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Seite:Die Gartenlaube (1877) 219.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Bismarck in Volkssprüchen und Volkspoesie.
Von Fedor von Köppen.


Es ist erklärlich, daß der Mann, welcher das Hoffen und Träumen der deutschen Nation verwirklicht hat, in der Volkspoesie viel gefeiert wird. Dichter aus den verschiedensten Gegenden des Reiches haben ihrer patriotischen Freude über die Wiedererhebung unsers großen gemeinsamen Vaterlandes in schwungvollen Strophen an den Neubegründer deutscher Macht und Einheit Ausdruck gegeben; wir nennen Rudolf Gottschall, den Verfasser der preisgekrönten Bismarck-Hymne, Emanuel Geibel, Wolfgang Müller von Königswinter, Oskar von Redwitz, Hans Köster, Gustav Schwetschke, den humoristischen Sänger der „Bismarckias“ und „Varzinias“, ferner Julius Sturm, Georg Hesekiel und Ludwig Eichrodt. Neben ihren Dichtungen, welche bereits größtentheils durch die Presse Verbreitung fanden, haben auch die Gelegenheitsgedichte und Festgrüße Solcher, die auf den Namen von Dichtern sonst keinen Anspruch erheben und sich nur von ihrer warmen Verehrung für den Kanzler zu poetischen Herzensergüssen fortreißen ließen, als Zeugnisse für die Stimmung im Volke Interesse und Werth.

Seit seinen ersten Erfolgen in der Staatskunst ist Bismarck der vielbesungene und vielgefeierte Mann des Volkes. Schon sein Name ward im Volksmunde auf mannigfache Weise gedeutet, denn „Bismarck“ – so erklärt man – ist der Mann von „Doppel-Marke“ (bis, zweimal, doppelt) „und folglich ist er auch der Doppelt-Starke“, er ist der Mann, der nicht eher ruht, als „bis Mark“ alle Aeste und Zweige unseres Volksthums durchdringt. Anderer Deutung unterliegt das Bismarck’sche Wappen, bekanntlich ein dreiblättriges rundes Kleeblatt, unter welchem in den drei Winkeln längliche Eichenblätter hervorschauen. Im Volke werden die runden Blätter öfters für Wegekraut, die langen zackigen für Nesseln angesehen. Auf diese Weise erklärt es sich, daß ein Ehrendegen Bismarck’s, die Gabe von Coblenzer Verehrern aus der Conflictzeit, auf einer Seite der Klinge die Inschrift zeigt:

„Das Wegekraut sollst stehen la’n –
Hüt’ Dich, Junge, sind Nesseln dran!“

Der Wappenspruch: „In trinitate robur“ (In der Dreieinheit Kraft) wird in sinniger Weise in Beziehung gebracht zu den drei Genossen Bismarck, Moltke und Roon, die im Feuer der Schlacht aus echtem Golde die Reifen der Kaiserkrone geschmiedet.

Bekannt ist das altmärkische Bauernsprüchwort: „Noch lange nicht genug! sagt Bismarck“; es findet eine treffliche Anwendung auf den Mann, der unermüdlich und rastlos von dem kaum erreichten Ziele zu dem nächsten, noch höhern vorwärts strebt.

Es erscheint als eine Ironie der Geschichte, daß in dem Geburtsjahre des Deutschen Bundes zugleich der Mann geboren wurde, der berufen war, ihm dereinst das Lebenslicht auszublasen, daß zu der nämlichen Zeit, als auf dem Wiener Congresse von den Diplomaten Europas eine Fülle „schätzbaren Materials“ in gewaltigen Actenstößen aufgespeichert wurde, in dem stillen Winkel der Altmark derjenige Staatsmann das Licht der Welt erblickte, der in der alten Rumpelkammer der Cabinetspolitik so gründlich aufräumen sollte. Sein Geburtstag gereicht jetzt allen Denen zum Troste, die es für eine böse Vorbedeutung ansahen, gleich ihm das Licht der Welt an dem Tage erblickt zu haben, an dem man nach altem Scherzgebrauche die Leute in den April zu schicken pflegt. Bismarck ließ sich nicht in den April schicken, wohl aber passirte dies Vielen, die sich nach seinem ersten öffentlichen Auftreten im Staatsleben so gründlich in ihm verrechneten und die in ihm, nachdem er bereits den Gesandtschaftsposten zu Frankfurt am Main, sowie diejenigen zu Petersburg und Paris bekleidet hatte, nur den brandenburgischen Junker zu erblicken glaubten. Recht artig klingt ein kleines Epigramm „an Deutschland zum 1. April“ (von C. v. H. U. in Stuttgart):

„Sei Deines Kanzlers froh,
Der heut’ die Welt erblickt,
Und werde stets nur so
In den April geschickt!“ –

Die Fluth der Geburtstagsgedichte, die an diesem Tage aus allen Theilen des Reiches, sowie auch aus dem Auslande – aus Rußland, Schweden, England und Italien – im Bureau des Reichskanzlers eingehen, ist von Jahr zu Jahr gestiegen und hat an seinem sechszigsten Geburtstage eine vollständige Ueberschwemmung hervorgerufen. Einige sind von solcher Länge, daß die Verfasser beim deutschen Reichskanzler einen großen Ueberfluß an Zeit vorauszusetzen scheinen, wenn sie erwarten, daß er sie lesen soll; andere sind aber auch klein und niedlich, sodaß wir nicht umhin können, von den letzteren einige Proben hier mitzutheilen.

Wir finden darunter auch solche von Aerzten, welche dem Kanzler in launigem Tone poetische Recepte verschreiben, so von Dr. S. aus Osterode am Harze:

„An Vagabunden, schlechten Musikanten,
An saurem Bier und todten Speculanten,
An Liebesunglück, bösen Schwiegermüttern,
An Frost und Dürre, tobenden Gewittern, –
An Allem ist nur schuld der einz’ge Mann,
Bismarck, der alles Böse will und kann.
– Also die Heuler! Doch wir Gratulanten
Beschauen uns den Herrn von allen Kanten
Und seh’n: das Schlechte an ihm ohne Zweifel
Ist nur sein Rhevma, – hole es der Teufel!“

Auch an politischen Rathschlägen sehr verschiedener Art fehlt es dem Kanzler nicht. In einem Briefe von zarter Damenhand (1866) wird er beschworen, „um Gottes willen das geliebte Herzogthum Nassau nicht zu vertilgen und den Thron des Herzogs Adolf bestehen zu lassen“, und ihm dafür der Segen Gottes und der Dank der Verfasserin verheißen. Ein „patriotischer Deutscher“ aus Moskau schlägt ihm dagegen vor, aus ganz Deutschland eine Republik zu machen und sich als Präsident an ihre Spitze zu stellen; „dann,“ so schließt der Verfasser, „wirst Du ewig ein großer Mann bleiben.“ Auch im „Uelzener Kreisblatt“ (17. Juli 1867) wird von einem plattdeutschen Dichter, Hartwig S., zu einer Radicalcur gerathen:

„Schaff Preußen af, striek Preußen ut,
Lösch Baiern, Schwaben, Franken,
Stell Dütschland her! – dann ward Di luut
De dütschen Völker danken.

De dütsche Kraft, brickt de mal los,
Lett de ’n Hurrah erschallen,
Un wi de Muren Jerichos
Ward jedes Bollwerk fallen.

Richt wedder up den Kaiserthron,
De swart-roth-goldnen Farben!
Dann warst Du, Dütschlands echter Sohn,
Den höchsten Ruhm erwarben.

Up Wilhelm’s Haupt de Kaiserkron,
De ward so swer nich drücken,
Denn mag Dick gern als Ehrenlohn
De Herzogsmantel schmücken etc.“

Bismarck’s eigenthümliche Haartracht ist durch die Gelehrten und Zeichner des „Kladderadatsch“ so populär geworden, daß die Nachricht, er wolle aus Gesundheitsrücksichten in Zukunft eine Haartour tragen, unter seinen Anhängern fast wehmüthige Gefühle erregte.

Dr. R. in Hettstädt sucht sich über die dem Kanzler verordnete Perrücke zu trösten:

„Wat, sei willn Di ne Paruck upstülpen?
Na, wenn sei man wull upstunns[1] ok hülpen
Un gegen dat sakresche Podagra nützen!
De Kopp bliww doch Bismarck’sch, ok unner de Mützen,
Denkt doch allepot wat Drihäriget ut
Gegen de swarze un rode un wälsche Brut.
Gott schenk Di Gesundheit, min leiwe Fürst,
Dat Du wedder de markige Bismarck wirst!“

Rührend klingt der Glückwunsch eines bairischen Citherschlägers aus Augsburg:

„Du hast uns Boarn net verlossen,
A oanzigs Deutschland aufgebaut.
Wer konnt’ als Boar Di jetzt hoffen,
Wo findt mer den, der Dir net traut? –
Nimm diese Landler as a Gabe
Von anem Cithernschlager an,
I gieb Dir Alles, was i habe
Und was i z’sammenstoppeln kann.
Bleib viele Jahr noch Deutschlands Zier
Mit Deinem Kaiser für und für!“

  1. Auf die Stunde, sogleich.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_219.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)