Nahrung giebt, er wird uns aber auch als Summe dieser einzelnen Theile ein concretes Gemälde liefern, das sich der verstandesgemäßen Auffassung Aller anschaulich und bedeutsam nahe legt.
Dieser Idee leiht ein Unternehmen Ausdruck, welches unter dem Titel „Unser Vaterland“ bei Gebrüder Kröner in Stuttgart erscheint und als ein Volks-Prachtwerk bester Art bezeichnet werden darf. Es sucht seinen ausgesprochenen Zweck, jedem Vaterlandsfreunde ein Beitrag zur Kenntniß der deutschen Lande zu werden, auf die oben angedeutete Weise zu erreichen, indem es nach jahrelangen Vorbereitungen die Arbeit von mehr als einem Hundert bewährter Schriftsteller, Zeichner, Maler, Holz- und Formschneider aus allen Bezirken Deutschlands in sich zusammenfaßt und uns so ein umfassendes Conterfei des deutschen Lebens in Land und Leuten, in Geschichte und Culturgeschichte, in Sitten und Volksleben durch Wort und Bild vor’s Auge rückt. Neben eingehender Schilderung der landschaftlichen Reize unseres Vaterlandes will es die Gesammtheit des deutschen Volkes in seinem Schaffen und Wirken, in seinem Denken und Dichten in den Kreis der Betrachtung ziehen; es will den geistigen Arbeiter aufsuchen in seiner Werkstatt, aber auch den Forstmann im Walde, den Fischer am Strande, den Bauer auf dem Felde, den Bergmann im Schachte und den Handwerker und Industriellen im Arbeitssaale und in der Fabrik. Und neben dem Ernste der Arbeit wird hier namentlich auch die heitere Seite des deutschen Lebens nicht vergessen werden: der Volkshumor und die Volkspoesie sollen in ihren drastischen wie in ihren idealen Aeußerungen entsprechend vertreten sein, und über Allem wird der Geist künstlerischer Gediegenheit wehen.
„Das ganze Deutschland soll es sein.“ Denn das „Reich“ sowohl wie Deutsch-Oesterreich ist es, was das dankenswerthe Werk in seinen Rahmen zusammenzufassen gedenkt. Durch Eintheilung in einzelne Serien wird es den praktischen Rücksichten auf das Publicum insofern Rechnung tragen als es jeden einzelnen Landschaftsabschnitt als ein für sich käufliches, möglichst abgerundetes Ganzes behandeln wird. – Die zunächst erscheinende erste Serie „Die deutschen Alpen“, herausgegeben von unserm geschätzten Mitarbeiter Herman von Schmid in München, liegt uns bereits in den sechs ersten Aushängebogen vor und entspricht an künstlerischer und textlicher Gediegenheit wie an Eleganz der äußeren Ausstattung durchaus dem günstigen Vorurtheile, mit dem wir dem Erscheinen des Unternehmens entgegensahen. Wir dürfen es in seinem Fortgange mit um so zuversichtlicheren Hoffnungen begleiten, als in Betreff des literarischen Theils Namen wie Ludwig Steub, I. Zingerle, Karl Stieler und andere für den Erfolg bürgen, während die illustrativen Aufgaben in den Händen eines R. Püttner. F. Defregger, A. Gabl und Genossen wohl einer glänzenden Lösung sicher sein dürfen. Die in unsrer heutigen Nummer wiedergegebenen trefflichen Illustrationsproben von der Hand der beiden letztgenannten Meister werden unsre Hoffnung gewiß gerechtfertigt erscheinen lassen.
Der Gedanke des Werkes ist nicht gerade neu; er ist in frühern Jahrhunderten – wir erinnern nur an die Merian’schen „Topographien“ des siebenzehnten Jahrhunderts – vereinzelt, in dem gegenwärtigen aber mehrmals in ähnlicher Weise verwirklicht worden, in so plan- und lichtvoller Ausführung wie hier dürfte er jedoch noch nicht realisirt worden sein. Wenn wir das Unternehmen daher schon deshalb willkommen heißen, so geschieht dies in noch höherm Grade im Hinblicke auf das nicht zu unterschätzende volkspädagogische Moment, das ihm innewohnt, im Hinblicke auf die ihm zu Grunde liegende nationale Idee.
Ein rettender Adelsbrief. In den Erinnerungen eines russischen Publicisten von Fr. Meyer von Waldeck (Nr. 47, 1876 unseres Blattes) wurden einige interessante Aufschlüsse über die Hindernisse mitgetheilt, welche der Verlobung des Generals Todtleben entgegenstanden. Zur Ergänzung derselben mögen noch folgende authentische Mittheilungen dienen:
Bei Professor Dr. Hermann Hauff, bekannt als Verfasser mehrerer werthvollen eigenen Schriften und als Bruder des liebenswürdigen Erzählers Wilhelm Hauff, erschienen eines Tages auf der Stuttgarter Bibliothek, bei der er angestellt war, zwei fremde Herren. Der Eine derselben stellte sich als Darmstädter Consul, Namens Hauff, vor und erbat sich Auskunft über einen Adelsbrief, der dem Vernehmen nach in älteren Zeiten der in Württemberg ansässigen Hauff’schen Familie ausgestellt worden sei und noch in deren Händen sich befinde. Professor Hauff erinnerte sich auch wirklich, bei einem Verwandten dieses Namens, allerdings in jungen Jahren, einen solchen Adelsbrief gesehen zu haben. Derselbe sei, so viel er wisse, von einem deutschen Kaiser ausgestellt worden zu Gunsten einzelner um das Kaiserhaus verdienter Glieder der Familie Hauff, die später in Württemberg sich angesiedelt und fortgeerbt haben. Allem Vermuthen nach sei die auf Pergament geschriebene Urkunde gegenwärtig im Besitz des ältesten Sohnes jenes Verwandten. Dieser, damals Pfarrer in der Nähe von Tübingen, erhielt denn auch in Folge der erhaltenen Mittheilung eine Zuschrift, worin er ersucht wurde, den Adelsbrief, falls derselbe in seinen Händen sei, dem Herrn Consul Hauff auf einige Wochen zur Verfügung zu stellen, um mittelst desselben ein Hinderniß der Heirath seiner Tochter mit General Todtleben aus dem Wege zu räumen. Kaiser Nicolaus wolle die Verheirathung der Verlobten nicht gestatten, weil seine Tochter von bürgerlicher Herkunft sei.
Dem höflichen Ansuchen wurde bereitwilligst entsprochen, die Urkunde eingeschickt, höchsten Orts vorgelegt und echt und völlig ausreichend befunden. Nach Monatsfrist erhielt der Eigenthümer derselben das Actenstück mit entsprechender Dankbezeugung zurück. Beigelegt war ein Exemplar der russischen „Staatszeitung“, worin ein kaiserlicher Erlaß zu lesen war des Inhalts: „Da urkundlich nachgewiesen sei, daß die Tochter des darmstädtischen Consuls Hauff von altadeligem Geschlecht abstamme, stehe deren Verheirathung mit General Todtleben nichts mehr im Wege.“
Herrn L. Maison in Milwaukee. Also selbst in Amerika wird diese Frage aufgeworfen? Die Antwort ist einfach: Der Redacteur der „Gegenwart“ kann mit Dingelstedt von sich sagen: „Ich bin kein Jude, – leider nicht! – sonst hätte ich es weiter gebracht.“ Er selbst hat dies gelegentlich öffentlich ausgesprochen, und zwar schon in seinem ersten Buche, in welchem er in Heine’schen Versen eine Reise durch Venetien schildert. Er theilt da eine Unterredung mit einem österreichischen Paßbeamten mit, in welchem er ausdrücklich erklärt, daß „protestantisches Pastorblut in ihm riesele“.
Als Lindau wegen Veröffentlichung des bekannten Scherr’schen Aufsatzes verurtheilt wurde, hob das Obertribunal als besonders gravirend hervor, daß das Christenthum, „zu welchem Angeklagter sich selbst bekenne“, hier durch einen Christen gelästert sei. Darauf bezog sich auch Lindau in einer Polemik, die er mit einem ultramontanen Blatte hatte; bei dieser Gelegenheit wurde er wiederum als Jude heftig angegriffen, und er entgegnete darauf in Nr. 22 des siebenten Bandes der „Gegenwart“:
„Der Redacteur der ‚Gegenwart‘ ist zufällig kein Jude, weder ein geborener, noch ein getaufter, noch ein gelernter; wenn er es auch nicht liebt, von seinem unverdienten Christenthume öffentlichen Gebrauch zu machen. Es ist ein Verhängniß! Hier, wie in vielen früheren Fällen, wird von unsern publicistischen Gegnern als letzter Trumpf, der unsere Partie unrettbar verloren macht, das Judenthum gegen mich ausgespielt, während in dem Erkenntniß des Obertribunals als Motiv für scharfe Bestrafung hervorgehoben wurde, daß der Redacteur der ‚Gegenwart‘ sich selbst zu dem christlichen Gotte, der in dem von ihm geleiteten Blatte gelästert worden sei, bekenne. Es ist, wie gesagt, eine verzwickte Geschichte. Als Jude wird der Redacteur verbrannt – und als Christ auch.“
Uebrigens ist der Irrthum über das Bekenntniß Lindau’s ein sehr verbreiteter, und er selbst erzählte uns gelegentlich eine lustige Geschichte. Er fuhr auf der Bahn mit zwei Herren, die Lindau persönlich nicht kannten. Der eine derselben behauptete, Lindau sei ein Jude, der andere, er sei ein Christ; da rief der Erste aus: „Lindau heißt er; krause Haare hat er; Schriftsteller ist er. – Ist ein Jüd!“
A. B. in R. Wenn Sie uns als etwas ganz Besonderes mittheilen, daß in den amerikanischen Hinterwäldern in irgend einer neuen Ansiedelung Jemand eine Zeitung herausgiebt und dabei auf seine eigene persönliche Kraft angewiesen ist, indem er sie allein redigirt, setzt, druckt und vertreibt, so erwidern wir Ihnen darauf: Sie brauchen nicht in die transatlantische Wildniß zu gehen, um solche publicistische Wunder anzustaunen, Sie können solche vielmehr mitten im Herzen von Deutschland jeden Tag leibhaftig vor sich sehen. Der Besitzer und Redacteur des in den anhaltischen Landen viel gelesenen und stark verbreiteten „Bernburger Wochenblattes“, Herr Alexander Meyer, vollbringt seit wer weiß wie langer Zeit dasselbe, wie jener mythische Hinterwäldler, nur daß er dessen Leistungen insofern noch bei Weitem übertrifft, als er seine Artikel, gleichviel ob leitende, kritisirende oder referirende, nicht erst niederschreibt, sondern – wir bürgen für die Wahrheit – gleich aus dem Kopfe setzt. Herr Meyer kennt und schreibt kein Manuscript. Die bleiernen Lettern vertreten bei ihm die Stelle der Feder, und statt der Tinte bedient er sich gleich der Druckerschwärze.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_292.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)