Verschiedene: Die Gartenlaube (1877) | |
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Mit vollem Rechte führt man die zorn- und geräuschvolle Arbeiterbewegung in unserm heutigen Deutschland auf Ferdinand Lassalle als auf ihren Urheber und Stifter zurück. Mit vollem Grunde aber bricht immer mehr die Erkenntniß sich Bahn, daß diese Bewegung nur ein dürftiger Schatten, ja in wesentlichen Punkten eine entschiedene Abweichung vom Geiste und den Plänen des Mannes ist, der sie entzündet und zur Flamme angeblasen hat. Nur ein winziges Fähnlein der jetzigen Socialisten-Partei feiert auch in Lassalle noch den Propheten und Meister. Seinen Nachfolgern in der Irreführung der Arbeiter ist es gelungen, ihn allmählich von der Bildfläche zu wischen, auf der sie allein stehen und gelten wollen. Es lag aber im Blute und in dem ganzen Verhängniß seines Lebens, daß es mit flammender und brausender Hast geführt wurde und so auch den denkenden Zeitgenossen erst einen gesammelten Ueberblick ermöglichte, als es längst an ihnen vorübergestürmt war. Nun erst erkannte hier die leidenschaftslosere Prüfung viel deutlicher als vorher, daß es bei Lassalle eine zwar aus der Art seiner Natur entsprießende, aber doch immerhin nur eine Abirrung von einer viel höheren Bestimmung gewesen, die ihn auf den Weg des Agitators gedrängt und aus dem Agitator zuletzt einen aufwieglerischen Demagogen gemacht hatte. Denn hinter und in dieser Verirrung fand man den stark über dieselbe hinausleuchtenden Glanz eines echten Kernes: einen merkwürdigen, Menschen und hochinteressanten Charakter, einen sehr bedeutenden Denker, Schriftsteller und Redner. So ist Lassalle mehrfach schon gewürdigt und so ist er neuerdings von dem Dänen Georg Brandes in der brillanten Manier dieses cultur- und literargeschichtlichen Schilderers gezeichnet worden („Ferdinand Lassalle. Ein biographisches Charakterbild. Berlin, Franz Duncker“).
Wir sind nun freilich unsererseits nicht in der Lage, von Lassalle wie von einem der Helden unseres Jahrhunderts zu reden, wenn wir ihm auch nicht absprechen mögen, daß er das Zeug zu einer solchen Rolle in sich getragen hat. Es braucht aber eine Persönlichkeit noch nicht jenen höchsten aller Namen zu verdienen, um doch als bedeutsam zu Lob und zu Tadel, als Muster wie als Beispiel unserer Theilnahme sich nahe zu legen. Die „Gartenlaube“ hat sich bisher mit dem Stifter der Socialdemokratie wenig befaßt, weil im Handgemenge brennender Parteikämpfe das Urtheil über ihn noch ein schwankendes war. Erst jetzt, wo ein minder durch den Parteien Gunst und Ungunst gefärbtes Bild von ihm gewonnen ist, glauben wir verpflichtet zu sein, auf Grund der oben genannten Schilderungen und unserer eigenen Ueberzeugungen einige Züge aus diesem Leben hier vorzuführen.
Das freundliche und geistesbewegte Schlesierland, das unserer neueren Literatur und Publicistik so viele regsame und hervorragende Kräfte zugeführt, ist bekanntlich auch die Heimath Lassalle’s gewesen. In Breslau ist er als Sohn eines jüdischen Hauses geboren worden. Sein Vater, ein wohlhabender, als brav und redlich gerühmter Kaufmann, hatte ihn für den Handelsstand bestimmt. Aber schon auf der Handelsschule in Leipzig zeigte sich seine vollständige Untauglichkeit für diesen Beruf, und man ließ ihn zur Vorbereitung auf die Universitätsstudien nach Breslau zurückkehren. Das Verhältnis zwischen ihm und den Seinigen war ein sehr inniges; sein ganzes Leben hindurch hat er für seine Eltern die liebevollste Treue bewahrt, und bemerkenswerth blieb namentlich die Schwärmerei der Mutter für diesen Sohn. Schon in seinem Knabenalter verrieth sich aber das, was er selber später seine „Frechheit“ nannte; er war ein recht vorlauter und naseweiser Junge. Ein Drang zum Widerstande, eine Begierde nach Geltung und Ueberwindung von Hindernissen wurde frühe an ihm bemerkt. Schon in seinem sechszehnten Jahre warf er sich in einer den häuslichen Frieden störenden Angelegenheit zum Familienhaupt auf, trat Eltern und Geschwistern gebieterisch gegenüber und ordnete durch sein energisches Verhalten eine schwierige Sache.
Dieser Willensstärke stand aber eben so frühe ein ausdauernder Wissenstrieb und eine überraschende wissenschaftliche Befähigung zur Seite. Von seiner Begeisterung für das classische Alterthum getrieben, studirte Lassalle auf den Universitäten Breslau und Berlin Philologie und Hegel’sche Philosophie, deren dialektische Methode er mit Eifer und Entzücken sich aneignete. Gleichzeitig sog er die auf eine nothwendige Umwälzung des Staats- und Gesellschaftswesens hinzielenden Ideen des jungen Deutschland und des aus der Hegel’schen Schule hervorgegangenen kritischen Radicalismus ein. Alle, die ihm damals näher getreten, erhielten den Eindruck, daß dieser Mensch nicht für irgend eine Unterordnung, sondern zur Macht geschaffen und von der Natur zu einem Herrscher gestempelt sei. Ein Dichter, der ihn nur ein einziges Mal in einem Concert gesehen, sagte zu Brandes: „Er sah aus wie lauter Trotz, aber auf seiner Stirn lag eine solche Thatkraft, daß es Einen nicht hätte wundern mögen, wenn er sich einen Thron erobert hätte.“ Da ihn das Geschick aber nicht zu einem Prinzen und Aristokraten gemacht, da er als ein Kind des Mittelstandes und eines noch vielfach zurückgesetzten Stammes geboren war, so führte ihn seine geistige Ueberlegenheit in den Kampf gegen das Vorrecht: er wurde ein demokratisch gerichteter Denker. Zunächst zeigte er in seinen akademischen Studien seine Anlage zur Meisterschaft. Auf dem Gebiete der Sprach- und Alterthumskunde legte er so ungewöhnliche Gaben an den Tag, daß Männer wie Bökh und Alexander von Humboldt dem „Wunderkinde“ – so nannte ihn Humboldt – eine glänzende Zukunft verhießen. Nach seinem Abgange von der Universität lebte er sodann als unabhängiger Privatmann am Rhein und gab sich in Düsseldorf und während eines Aufenthaltes in Paris (1845) unausgesetzt dem Studium der griechischen Philologie und Philosophie hin.
In Paris kam der damals zwanzigjährige Lassalle auch in nahe Beziehungen zu Heinrich Heine, und man bekommt schon Respect vor der Genialität des jungen Studenten, wenn man sieht, wie er den Aristophanes seines Zeitalters für sich einnimmt, der doch wahrlich so leicht nicht geblendet werden konnte. Ganz eigenthümlich aber berührt uns auch der Scharfblick, mit welchem der Dichter über den Landsmann sich äußerte, der ihm an Geist und Erfahrung doch noch wie ein Kind erscheinen mußte. Mit seiner mehrfach bewiesenen Energie hatte dieses Kind dem kranken und verlassenen Dichter in seinem Erbschaftsstreite offenbar einen durchgreifenden und erfolgreichen Beistand geleistet; denn in seinen Briefen nennt ihn Heine stets seinen „liebsten, theuren Freund“, seinen „theuersten Waffenbruder“, und schreibt unter Anderm: „Noch nie hat Jemand so viel für mich gethan. Auch habe ich noch bei Niemand so viel Passion und Verstandeskraft vereinigt im Handeln gefunden. Wohl haben Sie das Recht, frech zu sein, wir Andern usurpiren blos dieses himmlische Privilegium. In Vergleichung mit Ihnen bin ich doch nur eine bescheidene Fliege.“ Und an einer andern Stelle: „Leben Sie wohl, und seien Sie überzeugt, daß ich Sie unaussprechlich liebe! Wie freut es mich, daß ich mich nicht in Ihnen geirrt; aber auch Niemandem habe ich je so viel getraut, ich, der ich so mißtrauisch durch Erfahrung, nicht durch Natur. Seit ich Briefe von Ihnen erhielt, schwillt mir der Muth und ich befinde mich besser.“
Das sind eingestreute Aeußerungen, glücklicher Weise aber haben wir in einem Briefe Heine’s an Varnhagen vom 3. Januar 1846 eine vollständige Charakteristik des jungen Ferdinand Lassalle, in der es heißt: „Mein Freund, Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben: mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größten Scharfsinne, der mir je vorgekommen, mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens und eine Habilité im Handeln, die mich in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlischt, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung. Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgeprägter Sohn der neuen Zeit, die nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder heuchlerisch in unserer Zeit hindurchgelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demütig vor dem unsichtbaren,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_067.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)