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H. Fr. Karl Freiherr vom und zum Stein

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Textdaten
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Autor: Robert Giseke
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Titel: H. Fr. Karl Freiherr vom und zum Stein
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 117–119
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Freiherr vom und zum Stein.

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H. Fr. Karl Freiherr vom und zum Stein.
Ein Fingerzeig in die Vergangenheit.
(Mit Portrait.)


Man kann die auswärtige Politik wohl aller Staaten und aller Zeiten auf drei Grundzwecke zurückführen: erstens auf den des eignen innern Wohles, des geistigen und materiellen Gedeihens der eigenen Völker; dies ist die Politik, die besonders von den wirklich praktischen Staatsmännern meist für die beste gehalten wird und die England seit Jahrhunderten zu der großartigen Entwickelung aller seiner Kräfte und Interessen geführt hat; – zweitens auf den der Eroberungssucht, die aus bloßem Ehrgeiz, blinder Habsucht Länder auf Länder an sich reißen will, ohne zu erwägen, ob das Stammland selbst dadurch gewinnt oder durch diese Ausbreitung seiner Kräfte vielleicht auch zu Grunde geht; dies war meist das Prinzip der französischen, immer das der russischen Staatskunst; – und endlich der dritte Grundzweck äußerer Politik ist der, welcher auf allgemeine, sogenannte sittliche Ideen hinausgeht, wie aus historisches Recht, Beruf von Gottes Gnaden, Legitimität, Ritterlichkeit u. dergl., und diese Politik ist (wenn sie nämlich mehr als bloße Maske ist, wozu sie auch von sehr gescheidten Staatsmännern oft mit großem Erfolge angewendet wird), jedenfalls von allen drei Gattungen die idealste, romantischste und berauschendste, sie wird aber von vielen sehr verständigen Sachkennern für eine oft sehr unkluge und fast immer sehr unfruchtbare gehalten.

Ein durch den großartigsten Erfolg gekröntes Beispiel einer rücksichtslos praktischen und heilsamen Politik, die nichts als die Befreiung und Beförderung des Vaterlandes wollte, war die des preußischen Staatsministers Heinrich Friedrich Karl Freiherrn vom und zum Stein in den Jahren 1804 bis 1815.

Oesterreich war bei Austerlitz, Preußen bei Jena und Auerstädt in seiner Kraft und Selbstständigkeit gebrochen. Tiefer und tiefer drängte der Usurpator sich in das Herz Deutschlands hinein; enger und enger zog er seine Kreise um die zur Beute auserlesene, innerlich zertheilte Nation. Sein Basiliskenblick hatte den bewundernden Gegner gelähmt, welcher in Selbsttäuschung durch Unterhandlung und immer noch durch Unterhandlung den Feind fern zu halten meinte, der ein erwachtes, im Freiheitstaumel jubelndes Volk um seine Freiheit zu berücken verstanden hatte.

Da ward im Süden Deutschlands zuerst das Gefühl von der nothwendigen gemeinsamen Erhebung Deutschlands gegen den gemeinsamen Gegner wach. Oesterreich begann im Geheimen mit Macht zu rüsten und bewarb sich um die Verbindung mit Preußen zu dem einen Zwecke. Der König von Preußen aber erklärte, von der russischen Politik sich nicht zu trennen und deren Entscheidung zu erwarten. Und Rußland? – Was Stein und seine Gesinnungsgenossen damals ahnten, das liegt, durch die neueste Geschichtsschreibung erwiesen, jetzt klar am Tage: es war damals das einzige Interesse des russischen Monarchen, Oesterreich und Deutschland von dem französischen Imperator vernichten zu lassen, um mit diesem in die Welt sich zu theilen oder, wenn er durch seine Eroberungen genügend geschwächt wäre, um den Besitz der ganzen mit ihm sich zu streiten.

Es erscheint zeitgemäß, einige Ausdrücke aus einer Denkschrift hier mitzutheilen, die Stein an den König von Preußen gerichtet hatte, um ihn aus dieser unglückseligen, täuschungsvollen Allianz mit dem nordischen Nachbaren herauszureißen; er schrieb unter dem Datum des 8. September 1808:

„Das Resultat der Betrachtungen, die Herr Oberst-Lieutenant von Gneisenau in seiner Denkschrift, d. d. Königsberg, den 24. August a. c.

1) daß von Rußland keine Hülfe zu erwarten,
2) daß die Folgen eines für Oesterreich unglücklichen Krieges die Vernichtung von Preußen sein wird.

Ich erlaube mir hierüber folgende allgemeine Bemerkungen: Deutschland war kräftig genug, sich selbst gegen Frankreich zu vertheidigen, und nur seine Uneinigkeit ist Ursache seines Falles und seiner Sklaverei. Das laue und zweideutige Betragen Preußens im Jahre 1794 veranlaßte Oesterreich, die Niederlande ohne Noth und ohne eine verlorene Schlacht bis hinter die Maas zu räumen, und der unglückliche Baseler Friede, den die unverständige Vorstellung seiner Minister Friedrich Wilhelm II. abnöthigte, sanktionirte zuerst die verderbliche Trennung Deutschland in das nördliche und südliche; das erstere sah ruhig den Verheerungen des letzteren zu, und ahnete nicht, daß der südliche Deutsche ihn für dieses verfassungswidrige und treulose Betragen seiner Zeit züchtigen und abstrafen werde. Eine Folge der Gleichgültigkeit Preußens gegen die Erhaltung der Selbstständigkeit und Freiheit Deutschlands zur Unterjochung des nördlichen, und dasselbe Prinzip der Apathie, gegen Oesterreich angewendet, wird dieselben Folgen für Preußen haben, nämlich seine völlige Auflösung und den Fall seiner Herrscherdynastie. – –

Daher sich Oesterreich nähern und ihm seine Absichten freimüthig eröffnen, alle militärischen und Insurrektionsmittel, die uns zu Gebote stehen, bei dem Ausbruch eines österreichischen Krieges anwenden, um das französische Joch abzuwerfen, weil bei dem ruhigen Zusehen nur Vernichtung oder die unerträgliche Sklaverei eintreten kann.

Die Zusammenkunft des Kaisers Alexanders mit dem Kaiser Napoleon trübt die Aussichten noch mehr – was kann aus dem Zusammentreffen eines vom Handeln abgeschreckten, weichen, lenksamen Charakters mit dem felsenfesten, rastlosen und ruchlosen Manne entstehen, als blindes Hingeben des Ersteren an den verruchten Willen des Letzteren? etc.“

So damals Stein. Sein Rath wurde nicht gehört, er selbst durch die raffinirteste Intrigue, in der sich die russenfreundlichen, gegen Stein’s reformatorische Bestrebungen operirenden sogenannten guten Patrioten vom alten Schlage mit den in das Vaterland eingedrungenen Franzosen vereinigt hatten, für immer aus dem Ministerium gedrängt.

Wie bekannt, Oestereich wurde in dem Kriege vernichtet, den es nun ohne Preußen begann; aber auch für Preußen, wie ebenfalls bekannt, begann damit erst die wahre Zeit der Schmach und Erniedrigung. Auf Unterstützung Rußlands gegen den Uebermuth des Usurpators hoffte es vergebens; Alexander half dem vertrauungsvollen Bundesgenossen nicht in seinen gerechten Beschwerden über die unerhörten Vexationen bei Eintreibung der Kontributionsgelder; es sah ruhig zu, wei Unbill auf Unbill erfolgte und in erzwungene Abtretungen an das Königreich Polen endlich offener Raub an den im Tilsiter Frieden sanktionirten Grenzen Preußens verübt wurde.

Und Preußen? Auch Preußen konnte endlich seiner ritterlichen Gesinnung gegen den unritterlichen Bundesgenossen nicht treu bleiben. Die Folgen all seines blinden Glaubens waren die, daß es wider Willen unter den Fahnen des Eroberers seine eigenen Söhne gegen den Nachbar kämpfen lassen mußte, dessen Vertrauen es durch alle jene Opfer doch nicht erkauft hatte!

Und Stein? – – Man kann dem deutschen Volke nicht absprechen, daß es den Werken, dem Leben und den Persönlichkeiten seiner Dichter und Denker, vorzüglich nach ihrem Tode, eine sehr gründliche Aufmerksamkeit und dauernde Anerkennung stets geschenkt hat; wie sind die großen Werke und die kleinsten Lebenszüge eines Schiller und eines Goethe so tief in alle Schichten des Volkes eingedrungen! Aber sind die Produkte der Phantasie und Poesie die einzigen, die höchsten Erzeugnisse deutschen Geistes? Giebt es nicht, und gerade gleichzeitig mit jenen Heroen unserer [119] Dichtkunst, auf den Gebieten des öffentlichen Lebens und der politischen Entwickelung, in der Befreiung des Vaterlandes und der Neugründung der Verfassungen Thaten, die für die Gegenwart bedeutungsvoller sind, als jene Dichtungen?

Und was hat das deutsche Volk gethan, um diesen Thaten und den Helden, die sie vollbrachten, den verdienten Platz im Panthteon seiner Erinnerung zu sichern? – Wie weit ist heute noch der Name Stein’s überhaupt nur im Volk bekannt, und wenn sein Name, was ist von seinem Wirken, seinen Gesetzgebungen, seinen Gesetzesentwürfen, seinem Charakter, seinem Leben und seiner Persönlichkeit in weiten Kreisen in lebendiger Erinnerung geblieben?

Freilich hat man wohl von mehr als einer Seite sich veranlaßt geglaubt, der Ausbreitung seiner Gesinnungen entgegenwirken zu müssen, um die bestehende Ordnung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Aber hätte man nur seine wahren Gesinnungen in der rechten Art fortzupflanzen verstanden, wären sie dann nicht das wirksamste Gegenmittel gegen alle Gefahren des befürchteten Umsturzgeistes gewesen? Stein war der Apostel einer neuen Zeit, der Petrus, der Fels, auf welchen der Bau der deutschen Staatenbildung unsers Jahrhunderts begründet ist, – und doch war er ein völliges Gegenbild gegen die, welche heute als die Apostel neuer Ideen, als die Verkündiger einer Religion der Zukunft auftreten, – ein Gegenbild schon deshalb, weil er erreichte, was er wollte, und, was er nicht erreichen konnte, nicht gewollt hat!

Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein war am 26. Oct. 1757 zu Nassau geboren († 29. July 1831), wo seine reichsfreiherrliche Familie ihren Sitz hatte. Er ward von den Aeltern zum Nachfolger im Besitz der als Fideicommiß sanctionirten Familiengüter bestimmt und sah somit die Mittel zu einer großen Lebenslaufbahn sich zu Gebote gestellt. Nachdem er studirt und auf Reisen die größeren deutschen Höfe kennen gelernt, entschied er sich dafür, dem preußischen Staate seine Dienste anzubieten. Friedrich der Große fertigte am 2. Februar 1780 seine Ernennung zum „Kämmerer“ aus und stellte ihn als Referendar dem Chef des Berg- und Hüttendepartements, Minister von Heinitz, zur Seite. Schon 1783 war Stein Bergrath in Wetter an der Ruhr, dann 1788 erster Director der Kriegs- und Domainen-Kammern zu Kleve und Hamm, 1793 Präsident der märkischen Kammer mit dem Sitz zu Kleve, Ober-Präsident sämmtlicher westphälischen Kammern (d. h. „Regierungen“) in Minden, bis er 1804 als Nachfolger von Struensee zum preußischen Staatsminister im Departement des Accise-, Zoll-, Fabriken- und Kommercial-Wesens nach Berlin berufen wurde. Hier herrschte damals die Partei des Minister von Haugwitz und Kabinetsrath Beyme, die vor Allem den Krieg scheute und nichts wollte als Friede mit Napoleon. Stein schaffte zunächst durch Einführung von Papiergeld und andere geniale Finanzmaßregeln die Möglichkeit einer Waffenergreifung gegen den revolutionären Usurpator, und schnell sammelte sich um ihn die Partei der Hardenberg, Blücher Rüchel, Prinz Louis Ferdinand u. s. w., die in den König drang, die Ehre und Freiheit des Vaterlandes zu wahren. Die Niederlage von Jena und Auerstädt war die Folge nur davon, daß man zu spät den Rath dieser Männer hörte, und dennoch griff deren Stimme auch in der verzweiflungsvollen Lage nach jenem Verluste nicht durch. Stein war dem Könige nach Memel gefolgt; sein Beharren auf der Nothwendigkeit durchgreifender, Staat und Heer regenerirender Maßregeln hatte seine ungnädige Entlassung zur Folge; – aber – schon wenige Monate darauf hatte die bessere Einsicht des gerechten Königs ihn wieder an den Thron gerufen„ und dieses zweite Ministerium Stein’s, das nur vom 20. September 1807 bis 24. November 1808 dauerte, war es, dem wir die Neugründung des erschütterten Staates, die großartige preußische Gesetzgebung danken, durch welche die spätere Befreiung des gesammten deutschen Vaterlandes erst möglich wurde. Was die französische Revolution in Gewalt und unmenschlichem Frevel versuchte, wurde hier durch Gesetz und Weisheit eingeführt: die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Ständeunterschiede, die Abschaffung der Adelsvorrechte, die Befreiung des Grundeigenthums und der Gewerbe, die Centralisirung der Regierung in den jetzt noch in Preußen bestehenden Ministerien, die neue Belebung des Gemeindewesens, die Gründung der berühmten Städte-Ordnung und die Anbahnung einer ständischen Vertretung des Volkes und seiner Theilnahme an der Regierung.

Die in der oben mitgetheilten Denkschrift ausgesprochene Gegnerschaft gegen Rußland war die Veranlassung, Stein zum zweiten Male aus dem Ministerium zu entlassen. Napoleon hatte ihn als seinen gefährlichsten Gegner erkannt, forderte seine Entfernung aus den preußischen Staaten, that ihn in die Acht und confiscirte seine Güter. Als nun aber Oesterreich zum zweiten Male besiegt und fast vernichtet war, als zwischen dem westlichen und dem östlichen Kaiserreiche keine Schranke mehr hinwegzuräumen war und die beiden größten Reiche Europa’s zum Kampfe auf Tod und Leben einander gegenüberstanden, da war es Stein, der Verbannte, der Heimathlose, sein bisheriger listigster Gegner, an den Kaiser Alexander von Rußland sich zuerst um Rath und Hülfe wandte. Stein war es, der, einzeln für sich, mit keiner Macht, keiner Partei unmittelbar in Verbindung stehend, in der Verbannung lebend, der russischen Politik nach dem Brande bei Moskau den großartigen Aufschwung zum Siege gab, der sie zwang, von dem Vertheidigungskriege in den des Angriffes überzugehen, den geschlagenen Feind über die Grenzen hinaus zu verfolgen, die Fahnen der Erhebung in die Gauen Deutschlands zu tragen und seinen zahllosen Souverainen das Werk der eignen Befreiung aufzudringen. Er, der Mann einer vorurtheilsfreien, aber charaktervollen, einer rücksichtslosen, aber zweckgemäßen Politik, den sein Vaterland preisgegeben hatte, er war es, der es wieder dahin brachte, daß der Name Deutschland kein leerer Schall mehr war, dem, aus Mangel eines anderen Mittelpunktes, von den Fürsten während des Befreiungskrieges die „Centralverwaltung“ des Reichs übergeben wurde, – so daß man im Volke daran dachte, ihn zum deutschen Kaiser zu erwählen, und daß Nicolaus Vogt, Professor der Geschichte und des Staatsrechts in Frankfurt, der Lehrer Metternich’s, als man ihn fragte, ob das nach den Reichsgesetzen möglich sei, diese Frage unbedenklich beantwortete, indem er auf Stein’s reichsunmittelbare Freiherrlichkeit sich bezog!

Es war zweckmäßig, auf diesen genialsten Staatsmann Deutschlands im gegenwärtigen Augenblicke wieder einmal zurückzuweisen, um zu zeigen, welchen Hindernissen Politiker von vorurtheilsfreier Energie entgegenzugehen gefaßt sein müssen; und es war wohl zweckmäßig auch deshalb, weil die Literatur jetzt endlich die lang versäumte Pflicht, diesem Mann ein würdiges Denkmal zu setzen, erfüllt hat mit dem Werke: „Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein“ von G. H. Pertz (5 Bände. Berlin, 1849–1854), – einem Werke, dessen Verbreitung in alle Gesellschaftskreise zu wünschen wäre.
R. Giseke.