Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 211.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

fallen lassen mußten; „denn Alles ist Frucht und Alles ist Samen.“ Glauben Sie mir, Lessing, Herder, Jean Paul, Carl August, König Friedrich und Kaiser Joseph haben nicht vergebens gelebt; auch nicht die jungen Männer, die hier sprachen und sangen, obgleich es ihren Ideen an der nöthigen Reife fehlte und ihre Namen vergessen sind. Auch diese graue Hütte ist eine Entwickelungsstufe des deutschen Geistes, der Weltcultur. Auch hier versuchte die Puppe den Sarg zu durchbrechen; aber die jungen Flügel waren noch nicht stark genug, ihn auf die Höhen zu tragen, von wo das Leben ganz zu überblicken ist. Vergessen Sie aber nur nicht, daß die Welt ein Ganzes ist, und in diesem All kein Sonnenstäubchen verloren geht.“

„Sie saßen also selbst mit unter den Burschenschaftern in diesem Hause?“

Sein blaugraues Auge blitzte.

„Freilich!“ entgegnete er wieder im geheimnißvollen Tone. „Auf der Wartburg war ich auch dabei.“

„Und Sie scheinen sich nicht zum Staatsdienst bequemt zu haben.“

„Nicht doch. Der paßt für mich nicht. Ich muß ein armer Mann bleiben.“

„Darf ich nicht Ihren Namen erfahren? Er wird mir unvergeßlich sein.“

„Wozu ein Name?“

„So wollen Sie mich nicht wissen lassen, wer Sie sind?“

Er sah mich eine Weile ruhig an. Dann spielte das ironische Lächeln stärker als zuvor um seine Lippen.

„Ich bin Ulrich von Hutten’s Erbe,“ sagte er spöttisch. „Als er starb, hinterließ er mir all’ seine Habe, sein Schwert und seine Feder. Ich habe sie jetzt in einem Schreine wohl verschlossen. Ich bin’s auch, der Martin Luthern die Nägel reichte, als er die Theses gegen den Ablaßkram an die Kirchenthür in Wittenberg schlug. Ich habe noch einige von diesen Nägeln; sie liegen bei Hutten’s Schwert und Feder.“

Es war Nacht geworden. Mit leisem, halb ironischen, halb wehmüthigen Lachen verlor er sich vor meinen Augen im Föhrenwalde.

War der Mann ein Wahnsinniger oder ein Fabulist? Ich habe nie seinen Namen erfahren können, so sehr ich auch danach forschte.

Am andern Morgen stand ich auf der Kuppe des Ochsenkopfs und schaute rückwärts in das sonnig überglänzte Frankenland.

Dort unten in der Eremitage bei Bayreuth hatte Friedrich der Einzige vor hundert Jahren gewohnt, im Lande seiner Väter, dort hatte Voltaire Komödie gespielt, dort hatte Jean Paul mit Frau Rollwenzel disputirt. Weiter unten sind Friedrich Rückert und August Platen geboren. Zwar liegt Redwitz nicht weit von Wunsiedel und Gößweinstein nicht weit von Nürnberg. Aber getrost! Jene Saat gesäet von Gott wird doch ihre Früchte tragen.

Ludwig Storch.




Ein Schatz des Heilmittelschatzes.
Die örtliche Faradisation.
(Zweiter Artikel.)

Herr Dr. P. Niemeyer hat in Nr. 36. der „Gartenlaube“ Jahrg. 1856. eine kurze klare Darstellung des Wesens und der Nutzbarkeit der von Duchenne erfundenen örtlichen Elektrisirungsmethode gegeben. Wir nehmen den Faden auf, wo unser College ihn fallen ließ, um den wißbegierigen Lesern der Gartenlaube theils an einigen Einzelthatsachen die Methode selbst (und deren verschiedene Früchte) zu veranschaulichen, (wozu wir die von Duchenne selbst gefertigten Photographien benutzen) – theils um an der Lebensgeschichte des Entdeckers unsern Lesern ein Beispiel zu erzählen, in welcher Weise sich heutzutage in der Naturwissenschaft die fruchtbringenden Leistungen und die neuen Entdeckungen entwickeln. In der That, sie werden nicht (wie vielleicht Mancher glaubt) aus dem Aermel geschüttelt oder mit leichter Mühe durch den Zufall gewonnen. Jahre lang muß der Forscher seine Aufmerksamkeit und Mühe auf den einen Punkt richten, wo er eine Goldader verborgen glaubt; Stück für Stück muß er das Material aus dem rohen Gestein herausarbeiten und den Blick durch ununterbrochene Beschäftigung mit demselben geschärft haben, ehe es ihm gelingt, den „Lichtblick“ des geschmolzenen Metalls zu sehen und das gefundene Naturgesetz in wenig Worten zu formuliren: so leicht ausgesprochen und anscheinend so einfach, daß wenige Zeit nachher alle Welt denkt, es sei so leicht, daß es sich von selbst verstehe.

Ein solcher Forscher, der mit seltener Ausdauer einem Zweige der medicinischen Physik über zwölf Jahre lang sein ganzes Thun und Denken hingegeben hat und jetzt die Früchte dieser Thätigkeit in überraschender Reichhaltigkeit sammelt, ist Dr. Duchenne zu Paris, „Duchenne de Boulogne,“ von seinem Geburtsorte am Pas de Calais und zur Unterscheidung von andern Namensvettern genannt.

Die Lebensgeschichte dieses Mannes ist einfach zu erzählen. Er ward 1807 geboren, zeichnete sich auf der Gelehrtenschule durch leichte Auffassung und Sinn für ernste Studien aus, bestimmte sich deshalb für das gelehrte Fach und zwar aus Vorliebe zur Naturwissenschaft (gleich Tausend anderen) für die Heilkunde. Er studirte zu Paris (1824), promovirte rasch (1831), um eine Jugendgeliebte heirathen zu können, und eilte in seine Heimath zurück, wo er einige Jahre als Arzt sehr thätig war, besonders während zweier Cholera-Epidemien. Allein das Prakticiren in einer Provinzialstadt konnte seinem Wissensdrange nicht genügen. Er gab es auf und wendete sich nach Paris, um noch einmal von Neuem „Student zu werden.“ Vier Jahre lang ging er unermüdlich aus einer Vorlesung in die andere, von einer Klinik zur andern, in jede öffentliche Sitzung der gelehrten Körperschaften, secirte und experimentirte etc. Endlich concentrirte er sein Interesse auf das damals sehr roh betriebene und von den Gelehrten fast mißachtete, den Charlatanerien nahe gestellte Fach der medicinischen Elektricität. Nicht zufrieden, die gebräuchlichsten Apparate aus Frankreich, Deutschland und England zu beziehen; fing er selbst an, dergleichen zu bauen. Er richtete sich ein Atelier in seiner Wohnung ein, und ging zu verschiedenen Handwerkern in die Lehre, um den Selbstgebrauch der Werkzeuge zu lernen. Endlich, nachdem fast eben soviel Jahre der Arbeit und der Prüfungen an Kranken und in Krankenhäusern verstrichen waren, erklärte er: „ich habe eine zukunftsreiche Entdeckung gemacht; es gilt jetzt nur zu wollen und auszuharren.“ Ein abermaliger Zeitabschnitt von Beobachtungen und Studien folgte nach; immer experimentirend, immer niederschreibend. Aber erst im zehnten Jahre dieser neuen Studien erschien Duchenne’s erste Veröffentlichung „über seine neue Methode der Elektrisirung, die locale Galvanisation genannt,“ bestehend in Leitung des elektrischen Stromes auf ganz bestimmte einzelne Muskeln. Schlag auf Schlag folgte nun eine Reihe von Denkschriften, jede voll von neuen Thatsachen und Beobachtungen, welche mehr als ein ganz neues Gebiet der theoretischen und praktischen Heilkunde eröffneten. Sie folgten sich bis heute so rasch, daß die gelehrten Körperschaften Frankreichs, denen einige davon (dem landesüblichem Gebrauche gemäß) überreicht wurden, zum Theil nicht einmal mit der Berichterstattung fertig werden konnten. Sie gingen, durch die Liberalität, mit welcher Duchenne jedem Einheimischen oder Fremden ohne Geheimnißkrämerei dieselben mittheilte, rascher in das ärztliche Publicum über, als in die Tagesordnungen der Gelehrtensitzungen. Ja, als in einer der höchstgestellten Körperschaften ein plumper Versuch gemacht wurde, den aufstrebenden Versucher auf eine vornehme Weise todt zu machen, so folgten, gleichsam als Antwort, fast unmittelbar von den medicinischen Akademien in Paris und Brüssel die ehrenvollsten Preisvertheilungen an denselben. Ende 1852, also binnen zwei Jahren, zählten wir schon sechzehn Originalarbeiten Duchenne’s und zehn Mittheilungen anderer, französischer, belgischer und deutscher Aerzte über sein Verfahren und seine Entdeckungen. Jetzt ist deren Zahl wohl verdoppelt. Außerdem faßt ein großes Werk Duchenne’s (deutsch bearbeitet von Dr. Erdmann, Leipzig 1856.) seine bisherigen Arbeiten zusammen. Allenthalben entstehen jetzt sogen, „elektrische Heilanstalten,“ in welchen, auf Duchenne’s Sätze fußend, geheilt und beobachtet wird. Namentlich in Deutschland, wo inzwischen und unabhängig von Duchenne durch die berühmten, seinen Untersuchungen des Berliner Professors Dubois Reymond

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_211.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)