verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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kein geringes Erstaunen in der kleinen Gesellschaft. Alles schwieg eine Minute lang, bis plötzlich ein allgemeines Gelächter losbrach. Herr Schumann zeigte ein böses, beleidigtes Gesicht, und mein Lehrer, der Candidat der Theologie, fand sich veranlaßt, sich mit den Worten an ihn zu wenden:
„Und das wissen Sie nicht, Herr Schumann? Ei, ei! Das hätte freilich hier Niemand von Ihnen erwartet.“
Der Nachdruck, welchen der Candidat auf das „Sie“ und „Ihnen“ legte, brachte den bestürzten Wundarzt aus aller Fassung und, wie aus seinen nächstfolgenden Worten hervorging, auf den Gedanken, Schiller, der Vater, möchte ein berühmter Arzt oder Wundarzt gewesen sein, dessen hohe Verdienste um die Kunst und Wissenschaft nicht zu kennen, ihm, dem Jünger, oder wie er sich wohl dünkte, dem Meister derselben, zur Schande gereiche. Schumann nahm sich also zusammen und sagte schnell:
„Ah, jetzt fällt’s mir ein; er ist ja ein großer Arzt und Wundarzt gewesen! Ich habe seine Werke selbst studirt. War er nicht Professor an der Universität in Jena?“
Jetzt wurde das Lachen zum Gebrüll; die Meisten wollten sich ausschütten, und Schumann gerieth in so grenzenlose Verlegenheit, daß er aufsprang, um aus der Stube zu laufen. Wie sehr erstaunten aber die Lacher, als Schiller den beleidigten Chirurgen bei der Hand zurück hielt und ruhig sagte:
„Sie haben ganz recht, Herr Schumann, mein Vater war so gut Chirurg wie Sie, wenn auch kein großer und berühmter. Auch hat er wirklich ein chirurgisches Werk geschrieben. Sie haben es aber jedenfalls in der Heilkunst weiter gebracht, als er.“
Die Andern sahen den Sprecher zweifelhaft an, denn Niemand hatte gewußt, daß der unsterbliche Dichter Doctor der Chirurgie gewesen war.
Schiller fuhr mit derselben Ruhe fort: „Ich gebe den Herrschaften mein Ehrenwort, mein Vater war Arzt und Chirurg, und auch darin hat Herr Schumann Recht, daß mein Vater Professor in Jena gewesen ist.“
Diese Zusammenstellung und die schelmische Ruhe, mit welcher das Alles vorgebracht wurde, riefen einen so ungemein komischen Effect hervor, daß das Lachen nun über alle Schranken brach, und Schumann wüthend und scheltend aus dem Zimmer floh.
Bald suchte ich am Berge hinter dem Hause andere Unterhaltung; dort stellte mich Herr Schumann mit der Frage:
„Sag’ mal, weißt Du denn, was des Herrn von Schiller Vater gewesen ist?“
„Ein Dichter.“
„Ein Dichter?!“ rief der Chirurg mit verächtlicher Verwunderung. „Ein Dichter!“ wiederholte er mit zorniger Geringschätzung. „Nun seh mir einer das dumme Geschwätz des Candidaten an! Was hat sich der Esel zu moquiren, daß ich das nicht weiß! Was in aller Welt gehen mich denn Menschen an, die Verse machen? Ich habe mein Leben lang wichtigere Dinge zu thun gehabt, als mich um solche Narren zu bekümmern, die sich und Andern die Zeit verderben. Und nun muß ich mich von den Gänsen drin auslachen lassen, als hätt’ ich die größte Albernheit begangen.“
Der verständige Heilkünstler ging in großer Alteration nach Hause, und er hat sich später noch bitter genug über den ihm angethanen Schimpf ausgesprochen.
Herr von Schiller folgte bald darauf dem Aufruf der sächsischen Regierungen zur Bildung eines Freiwilligencorps gegen den corsischen Usurpator, und trat in die Reiterschaar des sogenannten sächsischen Banners. Nach dem Feldzug sah ich ihn wieder in der Uniform, die ihm gut stand, in Ruhla, aber ich glaube nicht, daß er wieder als Eleve in das Institut trat. Ich habe später weder ihn, noch ein anderes Glied seiner Familie wieder gesehen.[1]
Eine indische Wittwenverbrennung. Der Regent von Tanjore, Ameer Jung, starb vor einigen Jahren. Sobald er todt war, kleideten sich zwei seiner Weiber in ihre reichsten Kleider, bedeckten sich mit ihren kostbarsten Juwelen, traten dann in das Zimmer, wo die Leiche lag, und nach dreimaliger Niederwerfung vor derselben setzten sie sich zu ihren Fußen nieder und erklärten dem ganzen, um die Leiche versammelten Hofe, daß sie sich entschlossen hätten, sich mit ihrem Gemahle den Flammen zu übergeben.
Die jüngste von beiden Weibern allein war seine rechtmäßige Frau, etwa zwanzig Jahre alt und ohne Kinder; die zweite war von niederem Range, sechsundzwanzig Jahre alt und hatte vom Regenten eine vierjährige Tochter. Die Väter und Brüder beider Frauen waren in der Versammlung anwesend, sie gebrauchten die dringendsten und rührendsten Vorstellungen, um sie von diesem widernatürlichen Vorsatze abzubringen. – Der englische Resident in Tanjore wurde von dem Vorhaben dieser Damen benachrichtigt, und da er nicht selbst hinkommen konnte, so hatte er seinen „Hircarrah“ hingesandt, um alle möglichen Bemühungen, nur die absolute Gewalt ausgenommen, anzuwenden und dieses abscheuliche Opfer zu verhindern. Als die Verwandten der Damen alle ihre Bitten für unnütz halten mußten, unterstützten sie die Vorstellungen des Hircarrah; aber auch dessen Drohungen mit dem Unwillen der Regierung machten nur einen schwachen, vorübergehenden Eindruck. Die anwesenden Mahratten-Officiere erklärten, daß die englische Compagnie sich bisher noch nie in ihre religiösen Ceremonien gemischt habe und daß das Opfer der Weiber in Tanjore nichts Seltenes sei, daß es zwar zweckmäßig sei, jede Überredungskunst und Bitte anzuwenden, um die Damen zu bewegen, ihren Entschluß aufzugeben, daß man aber, wenn sie dabei beharren wollten, nicht Gewalt gebrauchen dürfe, um sie zu verhindern.
Die Weiber verachteten die Drohungen des Hircarrah, als er ihnen sagte, daß sie ihre Väter und Brüder dem Zorn der Regierung aussetzen würden; die jungen Wittwen bemerkten ziemlich keck, daß es nicht die Gewohnheit der englischen Regierung sei, eine Person für die vermeintlichen Fehler einer anderen zu bestrafen, und, auf ihren Vater zeigend, der sich im Uebermaße des Schmerzes zu ihren Füßen geworfen hatte und ihre Kniee umklammerte, fragte die jüngere, rechtmäßige Gattin den Hircarrah, ob er glaube, daß irgend ein Beweggrund ihren Entschluß verhindern könne, wenn der Schmerz ihres Vaters es nicht vermöge? – Der jüngere Bruder der anderen Frau begab sich in die Gemächer der Weiber, brachte seiner Schwester Kind in seinen Armen und legte es zu ihren Füßen nieder – aber so groß war die Entschlossenheit dieses außerordentlichen Weibes, daß man ihr nicht einen einzigen Ausdruck der Reue, weder einen Seufzer noch eine Thräne entlocken konnte. Eine einzige solche Schwachheit würde sie des Rechtes beraubt haben, sich mit der Leiche verbrennen zu lassen, und die angestrengten Bemühungen der Verwandten gingen deshalb dahin, ihnen eine solche Schwäche zu entlocken. Hier war es aber vergebens; – als Antwort auf eine Bemerkung des Hircarrah, daß, wenn der selige Regent es vorausgesehen hätte, er es ihnen unfehlbar verboten haben würde, sagten beide Frauen, daß sie diesen Entschluß schon vor einem Jahre gefaßt und ihrem Gemahl mitgetheilt hätten, daß dieser damals Alles angewendet sie davon abzubringen, es ihnen aber endlich erlaubt habe.
Der Hircarrah entschloß sich jedoch, die Ceremonie so lange als möglich zu verzögern, bis der Resident selbst kommen würde. Die beiden Frauen erwarteten geduldig bis Abends sieben Uhr ihr Schicksal, ohne etwas Anderes zu genießen, als dann und wann etwas Betel zu kauen; dann schickten sie zu dem Hircarrah und ließen ihm sagen, daß sie Argwohn über die Ursache dieses Aufschubs gefaßt hätten und entschlossen wären, wenn die Procession sich nicht auf der Stelle auf den Weg machte, sich vor seinen Augen zu tödten. Ihre Verwandten verzweifelten nun daran, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, und die großen Herren des Hofes, welche sich bis dahin nicht in die Sache gemischt hatten, erklärten nunmehr, daß die beiden Weiber das Recht hätten, ihren Willen auszuführen, und man sie nicht länger daran verhindern solle. Der Hircarrah zog sich daher zurück und die Procession begab sich auf den Weg.
Die jüngere, rechtmäßige Gattin bestieg den Holzstoß, auf den der Körper ihres verstorbenen Mannes gelegt war, und sie wurden mit einander verbrannt; das Schicksal der anderen Frau, die kein Recht zu dieser Ehre besaß, weil sie unrechtmäßig mit dem Manne gelebt hatte, schien noch schrecklicher zu sein. Eine acht Fuß tiefe und sechs Fuß im Viereck haltende Grube wurde ungefähr zwanzig Schritt vom Holzstoß entfernt gegraben, mit brennbaren Materialien angefüllt und dann angezündet als die Flammen hoch aufloderten, wurde erst der Holzstoß angezündet, wo die junge Wittwe mit der Leiche eingeschlossen war. Die andere Frau spazierte allein ohne Unterstützung dreimal um die Flammengrube und, nachdem sie sich gegen den Holzstoß tief verbeugt hatte, stürzte sie sich in die Mitte des Feuers und man sah und hörte nichts mehr von ihr.
E. Fr. in Mgdbg. Wir besitzen Ihr in Prag erschienenes Buch nicht, und bitten um Uebersendung.
W. in Berlin. Was Ihnen mißfallen, hat vielen Tausenden unserer Leser einen großen Genuß verschafft.
G. Schm. in Basel. Der Verfasser des offerirten Artikels über die Schöpfungsgeschichte ist jedenfalls ein kleiner Spaßvogel, denn im Ernst kann doch heutzutage ein vernünftiger Mensch solchen Unsinn nicht aufstellen wollen. Für die Gartenlaube müssen wir wenigstens sehr danken.
K. in D. Eine interessante Erzählung von Temme, dem Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder“ wird mit Ende dieses Monats in der Gartenlaube erscheinen.
- ↑ Herr von Schiller starb am 21. Juni dieses Jahres als königl. würtembergischer Oberförster in Stuttgart.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_556.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)