Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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weder sich selbst noch etwas von sich nehmen ließen, sondern bisher immer fortfuhren, auf eigene Rechnung überall, wo sie etwas fanden, Execution zu vollstrecken. Sie hielten es für eine besonderes Verdienst und ihre eigentliche ritterliche Lebensaufgabe, Russen, Türken und Perser, die sich als Mitbrüder oder gar Obrigkeit mausig machen wollen, nach allen Richtungen zu ennuyiren, ihnen das Leben schwer und die Tasche, wenn sie etwas darin hatten, leicht zu machen. Sie stehen außer und über jedem Gesetze, das sie sich nicht selbst gegeben, und sind wahrhafte Freihändler, Manchesterschule, Richard Cobden ohne Phrase und Baumwolle. Sie reisen stets ohne Paßkarte und sind immer so lange obdachlos, bis sie sich irgendwo eine Schlafstelle zurechtmachen. Außer dem Gewerbe des Steuereinnehmens und Executionsvollstreckens an Jedem, der in ihr zeitweiliges Steuerviertel kommt, treiben sie gar keine Industrie. Die Pascha’s von Erzerum und Bagazeth, ihre eigentlichen Provinzial-Präsidenten, haben das Recht, jeden Raub und jede unbefugte Execution zu bestrafen, aber wenn Schuldige vorgeladen werden, kommen sie nicht, und wenn die Strafe an ihnen vollstreckt werden soll, sind sie immer nicht da. Außerdem sind sie so tapfer, schnell und elastisch geschickt, daß kein türkischer, persischer oder russischer Staatsbeamter, der immer eine gewisse Würde behaupten muß, flink genug ist, Einen zu fangen. Raubritter vom reinsten Wasser sind besonders die Kurden in den Regionen des Taurus.
Einige Stämme unter russischer Regierung haben sich allerdings so weit civilisiren lassen, daß sie sich in Dörfern an den Ufern des Aral hin niedergelassen haben und sich ein bischen regieren lassen, aber nicht im Sommer. Wenn es warm wird, blüht die alte Lust für’s Freie wieder auf, so daß sie davon und in Sommerwohnungen ziehen, unter Zelte, die sie bald hier, bald da aufschlagen. Da im Uebrigen Rußland klug genug ist, ihre alten Sitten und Gewohnheiten nicht zu stören und ihrer Tapferkeit und Ritterlichkeit zu schmeicheln, wie den Kosaken, sind sie mit der Zeit achtbare Anhänger der russischen Monarchie geworden, welche, was man auch dagegen sagen oder wünschen mag, doch über kurz oder lang wenigstens die ganze asiatische Türkei sich einverleibt.
Die Kurden sind berühmt als die tollkühnsten, tapfersten, schönsten, geschicktesten Ritter und Räuber. Die Erscheinung eines bewaffneten Kurden zu Pferde mit Lanze und Schild, mit seinen straffen, elastischen Gliedern, dem scharfgeschnittenen Kopfe und den schwarzen, scharfen, feurigen Augen, mit seinem leichtfüßigen Rosse spielend, gleicht noch heute dem großen Saladin in der Wüste, wie ihn Walter Scott als Ideal sarazenischer Krieger schilderte. Die meinen Kurden gehören zu den Suaniten, einer mohamedanischen Ketzersekte. Die unter Rußland haben etwas russisches Christenthum angenommen. Die Räuber und Ritter von Profession halten sich noch an ihre ursprügliche Religion, d. h. sie beten zum Teufel, der im Faust von sich sagt: „So ist denn Alles, was ihr Sünde, mit einem Wort das Böse nennt, mein eigentliches Element.“ Anständige, ehrliche Raubritter können eigentlich auch zu Niemand anders beten. Die Jeziden, ein Zweig der Kurden am Gokscha-See, opfern noch regelmäßig dem „Geiste der Finsterniß“, da sie glauben, er werde wieder zu Ehren und Herrschaft kommen (bei dieser westlichen Civilisation scheint’s auch fast so) und dann Allen, die ihn während seiner Verbannung nicht verleugneten, die Hülle und Fülle geben. Wo Raub und Gewalt die Form des Gesetzes und der Ordnung angenommen haben, ist ja auch der Teufel unter verschiedenen kostbaren Namen zu Ehren und Herrschaft gekommen, nur daß diese Yeziden ehrlicher und naiver sind.
Die Kurden sind oft geschildert und gezeichnet worden, neuerdings besonders von Fürst Gagarin, dessen Bild: Kurden durch einen Fluß reitend, um ein Geschäft zu machen, wir dieser Skizze beigefügt haben.
Die Naturheilkraft.
Entzündungen werden, ebenso wie Blutungen (s. Gartenlaube Jahrg. III. Nr. 29), in den allermeisten Fällen durch den Naturheilungsproceß (s. Gartenlaube Jahrg. III. Nr. 25) geheilt, und diese Heilung ist entweder eine ganz vollständige oder sie hinterläßt mehr oder weniger deutliche und beschwerliche Folgezustände, welche in mannigfachen Veränderungen des früher entzündeten Theiles bestehen. Bisweilen artet eine Entzündung aber auch bis zum Absterben des ergriffenen Theiles aus, und dies heißt dann der (heiße, schwarze oder feuchte) Brand. – Nur bei wenigen Entzündungen und vorzugsweise bei sichtbaren Entzündungen äußerer Theile ist ärztliche Hülfe von wirklichem und offenbarem Vortheile, während bei Entzündungen innerer Organe der Naturheilungsproceß nur wenig, aber doch in Etwas, durch den Arzt unterstützt werden kann. – Bei der homöopathischen Heilmethode, wo doch die Arzneien gleich Nichts sind, muß bei Entzündungen die Natur natürlich ganz allein wirksam sein, und deshalb ist allerdings die homöopathische Behandlung dieser Krankheiten (gewöhnlich mit Aconit) scheinbar sehr oft von gutem Erfolge, sie kann aber auch durch Unterlassung gewisser Hülfeleistungen (z. B. bei Augenentzündungen) großen Schaden anrichten.
Was ist Entzündung? eine widernatürliche Anhäufung von Blut in den feinsten, meistens erweiterten Blutgefäßchen, welches hier nun entweder viel langsamer fließt oder auch wohl ganz stockt. Diese feinsten Gefäßchen heißen Haargefäße, Capillaren (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 9 und 45), und sie sind es, von denen aus der Stoffwechsel, also die Ernährung, das Leben aller Organe (s. Gartenlaube Jahrg. II Nr. 9 und Jahrg. III. Nr. 6) unterhalten wird. Indem nämlich das Blut langsam durch die äußerst dünnwandigen und netzförmig alle Theile unseres Körpers durchziehenden Haargefäße, welche die letzten Endchen der Pulsadern mit den ersten Anfängen der Blutadern vereinigen, hindurchströmt, tritt aus demselben durch die Haargefäßwände hindurch flüssiges Ernährungsmaterial in die Gewebe heraus; gleichzeitig dringt aber auch aus diesen Geweben ein Theil der abgestorbenen und wieder flüssig gewordenen Bestandtheile durch die Haargefäßwände hinein in den Blutstrom und wird nach den Blutadern hin fortgeführt. So findet also durch die Haargefäße ebensowohl Absonderung wie Aufsaugung statt, und beide Processe müssen natürlich bei einer Entzündung, wo ja die Haargefäße und ihr Blutstrom in Unordnung gerathen sind, gestört sein. Somit muß aber auch die richtige Ernährung (der Stoffwechsel) des entzündeten Theiles eine Störung erleiden, und diese ist nach dem Grade der Blutanhäufung, der Erweiterung der Haargefäße und der Stockung des Blutes eine mehr oder weniger bedeutende. Bei geringerem Grade und baldigem Vorübergehen dieses Zustandes pflegt der Arzt von Congestion oder Blutandrang zu sprechen, während er den höheren und länger andauernden Grad als Entzündung bezeichnet. Stets ist bei der letzteren das aus den erweiterten und mit Blut überfüllten Haargefäßen Austretende, was doch gutes Ernährungsmaterial sein sollte, nicht mehr ein solches, sondern eine andere, zur Ernährung der Gewebe nicht mehr taugliche Flüssigkeit, welche aber natürlich ebenfalls aus guten, nur in falschem Verhältniß zu einander stehenden Blutbestandtheilen (Faserstoff, Eiweißstoff, Fett, Salzen, Wasser) besteht, und Ausgeschwitzes, Exsudat genannt wird. Dieses Exsudat ist nun das Material, aus welchem sich die krankhaften, ebensowohl flüssigen wie festen, gut- oder bösartigen, Vortheil oder Nachtheil bringenden Materien (wie Eiter, Jauche, Faser- und Krebsgeschwülste etc.) hervorbilden, und sonach kann das Exsudat ebensowohl zur Zerstörung und Geschwulstbildung, wie zur Heilung (von Wunden, Geschwüren, Knochenbrüchen u. s. f.) Veranlassung geben. Da der Arzt bei solchen Ausschwitzungen in Folge von Entzündung niemals im Voraus genau bestimmen kann, wie sich das Ausgeschwitzte in seiner Beschaffenheit und in seinen fernern Metamorphosen verhalten wird, so ist er auch niemals den Ausgang und die Folgen einer Entzündung mit Sicherheit anzugeben im Stande. Ebensowenig läßt sich nun auch die Dauer der Entzündung mit ihrer nachfolgenden Ausschwitzung genau voraussagen.
Was die Ursachen betrifft, welche eine Entzündung veranlassen können, so sind diese so viel- und mannigfache äußere und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_472.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)