Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1877) 040.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Behälter zu Grunde, der dritte aber erfreut sich seit seiner Ankunft eines ungetrübten Wohlseins und wird wohl noch lange Zeit fortfahren, das interessanteste Schaustück des auch sonst sehr sehenswerthen New-Yorker Aquariums zu bleiben.H. Dorner in New-York.     


Sonntagszwang. Niemand hindert bekanntlich die pietistischen Geistlichen, den Sonntag mit ihren Betbrüdern und Betschwestern ganz so muckerhaft zu feiern, wie es ihnen beliebt. Niemand auch wehrt es ihnen, Propaganda zu machen und der Art ihrer Sonntagsfeier so viele Liebhaber zu gewinnen, wie sich finden lassen wollen. Wenn sie aber, ihrer dreisten und herrschsüchtigen Art zufolge, auch in diesem wie in jedem anderen Punkte ihre specielle Ansicht zu einer Richtschnur der Gesammtheit machen und als die allein berechtigte allen anderen Menschen aufzwingen möchten, so werden wir bei Zeiten gegen eine solche Absicht uns verwahren müssen. Bedanken wird sich unstreitig Jeder dafür, dem seine freie Bewegung noch irgend lieb ist und der dem Volke den Weg zu edler und würdiger Gestaltung der Sonntagsfreude nicht durch die finsteren Machtgebote einer einseitigen kirchlichen Richtung verlegt sehen will. Seitens der pietistischen Partei werden aber in der That seit längerer Zeit Anstrengungen gemacht, uns von ihren Bet- und Bibelstunden aus mit einer Abart des öden und freudenlosen puritanisch-englischen Sonntags zu beglücken, der bekanntlich die unschuldigsten Zerstreuungen verbietet und dem bis zur Verzweiflung gelangweilten Menschen nur noch den Gang in die Kirche offen läßt.

Der Hauptsache nach soll der Zweck durch das Mittel des staatlich-gesetzlichen Zwanges erreicht werden, und eine entschiedene Bewegung dafür ist im Gange. Es wäre gut, wenn dieselbe nicht gänzlich unterschätzt würde. Denn durch ihre Stimmenmehrheit in den deutschen Kirchensynoden haben die orthodox-pietistischen Theologen wieder eine gewisse Art von Einfluß erlangt, wie sie überhaupt an mächtigen Stellen starke Reste eines geheimen Einflusses sich zu wahren wußten. Schon sind in der genannten Hinsicht laute Klagerufe und leise Wünsche an den deutschen Reichstag gerichtet worden, und in Genf hat sich kürzlich eine Anzahl orthodoxer Zionswächter zu einem internationalen, auch von deutscher Seite her besuchten Congreß für bessere „Sonntagsheiligung“ versammelt, auf dem der pietistische Wortführer Naville gelassen und ohne Widerspruch der Versammelten das erstaunliche Wort ausgesprochen hat, daß die Aufgabe des Sonntags „der Kampf gegen den Unglauben an den lebendigen Gott und an – die leibliche Auferstehung Jesu“ sei.

Zu einer so geistlosen Dürre und Verkrüppelung schrumpft eine Angelegenheit der socialen Gesammtheit, eine große Volks- und Menschheitsfrage, wie es die Erholungsfreude des Sonntags ist, in den Seelen dieser engen und verblendeten Parteimenschen zusammen. Für uns Alle soll der wöchentliche Ruhetag so hergerichtet werden, damit wir bequemer zu Pietisten gemacht und zum Glauben an die Satzungen der Orthodoxen bekehrt werden können. Glücklicher Weise ist in der gesunden Mehrheit des Volkes nicht das geringste Verständnis für das Kauderwelsch dieses Standpunktes und seiner Sprache vorhanden, und besonders willkommen muß es auch geheißen werden, daß sich in der Kirche selber eine sehr entschiedene Opposition gegen alle Vermuckerung der Religion und des Lebens zu regen beginnt. In Berlin muß wohl als Lobredner des Genfer Congresses jener Hofprediger Baur aufgetreten sein, der im vorigen Jahre dem Humbug der reisenden amerikanischen Betvirtuosen so begeisterungsvoll das Wort geredet hat. Denn an diesen Collegen bei der Hofkirche hat soeben ein bejahrter Geistlicher der Hauptstadt, der hochangesehene und freisinnige Pastor Dr. Hoßbach ein offenes Sendschreiben gerichtet, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.

„Was,“ so schreibt Pastor Hoßbach, „was hat die brennende und trennende, die Gemüther erhitzende Frage der leiblichen Auferstehung Jesu mit den vorwiegend auf Erzielung der Ruhe gerichteten Bestrebungen für die Sonntagsfeier zu thun? Mir scheint es für eine würdige Feier des Sonntags und für das Gesammtwohl des Volkes dringend nöthig, wenn unser Volk den Sonntag nicht blos zu religiöser Feier, auch nicht einmal vorwiegend zu ihr, sondern zu allen Erquickungen des Leibes und des Geistes, zu Vergnügungen und Geselligkeit, zum Besuche des Schauspiels und der Concerte benutzt, kurz zu Allem, was sittlich erlaubt ist und was die nicht mit Arbeit überladenen Bürger ohne Sünde in der Woche sich erlauben. Sie dagegen muthen unserem Volke zu, auf das Meiste davon Verzicht zu leisten, aber darum so leichten Herzens, weil Sie auf einem Standpunkte stehen, der jene (weltlichen) Momente über Gebühr gering schätzt. Ich fürchte, daß dadurch der Sonntag für unser Volk aus einem Tage der Freude zu einem Tage der Qual wird.“ Die schwarze Theologenpartei hat das Ansehen der Geistlichkeit so geschädigt, daß es bei Vielen schon Verwunderung erregt, wenn ein Geistlicher heute noch so vernünftig über eine selbstverständliche Sache zu urtheilen vermag. Wir aber wissen, daß Herr Hoßbach doch nur im Sinne vieler geistlicher Amtsgenossen gesprochen hat.


Aus dem großen Reiche der Dummheit. Vor einigen Tagen – so schreibt man uns – starb mein acht Wochen alter Knabe. Abends vor seinem Tode kommt eine ältere Frau, welche oben im Hause wohnt, herab und fragt mich nach dem Befinden des Kleinen. Ich entgegne ihr, daß der Arzt erklärt habe, das Kind werde sterben. Nachdenklich sah sie vor sich hin und sagte dann ziemlich bestimmt: „Ihr Kind ist beschrieen.“ Obgleich ich sonst nicht bösartig bin, platzte mir’s doch heraus: „Und bei Ihnen ist’s wohl im Oberstübchen nicht richtig.“ – Nachdem am nächsten Morgen der Tod des Kindes erfolgt war und kurz darauf die Leichenwäscherin ihre Funktionen verrichtete, äußerte dieselbe gutmüthig gegen mich: „Sie brauchen sich nicht so zu grämen; das Kind hatte ‚das Alter‘; sie konnten ihm nicht helfen.“ Befremdet über diesen Ausspruch, sagte ich, daß ich das Kind älter gewünscht hätte, vielleicht fünfzig bis sechszig Jahre und darüber, worauf sie lächelnd erwiderte: „Ja, sähn se, wer das nich kennt, der weeß es nich, aber sähn se, ich habe als Leichenwäscherin gestudirt, und ich kenne das gleich. Sähn se, Sie hätten, wenn Sie es eben von vornherein gewußt hätten und das Kind behalten wollten, dasselbe in ein ganz reines weißes Bettchen und in ganz reine weiße Windeln legen müssen. Dann mußten Sie mit Ihrer Frau und dem Kinde zum Bäcker gehen, dort sich rechts und Ihre Frau links vor die Mündung des Backofens stellen. Hierauf mußten Sie das Kind im Bettchen auf den Brodschieber legen, denselben rechts in den Ofen hineinschieben und dabei sprechen: ‚Alt schiebe ich dich hinein, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes † † †‘, dann nach links schwenken und Ihrer Frau den Schieber in die Hand geben, welche denselben links herausziehen und dabei sprechen mußte: ‚Jung ziehe ich dich heraus, im Namen Gottes etc. † † †.‘ Ihr Kind war dann gesund und konnte nun sehr alt werden.“

Mir wurde sehr warm dabei, ich drehte mich aber um und ging weg. Nachmittags hatte ich in einem Restaurant einen Geschäftsfreund zu sprechen und erzählte diesem und dem anwesenden Wirthe schließlich diese Geschichte. Sie schüttelten die Köpfe. Die mitanwesende Haushälterin aber sagte darauf: „Glauben Sie, dieselbe Geschichte hat meine ältere Schwester wirklich durchgemacht, doch war es nicht des ‚Alters‘, sondern der ‚Mitesser‘ wegen. Meine Schwester war sechs Wochen alt, als die Hauswirthin, die zugleich Pathe des Kindes war, eines schönen Tages meiner damals einundzwanzig Jahre alten Mutter sagt: ‚Sie haben ja das Mädchen noch nicht gegen Mitesser geschützt. Es muß in den Backofen.‘ Die Mutter will aber davon nichts wissen. Vierzehn Tage später erscheint Vormittags die erwähnte Hauswirthin in unserer Stube, als meine Mutter einen Augenblick dieselbe verlassen hat, nimmt das Kind aus der Wiege, steckt es in den ‚ausgebackenen‘ Backofen, macht die vorhin schon beschriebene Procedur mit demselben durch, welche nur insofern anders ist, als sie dabei sagt: ‚Mit Mitessern schiebe ich Dich ein im Namen Gottes etc. † † † und ohne Mitesser ziehe ich Dich heraus im Namen Gottes etc.‘ Darauf trägt sie das Kind der schon suchenden Mutter zurück und versichert derselben, daß das Mädchen jetzt gegen Mitesser gesichert sei.“ Merkwürdig aber sei es, so sagt die Haushälterin, daß ihre Schwester bis jetzt – sie ist fast dreißig Jahre – so von Mitessern geplagt sei, wie wohl selten Jemand; sie sei so ‚schwarzstippelich‘, wie so ein Bild (sie zeigte auf einen Stahlstich).

Soeben erfahre ich von meinem Hauswirthe, daß die zuerst erwähnte alte Frau jetzt sehr beruhigt ist, nun mein Kind gestorben, denn es wäre das dritte Todte im neuen Hause. In jedem neuen Hause müßten, wenn der erste Miether, bald nachdem er eingezogen sei, einen Todesfall habe, noch zwei Personen sterben, weil das einmal so sei, und hier träfe es ja auch zu. (Stimmt.) Die andere Frau, welche noch oben wohnt, hätte schon eine Zeitlang Angst um ihren Mann gehabt; er sei kränklich gewesen, und sie habe geglaubt, er werde der „Dritte“ werden. W.     


„Zoolyrische Ergüsse“ ist der glücklich gewählte Titel einer humoristischen Liedersammlung von Richard Schmidt–Cabanis (Berlin, Denike’s Verlag), welche Gustav Mützel mit einunddreißig Illustrationen geschmückt hat. Die Thierwelt wird lyrisch mobil gemacht – das ist ein Gedanke, der zwar nicht originell ist und an die bändereiche Fibelliteratur erinnert, aber wie hier dem oft behandelten Thema neue und pikante Seiten abgewonnen werden, das ist es, was der Sammlung ihre Berechtigung und einen gewissen, wenn auch nur vorübergehenden Werth verleiht. Es ist viel Tendenz in diesen „Zoolyrischen Ergüssen“. Aus den scheinbar so harmlosen Liederstrophen unseres Poeten, welche übrigens, nebenbei bemerkt, poetisch betrachtet, recht ungleiche Rangstufen einnehmen, guckt fast überall die Tatze des Satirikers heraus, welcher bald mit einem bärenhaft derben Schlage einem modernen Gerngroß den Garaus macht, bald mittelst einer löwenartig graciösen Ohrfeige ein Schooßkind der Zeit bei Seite taumeln läßt. Es sind neben allgemein hervorstechenden Schwächen und Verirrungen unserer Tage einige Coterien in Politik und Gesellschaft, in Kunst und Wissenschaft, welche hier theils im Allgemeinen, theils in ihren bekanntesten Trägern von dem Verfasser der Lächerlichkeit preisgegeben werden; wir erinnern nur an den „Gesang der Trichinen über den Würsten“, in welchem unsere liebe Clerisei gekennzeichnet wird, und an das komisch schwungvolle Lied „Meister Pfau“, das auf Richard Wagner und seine Schleppenträger gemünzt ist. Und bei diesen poetischen Standgerichten sieht sich unser Dichter auf das Wirkungsvollste unterstützt durch die wackere Mithülfe seines mit dem Griffel bewährten Collegen; denn die Mützel’schen Illustrationen, welche oft äußerst witzig gedacht und meistens sehr effectvoll ausgeführt sind, leihen dem Ganzen erst die rechte Plastik und Anschaulichkeit. Dichter und Zeichner haben sich hier zu einer humoristischen Schöpfung die Hand gereicht, welche, wie sie nunmehr vollendet vor uns steht, einen fast durchweg harmonischen Eindruck macht.


Unserem heutigen Kanossa-Artikel geben wir das bekannte Plüddemann’sche Bild, welches wir vor langen Jahren unseren Lesern bereits vorführten, noch einmal bei und zwar in einem verbesserten Schnitte. Wir ließen uns hierbei von der Voraussetzung leiten, daß das in Gegenstand und Durchführung gleich interessante historische Gemälde in dieser Zeit der Erinnerung an die Tage von Kanossa eine nicht unwillkommene Illustration zu dem trefflichen Scherr’schen Artikel abgeben dürfte.



Kleiner Briefkasten.

K. E. in L. Allerdings ist Louis Schubert in Dresden der Verfasser des in Nr. 52 vorigen Jahrgangs abgedruckten Artikels „Die Singtyrannen der Gegenwart“.

Lud. in W. Sie schreiben bei Uebersendung Ihrer Poesien: „Doch diese Qual preßt mir aus dem Herzen Lieder, die ich anbete und liebe!“ Sie werden auch der Einzige bleiben, der sie anbetet.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 040. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_040.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)