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Seite:Die Gartenlaube (1872) 512.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und Sorge für die Förderer dieser Idee, konnte erst das vollendete Werk dem deutschen Volke übergeben werden. Die Gartenlaube hat schon verschiedentlich Veranlassung genommen, nicht nur jenes Werkes (Jahrgang 1868, Seite 668), sondern vor Allem des deutschen Mannes selbst zu gedenken, den unsere Nation zu feiern so sehr berechtigt und verpflichtet ist. Wir verweisen auf diese Mittheilungen (Jahrgang 1855, Seite 118, 1859, Seite 584) und geben heute nur eine Schilderung jenes Festes, an welchem theilzunehmen die Vertreter der deutschen Nation für eine Ehrenschuld erkannten.

Das kleine Städtchen Nassau, der Geburtsort Stein’s, ist nicht bedeutend durch Industrie und Handel, nicht hervorragend durch große Gebäude oder regen Verkehr, und doch darf es sich dreist in dem Kranze der deutschen Städte zeigen. Die landschaftliche Schönheit, die wahrhaft idyllische Ruhe und malerische Umgebung des Ortes waren es, welche ihn zum Lieblingsaufenthalt und zur Erholungsstätte seines größten Bürgers, des Reichsfreiherrn von und zum Stein, erhoben. Denn immer wieder kehrte Stein, trotz mancher nicht eben heiterer Erinnerungen die in den inneren Verhältnissen des kleinen Ländchens ihren Grund gehabt haben mögen, in sein Geburtsstädtchen zurück. Schmuck wie ein Geschmeide von Edelsteinen dehnt sich Fluß und Thal im Halbkreis um das Städtchen, rechts und links umgeben und eingerahmt von herrlichen Auen, die Abhänge der Uferberge vom Fuß bis zum Gipfel bepflanzt mit Obstbäumen und Wäldern, deren sonnigeren Lagen auch die Rebgelände nicht fehlen. So fanden auch die Festgenossen aus dem rauheren Norden das idyllische Oertchen am Vortage des Festes glänzend in sonniger Pracht.

Geschäftige Hände rührten sich und schmückten auch da mit frischem Waldesgrün, wo die Natur ihre heiteren Sprößlinge versagt. Rührig sah man die Mitglieder des Vollzugsausschusses und des Centralcomités nach allen Richtungen hin walten. Präsident Simson und v. Bunsen waren schon einige Tage vorher in Nassau eingetroffen. Professor v. Sybel, der Festredner für die nationale Feierlichkeit, traf am Vortage gleichfalls ein. War es die Muße- und Erholungszeit, welche dem Reichstagspräsidenten schon seit einigen Wochen lachte, war es der Zweck des Festes, wir erinnern uns nicht, ihn seit Jahren so wohlaussehend gefunden zu haben. Stein’s ehemaliges Wohnhaus hatte diese Festgäste gastfreundlich aufgenommen. Leider war es dem Festausschuß und dem localen Comité nicht vergönnt, den Anforderungen nach Plätzen auf dem Festplatz sowohl, als zur Festtafel in ausreichenderer Weise zu genügen.

Auf vorspringendem, schmalem Felsgrate, dem augenfälligsten Punkte der Heimathgegend Stein’s, ist das Denkmal errichtet, dicht unter den Ruinen der Stammburg des großen Freiherrn, wie es die Gartenlaube in Wort und Bild bereits früher (Jahrgang 1868, Seite 669) dargestellt hat. In Berücksichtigung des festzugesagten Besuches der kaiserlichen Familie mußten Vorkehrungen getroffen werden, welche – wenn auch unbedeutend – den Festplatz beschränkten. Dadurch ist leider auch die Presse nicht in dem Maße berücksichtigt worden, wie vielleicht wünschenswerth gewesen wäre.

In dichten Strömen ergoß sich der Regen am Frühmorgen des Festtages auf das ganze Lahnthal herab und trübe Gesichter gab’s allerwegen. Sollte nach jahrelangem Ringen der Schlußstein des Ganzen durch elementare Einflüsse getrübt werden? Nur Simson, Bunsen und Sybel schienen dem Geschick und den kommenden Stunden mit einiger Ruhe entgegenzusehen. Bauten sie auf das sprüchwörtliche Wetterglück des deutschen Kaisers? Trotz Sturm und Ungemach füllten sich Häuser und Straßen und die ankommenden Eisenbahnzüge säeten Tausende von Fremden und Gästen nach allen Richtungen aus.

Kurz vor elf Uhr erschien der Kaiser in seinem gewöhnlichen Gefährt, begleitet von den Mitgliedern des Hofstaates, welche in Ems seine Curtage theilen. Später trafen die Kaiserin und der Kronprinz mittelst Extrazuges von Berlin ein. Tausendtönig schallte der Jubel durch das Flußthal dahin, als der Zug mit den hohen Gästen hielt, und kräftig und voll tönten die Jubelrufe wieder, drüben an der Felsenburg zum Stein, drüben an dem Ehrendenkmal des edlen Mannes.

Präsident Simson begrüßte die kaiserliche Familie im Namen des Festcomités durch eine kurze Ansprache. Blumengeschmückte Kinder boten Sträuße und Festgedichte dar.

„Giebt’s auch Ehrenjungfrauen?“ fragte mit gewinnendem Humor eine hohe Persönlichkeit einen der Festordner.

„Wir glaubten – das –“

„Nun, natürlich – aber doch keine Verse und lange Reden von schönem Munde –“

„Nein, nur –“

„Na, schon gut,“ unterbricht der hohe Gast lächelnd, „wir haben Sedan und Paris überstanden, wir werden auch darüber hinauskommen! Meinen Sie nicht?“

Mittlerweile hatten sich die geladenen Gäste in dem ehemals Stein’schen, jetzt Kielmansegge’schen Schlosse zur ersten Begrüßung zusammengefunden. Es war der besondere Wunsch der gegenwärtigen Besitzerin der Herrschaft Nassau, der verwittweten Gräfin Kielmansegge, einer Enkelin Stein’s, daß die Festtheilnehmer sich in jenen Räumen zuerst begrüßen sollten, wo Stein in guten und schlechten Tagen geweilt hatte, und so gab diese Versammlung die Anregung zu gar mancher Erinnerung an den Helden des Tages; trafen sich doch hier, wenn auch in geringer Zahl, einige Freunde und Zeitgenossen Stein’s, welche sich hier vielleicht zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht sahen. Ja, hatte doch hier der letzte Arzt Stein’s, der ihn in schwerer Krankheit gepflegt und behandelt, der ihn in Cappenberg nach seinem am 29. Juni 1831 erfolgten Tode zur Beisetzung in der Familiengruft zu Frücht bei Nassau einbalsamirte, zum ersten Male Gelegenheit, die Stätte zu sehen, welche dem Entschlafenen als Tusculum und Heim durch so viele Jahre gedient.

Von allen Seiten erfreute sich der alte würdige Herr – Kreisphysikus Doctor Wiesmann aus Dülmen – der Aufmerksamkeit der Festversammlung, und manche Zähre der Erinnerung und Anhänglichkeit floß dem liebenswürdigen Greise über die Wange, fühlte er doch mehr als jeder Andere, daß die Nation, neu erstarkt, ihrer Edelsten nicht vergißt.

Leise schlichen wir hinaus aus dem Kreise der zahlreichen Geladenen, unter denen Simson mit sicherer Würde und dem liebenswürdigsten Tacte die Pflichten des Festcomités, Graf Arnim-Boitzenburg die Pflichten des Gastgebers für die ihm verwandte Familie Stein’s gegenüber den Gästen erfüllten.

Da treffen wir Johannes Pfuhl, den seiner Zeit preisgekrönten Künstler der Statue, und freuen uns der aufrichtigen, treuherzigen Weise, in der er uns entgegentritt, endlich am Ziele seiner Mühe und seinen Strebens, das Bild eines jungen bescheidenen Künstlers, so fern von aller Anmaßung und so freudig ob des erreichten Zieles. Neben ihm steht Bildhauer Brodeusch, sein eifriger Helfer in den Stunden des Schaffens, und Rector Pfuhl aus Löwenberg in Schlesien, des Künstlers Vaters, den seines Sohnes Ehrentag zugleich ernst und froh stimmte.

Nur einer Andeutung bedarf’s – und gern schließen sich die Genannten einer Wanderung durch die Studirzimmer Stein’s an, in welchen so manche Erinnerung an den großen Todten gemahnt. Pfuhl hat eine Büste Stein’s für diese Räume gearbeitet, welche eine Zierde mehr für dieselben geworden ist.

Stein’s Thurm, den der edele Freiherr selbst in gothischem Stile „zur Erinnerung der Befreiung Deutschlands von der französischen Herrschaft im Jahre 1815“ errichtete, trägt über dem Portale die Inschrift: „Eine feste Burg ist unser Gott,“ und ist mit zwei Standbildern von Imhof in Köln, sowie mit dem Stein’schen Wappen geschmückt. Die Rückseite des Thurmes führt die Inschrift: „Nicht uns, nicht uns, Dir allein, Herr, die Ehre.“ Mit stiller Ehrfurcht schauen wir gerade an diesem Tage auf den Schreibtisch Stein’s, von welchem manches geflügelte Wort seinen Weg in die Welt nahm. Zwei eiserne Schränkchen mit Manuscripten des eisernen Reichsfreiherrn, eine reiche Bibliothek germanischer Geschichts- und Rechtsforschung und die Bilder der Helden der Reformation und der Befreiungskriege schmücken das untere Gemach, während das obere nur Erinnerungen an die Zeit seiner Wirksamkeit zeigt: die Büsten Friedrich Wilhelm des Dritten, Alexander des Ersten und Franz des Zweiten, denen sich in den letzten Tagen jene des Kaisers Wilhelm des Ersten zugesellt hat. Auf drei metallenen Gedenktafeln sind die denkwürdigsten Begebenheiten der Jahre 1812, 1813 und 1814 verewigt, und Bilder an den Wänden erinnern an den Einzug der Preußen in Paris und das Dankfest derselben im Jahre 1814. Ein treffliches Oelgemälde giebt die Züge des allverehrten Staatsmannes wieder, und in wahrhaft gehobener Stimmung treten wir aus jenen Räumen wieder in den Festsaal und unter die Männer, welche heute sich vereinigt haben, den Zoll der Dankbarkeit im Namen einer ganzen Nation darzubringen.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder. –

Da tritt Kaiser Wilhelm in die Festversammlung und begrüßt die nicht mehr zahlreichen Familienglieder des Stein’schen Hauses. Es leben aus dem seit manchem Jahrhundert an der Lahn begüterten edlen Geschlechte nur noch Gräfin Louise Kielmansegge und deren jüngere Schwester, Gräfin Mathilde, Beide Enkelinnen Stein’s und Kinder aus der Ehe der jüngeren Tochter Stein’s, Therese, welche sich mit dem Reichsgrafen Ludwig Kielmansegge vermählte. Der Letztgenannte ist Besitzer des Fideicommisses der Familie, der Güter Cappenberg – wo Stein starb – und Scheda in Westphalen. Gräfin Louise lebt im Stammhause zu Nassau, Gräfin Mathilde, Wittwe des Majors v. d. Gröben, zu Berlin; Letztere besitzt eine Tochter und einen Sohn, welche dem Feste gleichfalls beiwohnten.

Der Kaiser tritt zu dem amerikanischen Gesandten Bancroft, der mit seinem interessanten Kopfe, umrahmt von weißem Haupthaar und vollem langem Apostelbarte, bei dem Kaiser als besonders wohl gelitten gilt. Die Frage des Genannten nach des Kaisers Gesundheit und Befinden erwidert dieser mit munterm Lachen und der Zusicherung, daß ihm die Cur in Ems diesmal vortrefflich bekomme.

„Man muß Geduld haben,“ fügt Kaiser Wilhelm lächelnd hinzu, „wir haben ja jetzt Zeit, um uns zu pflegen, und in Ems ist’s in diesem Jahr sehr ruhig! Uebrigens hin ich nicht zum ersten Male hier in diesem Hause,“ fährt der Kaiser fort, und zur Rechten hinüber deutend, sagt er: „Ich wohnte damals dort drüben, es war im Jahre 1816, und ich erinnere mich nicht nur genau der Zimmer, sondern auch der interessanten und anregenden Tage, die ich einst hier verlebte!“

Einer Gruppe höherer Officiere gilt ein freundliches Kopfnicken des Kaisers. Simson, v. Bunsen und v. Sybel verhandeln noch wegen der verschiedenen Obliegenheiten ihres heutigen Ehrenamtes. Der Geschichtsschreiber Stein’s, Geheimerath Professor Dr. Pertz aus Berlin, spricht dem schlichten, freundlichen und allgemein beliebten Baurath Zais, dem Schöpfer des gothischen Schirmdaches, welches die Statue umrahmt, schon jetzt seine Freude über das gelungene Werk aus, doch dieser deutet mit Bescheidenheit und mit collegialer Freundschaft auf den Bildhauer May von Villmar (jetzt in Homburg) und seufzt: Hätten wir nur mehr Mittel gehabt; so mußten wir uns einschränken – so schwer’s uns auch wurde!“

Außer den Genannten war noch eine größere Anzahl von Vertretern sowohl des Adels wie der höheren Beamtenkreise, namentlich des Magistrats von Berlin, zum Feste erschienen. Kurz vor ein Uhr erschallt das Zeichen zum Aufbruch. Der Regen hat nachgelassen, und durch die volksbewegten, mit Ehrenpforten, Flaggen und Sommergrün geschmückten Gassen treten die Festgenossen den gemeinsamen Weg zur Burg Stein und zum Denkmal an.

Die Kettenbrücke, welche die Lahn überspannt, ist mit grünem Reisig geschmückt, sie schwankt unter der Last der dahin wogenden Menschenmassen. Da stehen zwei Bauern, schlichte Kinder der Lahn, aus irgend einem seitab der Straße liegenden Bergdörfchen, welche vielleicht früher einmal bei irgend einer Festlichkeit ihren Landesbischof mit goldener Kette

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_512.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)