Die Krone Deutschlands im Staube
Die Krone Deutschlands im Staube.
Es war ein trüber Novembertag des Jahres 1076, als aus den Thoren der glänzenden Reichs- und Krönungsstadt Speyer ein stiller Mann zog, begleitet von Weib und Kind und nur einem treuen Freund, dem just auch nicht die Freude auf dem Gesichte lag. Still und fast heimlich zogen die trüben Leute hin durch die deutschen Gauen, über die Schweizer Grenze, hinauf zu den schwindelnden Steigen des St. Gotthard, gefolgt von Spähern und Feinden, die nichts Gutes im Sinne hatten. Der Winter hatte alle seine Schrecknisse über die Alpenwelt ausgebreitet, kaum der Waidmann beschritt zur verwegenen Lust die Höhen, und hier theilte ein zartes Weib, ein Kind sogar die unsäglichen Beschwerden der Alpenfahrt in heiliger Weihnachtszeit. Oft waren die Männer genöthigt auf allen Vieren die Tod drohenden Pfade dahinzukriechen, oft mußten Weib und Kind auf Ochsenhäuten über die Eisflächen geschleift werden, um die ungeheuere Mühsal zu bestehen. Es war eine Fahrt, wie sie in dieser Jahreszeit kaum dem geringsten Knechte zugemuthet wird, und doch war der stille gramgebeugte Mann, der Allen voranzog, das höchste Haupt der Christenheit, ja der Welt, der unglückliche Kaiser Heinrich IV., und das arme Weib seine edle Gemahlin, die treue Bertha mit dem einzigen Kaisersöhnlein Konrad. Ein einziger Ritter von den Tausenden, denen sonst der Kaiser gebot, war sein Begleiter, und es ist rührendschön von dem guten alten Schwaben-Chronisten Crusius, daß er behauptet, dieser einzig getreue Ritter sei Friedrich von Büren gewesen, der Stammvater der Hohenstaufen.
Wenige Wochen später, am 25. Januar 1077, sehen wir den kaiserlichen Pilger, getrennt von den Seinen, allein und waffenlos, vor dem Felsenschloß Canossa auf Einlaß harren. – Den Kaiser drückt der Bann der Kirche, und im Schlosse weilt der Papst, das Oberhaupt der Religion der Liebe.
Eine Scene folgt nun, die noch jetzt jedes deutsche Herz vor Scham und Grimm erbeben macht. Das Thor von Canossa öffnet
[245][246] sich nur, damit der Welt das Schauspiel der vollständigsten Erniedrigung eines Herrschers werde. Feierliche Buße muß der mächtigste Fürst der Christenheit thun, damit die ganze Christenheit daran das Zeichen erkenne, daß alle weltliche Macht sich demüthigen müsse vor der geistlichen Hoheit, und daß fortan selbst der Kaiser nur ein Unterthan des Papstes sei. Und damit vor der Macht des heiligen Vaters ein Schrecken über alle Könige und Fürsten komme, muß es der Kaiser sein, der von allen Bußen die härteste besteht. Aller Zeichen seiner Würde entkleidet, barfuß, im härenen Büßergewande und barhaupt führt man ihn in den mittlern Wall der Veste. Hinter ihm knarrt der Riegel, kahle Mauern umragen ihn. Ohne Obdach, unter dem Winterhimmel, ohne Speise und Trank vergeht vorn Morgen zum Abend der erste Tag der Buße. Keine menschliche Seele kümmert sich um den Dulder, denn an den Fenstern und von den Mauern herab lauscht das Mitleid nur verborgen und nur sichtbar der Hohn, denn die Kirche ist noch nicht versöhnt. Ohne Obdach, Schutz und Nahrung vergeht ihm der zweite Tag bis zur zweiten Nacht, und die heilige Mutter Kirche grollt noch immer. In grimmiger Pein des Leibes und der Seele harrt der Kaiser vom dritten Morgen an der Erlösung. Aber der Büßer ist verschwunden, es steht vor uns der Mißhandelte, der den furchtbaren Schwur der Rache gethan. Und es vergeht der dritte Tag und bricht die dritte Nacht herein. Erst am vierten Morgen findet der heilige Vater sich zur Vergebung geneigt, er läßt den Büßenden vor sich – und so stehen sich denn ein weltlicher Heuchler und ein geistlicher Tyrann gegenüber, von denen Jeder den Andern bis zum Verderben haßt, und der Papst vergiebt nun die Sünden, denen er seinen Sieg über den Kaiser verdankt.
Denn wie schwer auch gerade dieser Kaiser sich vergangen hat an den Rechten seiner Völker, wie unverzeihlich er, an dessen Erziehung sich zwei Erzbischöfe versündigten, sich selbst und alle heiligen Bande seiner Familie herabgewürdigt, wie unähnlich er seinem großen Vater und wie wenig fähig er war, die Last der Krone durch Stürme zu tragen, wie sie gegen ihn sich erhoben und wie er sie heraufbeschwor: so steht doch in der Geschichte offenbar da, daß ein Gregor VII. alle Schwächen seiner Zeitgenossen nicht mit der angemaßten Vatergewalt strafte, nur um zu bessern, sondern daß er sie nur benutzte, um sich zu erhöhen. Des Kaisers Sünden wurden die stärksten Sprossen für die Leiter seiner Ueberhebung, und die selbstische, unpatriotische Gesinnung der deutschen Fürsten war schon damals die gediegenste Waffe für den gefährlichsten Feind der Ehre, Macht und Würde Deutschlands. Es ist einer der wahrsten Aussprüche des alten Luden: „Heinrich gerieth in die Gewalt der Kirche hinein, wie der Fisch in den Hamen, und deutsche Fürsten legten das aufgezogene Netz dem Papste zu Füßen.“
Von nicht einem der deutschen Fürsten jener Zeit kann die Geschichte bezeugen, daß er in der Demüthigung des Kaisers zu Canossa eine Schändung der deutschen Krone, eine Schmach der Nation erkannt hätte. Nur ihr Vortheil war ihnen klar, und sie waren es, die den Papst baten, die Angelegenheiten Deutschlands zu regeln! – Und so haben denn die Päpste von Rom aus in Deutschland geregelt durch Concilien und Bullen, Bannstrahlen und Concordate Jahrhundert um Jahrhundert, und die Fürsten befanden sich immer wohl dabei, wie tief auch die Völker sanken und wie viele Tage von Canossa für die deutsche Krone und die deutsche Nation noch daraus hervorgingen. Sind diese Tage von Canossa für einen großen Theil von Deutschland doch noch heute nicht vorüber! –
Allerdings sind für den büßenden Kaiser auch die Vergelter aufgestanden, aber erst nach Jahrhunderten und nicht aus der Reihe der Fürsten. Die deutsche Schmach hat Luther abgewaschen, und auf der Bahn, die er dem freien deutschen Forschungsgeiste brach, hat deutsche Wissenschaft Stück um Stück vom alten Bollwerk der Papstesmacht niedergerissen. Die Wissenschaft war des deutschen Volkes einzige freie Waffe, und mit ihr errang es seine glänzendsten Siege, während die Fürsten noch lange den alten Banden huldigten. Wahre Volksbildung ist überall der Knechtschaft Ende.
Aber auch das Volk von Italien, dem der heilige Stuhl am schwersten auf dem Nacken lastete, das am bittersten unter seiner bildungsfeindlichen Gewalt leiden, am tiefsten unter ihr sinken mußte, hat endlich seinen Rächer gefunden, und es sollte ein Kind der Reformation sein, das dort den Richterspruch des Schicksals auszuführen hatte: der Waldenser Garibaldi. Sein Krieg gegen das Papstthum wird Luther’s Vergeltungswerk vollenden und glücklicher, als in Deutschland, denn das einige Italien wird nicht durch einen neuen Glaubensriß gespalten werden, es wird erringen, was er verheißen, es wird „das höchste Christenthum wiederfinden, das Egoismus und Betrug in den Schmutz gezogen hatten.“
Für die Nationalehre der Italiener sind Tage von Canossa unmöglich geworden; dagegen ruhen des Papstes Blicke am vertrauensvollsten noch heute auf Ländern desselben Deutschlands, dessen Krone zu Canossa am Boden lag.
Die deutsche Kunst hat in der Gegenwart mit der Wissenschaft die Pflicht auf sich genommen, belehrend und mahnend zum Volke zu reden, und ein neues Zeugniß dieses Strebens hat unser Künstler in dem großen Oelgemälde geliefert, nach welchem uns derselbe die Originalzeichnung zu unserm Holzschnitt mittheilte. H. Plüddemann in Dresden gehört zu den tüchtigsten, charaktervollsten Meistern dieser ehrenwerthen Kunstrichtung, dem wir diese öffentliche Anerkennung mit Freuden hier aussprechen, und dieses sein jüngstes Werk verdient von allen Kunst- und Vaterlandsfreunden besonders beachtet und gewürdigt zu werden. Das Bild – es hat eine Höhe von 8 Fuß 5 Zoll, eine Breite von 5 Fuß 6 Zoll – zeigt uns die hohe männliche Gestalt des Kaisers im braunen Büßergewand im Hofe von Canossa und vor der verschlossenen Thür zum Innern der Burg. Zu seinen Füßen liegt der blaue Kaisermantel, die rothgoldene Krone und das goldene Schwert, die Insignien seiner Würde. Der Contrast ist ergreifend, die Bedeutung klar. Grünlichgrau, unheimlich und ankältend ist das Gemäuer umher, der Fels und das Gestein des Bodens mit Schnee bedeckt. Aber Alles das vergessen wir beim Anschauen des edlen Antlitzes, das von langen braunen Locken umwallt ist. Alle Kraft liegt in den Augen, die den kochenden Groll der Seele ausdrücken; dieser Blick hat keinen Gegenstand vor sich, alle seine Strahlen sind nach innen gerichtet und irren auf finsteren Pfaden der Rache. Und oben auf der Zinne steht der Papst im Purpur, mit hämisch schielendem[WS 1] Blick, aber der sieht, er hat sein Ziel vor sich, und nur der festgeschlossene Mund spricht nach innen den Triumph aus, dessen Freude er vor der Welt nicht sehen lassen darf. Neben ihm steht die Gräfin Mathilde, hinter ihm ein Priester. Im Dunkel des Thores eine Gruppe von Knappen der Thorwacht. Nichts von all diesem Beiwerk stört, immer sucht unser Auge den Kaiser wieder und begegnet seinem furchtbaren Blick. Dieses nationale Kunstwerk verdient es, gerade in unserer Zeit des sich aufraffenden Nationalgefühls, einer öffentlichen Sammlung zur Zierde zu gereichen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: schielenden