verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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kamen. Zu beiden Seiten lagen hier und da zerstreut die Wohnungen und Lichtungsplätze der Ansiedler – jene aus unzugehauenen Bohlen bestehend, in der vorgeschriebenen Entfernung von dem Wege, und mit dem zugehörigen Gemüsegarten. Doch fehlte nicht jede Spur von Verzierung. Ueber dem äußern Portale waren oft Ausschnitte angebracht, die mit frischen Hopfenranken versehen waren. Einige der Gärten strotzten von Blumenbeeten, auf denen hochrothe Mohnblumen mit dem Dunkel des Urwalds contrastirten. Wir traten in die Hütte eines Sclaven, der erst vor zwei Jahren Kentucky verlassen, und nach seiner Ankunft hier geheirathet hatte. Die Hütte war kleiner, als das Modell vorschrieb, aber so angelegt, daß sie sich mit der Zeit vergrößern ließ. Innen befand sich eine Frau mit einem Rudel Kindern, die ihren Verwandten gehörten, und welche das Ehepaar bei sich aufgenommen hatte. Mehrere Stühle, ein Tisch, eine große Kiste und der Kochofen nebst Zubehör bildeten das Hausgeräth. Das Familienmahl, Schweinefleisch und Kartoffeln, stand noch auf dem Ofen, während in einem andern Gefäß voll frischen Fettes grünes Korn in den Aehren schmorte. Der Mann war auf der Arbeit im Ziegelofen abwesend.
Ein anderes Haus, das wir besuchten, gehörte einem Manne, der vor vierzehn Jahren aus Missouri entflohen war. Er lebte seit sechs Jahren in der Ansiedlung, und hatte vierundzwanzig Acres Land eingezäunt und im Anbau und sechs andere, die gelichtet waren. Er hatte vier Raten gezahlt und besaß einen Wagen, ein paar Ochsen, eine Stute und zwei Füllen. Er war Vater von vier Kindern und sein ältester Knabe, der vierzehn Jahre zählte, las im Virgil (wahrscheinlich ohne Nutzen). Der Tag war warm und die kleineren Kinder, hier wie überall, waren leicht gekleidet, Beine, Fuß und Arme nackt, mit Oeffnungen in den Kleidern, die der Schneider nicht gemacht hatte. Im Hause fanden wir außer dem gewöhnlichen Bett und Bettzeug, Stühlen, Tisch u. s. w. einen Schaukelstuhl und ein breites neues Sopha. Ein verlangtes Glas Wasser wurde in einem reinen Becher auf einer Tasse gebracht.
Noch reicher war ein drittes Haus, das einer der frühesten Ansiedler bewohnte. Es war geräumiger, mit einem laubumkränzten Portale, hatte ein Vorhaus in der Mitte und ein Zimmer an beiden Seiten. An den Wänden hingen verschiedene hervorstechende Bilder, ein Sopha stand da, ein Teppich lag auf der Erde. Eine allgemeine Erscheinung in allen diesen Hütten war der ungeheure Feuerplatz aus Ziegeln, welcher die beste Stelle an der einen Seite der Stube einnimmt und, wie der Kamin, deutliche Spuren von der Gluth der Flammen aufweist, welche im Winter darin spielen.
Wir sahen nur einen kleinen, und wie man uns sagte, den neuesten Theil der Ansiedlung, der nicht cultivirt war. Unser Aufenthalt konnte trotz der herzlichsten Einladung des Herrn King nicht verlängert werden, und wir verließen Buxton in der Ueberzeugung, daß die Colonie eine glänzende Widerlegung der Behauptungen wäre, welche von den Freunden der Sclaverei gegen die Bildungsfähigkeit der schwarzen Race angeführt werden.
Nach dem Wiener Frieden im October 1809 lagerte sich eine entsetzliche Stille auf alle Länder deutscher Zunge; sie wurde im Laufe des folgenden Jahres nur dann und wann auf Augenblicke unterbrochen, erst durch den Schuß, der den Sandwirth „zu Mantua auf der Schanze“ in den blutigen Staub legte, gleich darauf durch den gräßlichen Hochzeitsjubel, als der Corse mit eiserner Faust die Erzherzogin auf den kalten Torus drückte, und ein paar Monate später durch den dumpfen Wehschrei, der durch alle deutschen Herzen schrillte, als Deutschlands sichtbarer guter Genius, die Königin Louise von Preußen, hinweggenommen war aus diesem Leben voll Schande und Schmach, die ein schlauer ehrgeiziger Soldat ohne sittliche Größe und Würde über die Welt gebracht, eine „Strafruthe“, die, obgleich sie als scharfer Besen Haufen von Unrath hinwegfegte, deshalb selbst noch kein Kometenschweif war.
Nach dem Tode des „Schutzgeistes“ wurde die Stille um so peinigender, als dann und wann das Hohn- und Lustgelächter über deutsche Dummheit und Niederträchtigkeit von Cassel her ertönte, wo ein junger lustiger Baumwollenkrämer, aus Amerika frisch verschrieben, daß er den neuerbauten Königsthron von Westphalen einnehme, seine tollen Orgien hielt. Wir Thüringer hatten’s nah; uns trug jeder Westwind den grausigen Jubel und die Düfte der Hekatomben zu, die deutsche Unterthänigkeit dem lustigen charmanten Könige aus Corsika schlachtete. Es klang und duftete alles so gespensterhaft und wenn die Schüsse dazwischen knatterten, die vor der guten Stadt Cassel Männer zum ewigen Schweigen brachten, die unvorsichtig für die alte legitime Hessendynastie geschwärmt hatten, so erhöhten sie nur den prächtigen Eindruck und Niemand muckste weit und breit.
Auch in meinem Vaterhause in Ruhla war eine qualvolle Stille. Im März war mein Vater gestorben, gleichsam mit den schmerzlichen Worten auf den Lippen: Wenn doch diese Franzosen einmal wieder aus unserm Lande fort wären! Ueber dem Hause lag es schwer und trüb, wie ein böses Geheimniß. Wie Gifttropfen waren Schrecken in meine Kinderseele geträufelt, die ich nicht verstand. Die Zeit schauerlicher Wirrsale war für mich angebrochen, aus deren Schlangenwindungen ich mich nie wieder habe befreien können.
Dieses seelenerkältende Dämmer- oder Nachtleben draußen in der weiten Welt und innen im engen Hause durchzuckte plötzlich ein durch das seit der Jenaer Schlacht schwer gedrangsalte und gedemüthigte Thüringerland weithin leuchtender Blitzstrahl; ein Alles aufschreckender Donnerschlag, als hätte die unsichtbare dämonische Macht, die da in Lebenstiefen auf- und abfluthet, die kleinmüthigen Menschen erinnern wollen: ich bin noch da, ich walte noch trotz aller Corsenwirthschaft.
Eines Abends – es war der 1. September – saß ich mit der Mutter in der Wohnstube, still, verdrossen. Ein mattes Oellicht stand auf dem Tische. Plötzlich gegen 9 Uhr zuckte ein Blitz durch die Nacht und bald darauf zitterte das Haus von einem seltsamen Schlage und ein dumpfes Donnern rollte durch das Thal. Die Mutter öffnete ein Fenster und schaute auf die dunkle Gasse. Der Nachbar Stumpff, der Claviermacher gegenüber, rief ihr zu:
„Das ist der jüngste Tag! Es geht los.“
Bald darauf hörten wir drüben einen Choral intoniren. Andere weniger bibelgläubige Nachbarn liefen auf die Straße, ich unter ihnen. Der schwarze westliche Himmel über den Bergen röthete sich. Die Leute liefen schaarenweis auf die hohen Berge, von deren Gipfeln man die anderen Höhen überschauen konnte. Ein fürchterlicher Anblick bot sich uns: an der Stelle der Stadt Eisenach wogte ein Feuermeer. Schauerlich schön nahm sich die von dem Gluthheerd angestrahlte Wartburg aus, von welcher fort und fort Blitze durch die Nacht schossen und Donner auf Donner durch unsere Berge rasten. Es waren die Nothrufe der dort stehenden Lärmkanonen. Der Moment war über allen Ausdruck schauerlich erhaben und hat sich meiner noch mit aller Weichheit des Kindergemüths begabten Seele tief eingeprägt.
„Ganz Eisenach steht in Flammen!“ schallte es von Berg zu Berg und durch den ganzen Ort. Die Spritzen rasseln über das Pflaster, viele Menschen brechen auf. Gern wär’ auch ich gleich mit fort, aber das gab die Mutter nicht zu. Sie versprach mir, am folgenden Morgen selbst mit zu gehen. Ich konnte wenig schlafen; meine Phantasie war zu heftig aufgeregt. Kaum war es Tag, so trieb ich zum Aufbruch. Schreckensnachricht auf Schreckensnachricht langt an. Hunderte von Menschen sind auf den Beinen nach Eisenach zu. Der ganze Weg durch die Thäler und über die Berge – ein Menschenzug. Wir hatten eine Menge Bekannte, Freunde und Verwandte in Eisenach. Während meines Vaters Lebenszeit war unser Haus oft voll Besuch
- ↑ Das Mainzer Unglück veranlaßt uns, diesen Artikel aus L. Storch’s Denkwürdigkeiten abzudrucken. D. Red.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_689.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)