verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
|
ich meine, daß Alle, die aus Osten und Westen, aus Süden und Norden des Vaterlandes herbeigekommen waren, sich einmal – was leider! so selten geschieht – stolz als Deutsche fühlten und bei dem Blicke auf die Gefeierten sich sagen konnten und sich sagen mußten: „sie waren unser.“
Mancher fragt freilich wohl, warum auch Wieland ein Denkmal erhalten, denn es heißt ja, er stehe uns sehr fern. „Er ist,“ sprach der Redner bei der Enthüllung der Wielandstatue, „dem Blüthentage ewig schöner Wirkungen ein vorangehender Morgenbote gewesen und wie sein Leben, so ist sein Name, sein Gedächtniß, sein Bild untrennbar von jenen herrlichen Gestalten, die Karl August’s gepriesene Palatine waren und sein werden. Darum als König Ludwig von Baiern zu Weimarischen Ehrenbildnissen das Erz anbot, geschah es mit der Bedingung, daß der Plan das ganze Viergestirn unseres Ruhmes, Wieland wie Herder, Goethe und Schiller umfassen müsse, um mit ihres Beschützers, des preiswürdigen Karl August’s Gestalt sich zu krönen. Dankbare Erinnerung, in tausend Seelen lebend, hat zusammengewirkt, uns diesen erhebenden Augenblick zu bereiten. Der Künstler Begeisterung, das Aufgebot aller Kräfte unserer kleinen Bevölkerung und des großen Vaterlandes, Darbringungen von Fürsten, von edlen Privatleuten aus allen Grenzen Deutschlands und über sie hinaus haben sich vereinigt zu einem Pulsschlage der Nation. Dieser Puls des edelsten Blutes hat uns hier versammelt, auf daß erhöhet in gediegener bleibender Gestalt Er uns erscheine, dessen Leben hingeflossen ist wie eine Quelle zur Erfrischung und Erheiterung des Geistes der Nation, daß die Verehrung der spätesten Enkel ihn grüße, wie die unserige jetzt – den unsterblichen Wieland.“
Das Erzbild ist ein Werk des Bildhauers Gasser in Wien und es bestand rühmlich die schwere Probe, mit dem Meisterwerke Rietschel’s sich vergleichen lassen zu müssen, dem es noch weit über die hochgespannte Erwartung hinaus gelungen ist, Goethe’s majestätisches Haupt zu bilden,
„Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirn gedrückt;“
wie das gleichsam von dem Abglanz einer idealen Welt verklärte Antlitz Schiller’s zu gestalten,
„… hinter dem, in wesenlosem Scheine,
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine,“
und dessen Wangen glüheten
„von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
Von jenem Muth, der, früher oder später,
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt.“
Der erste Anblick dieses Doppelbildes, als die Hülle fiel, wirkte zündend auf die erwartungsvoll umherstehenden Tausende, etwa wie ein überraschend geistvoller, ein genialer neuer Gedanke wirkt: er erfüllte die Seele mit inniger Befriedigung, mit rührender Freude und mit stolzer Bewunderung des Großen und Schönen, das der Menschengeist zu schaffen vermag. Aber mit Bewunderung wird man immer und immer wieder vor diese Meisterschöpfung treten.
Was ist in ihr, das so gar mächtig wirkt? Ist es nur die hohe Kunst des Meisters, der jene Dichtergestalten geschaffen? Frankfurt hat sein Goethe-, Stuttgart sein Schiller-Standbild. Beide sind Meisterwerke und beide werden bewundert, aber Niemand wird sie mit den Empfindungen betrachten, welche die Gruppe in Weimar hervorruft. Ist es eine arithmetische Steigerung der Bewunderung, weil hier zwei Statuen beisammen stehen? Gewiß nicht. Ist es der Kranz des Ruhmes, der sie verbunden hält? Auch er ist es nicht. Ist’s, weil dieser Kranz, wie der Redner bei der Enthüllung sprach, zugleich „Dein Kranz ist, mein deutsches Volk, der Kranz, mit dem sie Dich königlich geschmückt haben vor allen Völkern der Erde?“ Nein. Es ist das Band der Freundschaft, das unsre beiden größten deutschen Geister vereinigt, jene Freundschaft, die, als sie noch lebten und wirkten, die glänzendste Zeit unserer Literatur schuf, jene neidlose Verbindung, in der sie, einander gegenseitig unterstützend, fördernd und berathend, neben einander dem höchsten Ziele menschlichen Strebens zu wanderten. Es ist das Gefühl, das, wenn auch sich nicht klar bewußt, in Jedem bei dem Anblick der Gruppe sich regt, daß wir in ihr das Symbol der höchsten Entwickelung der beiden Seiten des deutschen Geistes vor uns haben: jene die ganze Welt umfassende, zu allen Höhen und allen Tiefen dringende, wie die stets nach Idealem strebende und nach höhern Welten sich aufschwingende. Fest im Bewußtsein seiner weltbeherrschenden Macht schaut Goethe auf uns nieder; emporstrebend, als bedürfe er die Erde kaum, blickt Schiller nach oben. Was Beide für Deutschland werden konnten und geworden sind, konnten sie nur durch innige Vereinigung werden. Das wissen, das fühlen wir alle, und mehr als sonst tritt es uns nahe vor ihren vereinigten Erzgestalten in Weimar.
Daß Rietschel gerade dies so bewundernswürdig darzustellen vermochte, ist seine Meisterschaft, die ihn so hoch erhebt. Er hat zwar schon manches Kunstwerk geschaffen, namentlich die Lessing-Statue in Braunschweig, aber keines, das sich mit dieser Gruppe zu messen vermag. Bekanntlich lebt Ernst Rietschel (geb. 15. Feb. 1804 zu Pulsnitz in der Lausitz) als Professor an der Akademie in Dresden, der er auch seine erste Kunstbildung von 1820 an verdankt. Im Jahre 1826 ging er nach Berlin, um da seine Studien bei dem Meister Rauch fortzusetzen, den er 1829 nach München begleitete, um da mit ihm einige Aufträge auszuführen. Ein Jahr später machte er eine Reise nach Italien, aber schon 1831 kam er zurück, um das Monument zu arbeiten, das dem verstorbenen König Friedrich August im Zwinger zu Dresden errichtet werden sollte. Leipzig besitzt drei Werke von ihm, den Fronton an dem Augusteum, das Denkmal Thaer’s und die Kreuzabnahme im Museum. Allgemeinen Beifall fand zuerst sein Lessing in Braunschweig, jenes Bild, das er zuerst in moderner Kleidung, ohne die herkömmliche antike Gewandung, darzustellen wagte. Man erkannte darin ziemlich allgemein einen großen Fortschritt und daß es einer ist, fühlt man vor der Goethe-Schillergruppe, die uns um Vieles fremder erscheinen würde, wäre sie in antiker Gewandung dargestellt.
Zwei Schweizermädchen. Die Zeiten der Geßner’schen Idylle und der sentimental-naiven Anschauungen, denen z. B. eine Oper, wie die Winter’sche „Schweizerfamilie“, ihre Entstehung und den Beifall des Publicums verdankte, sind längst vorüber. Wie Alles in der Welt der Mode unterworfen ist, so kamen auch in unserer Literatur die Schweizermädchen aus der Mode – und wie sie in den letzten Jahren wieder darin erschienen, in den Dorfgeschichten ihres Landsmannes Jeremias Gotthelf, war es eine andere Generation. Der Realismus hatte die Idylle vertrieben und oft die Poesie mit ihr. Es war eine natürliche Reaction, die in solchen Fällen noch immer erfolgte. Die zarten zerbrechlichen Gestalten der einstigen Alpenhirtinnen traten als plumpe Bauerdirnen vor uns hin, die weder für das Theater noch für die feinen Stahlstiche der eleganten goldbedruckten Taschenbücher passen wollten – und mit verächtlichem Lächeln wendete man sich ab von den naturwüchsigen Töchtern der Alpen, die man einst zu feenhaften Geschöpfen idealisirt hatte. Aber, wie immer, liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte. Die Schweiz ist uns kein verschlossenes Wunderland mehr, wenn sie auch immer und ewig ein Wunderland bleiben wird! Es sind nicht nur wenige Auserwählte, Glückliche, welche es zu sehen bekommen. Tausende reisen alljährlich auch aus Deutschland dahin und lernen aus eigener Anschauung kennen, was früher nur von einigen Touristen gesehen und geschildert ward und was die Dichter nur aus Büchern kannten und durch ihre blühende Phantasie oft mährchenhaft ergänzten. Finden wir nun auch bei eigner Anschauung in den Schweizermädchen keine zerbrechlichen niedlichen Nippesfigürchen, sind es meist starkknochige robuste Gestalten, so ist ihre Landestracht, nach den verschiedenen Cantonen verschieden, doch immer poetisch und ideal, besonders den geschmacklosen unserer sächsischen Landmädchen gegenüber, und wir sind immerhin genöthigt, den Schweizerinnen manchen Vorzug zuzugestehen.
Und so will ich auch jetzt von zwei Schweizermädchen erzählen, die dem Canton Graubünden angehören.
Der Canton Graubünden ist einer der merkwürdigsten Cantone der ganzen Schweiz. Auf einem Flächenraume von kaum anderthalb hundert Quadratmeilen finden wir ein verworrenes Labyrinth der Thäler, von den höchsten Bergen eingezäunt. Schon der Gothenkönig Dietrich von Verona nannte dies Land ein Netz (retia, daher Rhätien genannt) aus Gebirgen gestrickt. Die Berge erstrecken sich meist jäh und kühn in zackigen Formen vom niedrigsten Thalboden bis in die höchsten Lüfte. Ewiger Schnee deckt ihre mehr denn 13,000 Fuß hohen Gipfel. Schneefelder und Gletscher senken sich von ihnen herab. Aber unten in den Thälern ist eine üppige Vegetation reifer Früchte des Südens und auf den Almen finden unzählige Heerden ihre Weide. Darin besteht der eigentliche Reichthum des Landes. Eben so verschieden wie sein Klima und sein Boden sind auch seine Bewohner. Einige sprechen italienisch, Andere deutsch, noch Andere uraltladinisch und romanisch, welches sich aus Jahrhunderten vor unserer
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_567.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)